Veronica Ferres gegen FC Bayern

Veronica Ferres gegen FC Bayern

In der Champions League der Marktanteile hat La Ferres immer noch für jeden etwas dabei. Ihr neuer ARD-Schocker, aber auch Harald Schmidt im Kreuzfeuer der Meinungen.

"Vor ein paar Wochen kam eine Studie heraus, die Sigmund Freuds These widerspricht, dass die Gewalt in der Natur der Menschen verankert sei. Diese Studie sagt, dass Gewalt durch Ausgrenzung entsteht. Anders gesagt: Wenn Menschen von Anfang an friedlich in einer Gemeinschaft leben, gibt es keine Gewalt."

Wer sich hier so kompetent polyvalent für die Talkshowgästedatenbank der ARD empfiehlt, und zugleich en passant Synopsen kommender Teamworx-Zweiteiler für ARD oder ZDF aus dem Ärmel schüttelt:

"Ich war in London, als es zu den Gewaltausbrüchen kam und fand mich plötzlich in einer Situation, in der ich im beschützten konservativen Europa in einer Weltmetropole saß und Angst um mein Leben hatte. Plötzlich steht eine junge vernachlässigte Generation auf, die vergessen wird, die keine Chance ..."

und das nicht zuletzt oder zuallererst aus der Kraft eigener Erlebnisse:

"Ich war durchaus rebellisch, als ich mir die Haare habe kurz schneiden lassen oder rot färbte. Die Studentin Veronica Ferres hat gegen AKWs demonstriert. Die 'Rebellin' in mir gibt es heute noch..."

ist also niemand Geringeres als Veronica Ferres selbst. Anlässlich des heute abend zur ARD-Ausstrahlung anstehenden, von ihr selbst koproduzierten Films "Sie hat es verdient" hat Kurt Sagatz vom Tagesspiegel ein knallhartes Interview mit ihr geführt. Knallhart heißt, dass es auch um kontroverse Themen wie Ferres' womöglich geschwundendes Enagagement für die Charity-Organisation "Power Child" ("Nein, ich habe gerade noch einen Benefiz-Krimi für diese Organisation gedreht..."), um Carsten Maschmeyer sowie um den Sendeplatz und -termin des heutigen Ferres-Films geht. Sagatz fragt:

"Der Film wurde im September 2009 gedreht, hatte im Juni 2010 auf dem Filmfest München Premiere. Gab es einen besonderen Grund, warum es bis zur Ausstrahlung so lange gedauert hat?"

Ferres antwortet:

"Es hat unter anderem mit der Sendepolitik der ARD zu tun, bei der jede Landesanstalt gewisse Sendeplätze hat. Aber auch das Thema des Films spielt eine Rolle. Es gab Diskussionen, den Film nicht um 20 Uhr zu zeigen, was dank des couragierten Senders dann doch möglich wurde."

Es hat vielleicht auch damit zu tun, dass parallel im Privatfernsehen Bayern München spielt - bekanntlich kein Gegner, den einschaltquotenfixierte Fernsehschaffende sich wünschen. Und wer, wenn nicht Ferres (und Iris Berben gerade nichts Neues am Start hat), könnte in der Champions League der Marktanteile mithalten?

Aber wie ist nun der Film selbst? "Ein fast obszön böser Film" sei es, schreibt Ralf Wiegand auf der Medienseite 17 der Süddeutschen hin und hergerissen. Und bringt unter der Überschrift "Ferres-Frauen schaffen alles" den state of the art der Ferres-Kritik auf den Punkt:

"Frauen, die La Ferres spielt, müssen stark sein, müssen wieder auf die Beine kommen, müssen dem Schicksal trotzen, selbst wenn ihnen der ganze schicksalhafte Dreck mitten ins Gesicht klatscht"

Das aber derart kraftvoll, dass man, obwohl Wiegand eher wohl abrät, immer gespannter auf den Film wird. [Achtung Spoiler! Falls Sie sich diese Spannung bewahren wollen, lesen Sie den folgenden Einschub, der den Inhalt der letzten Filmszene verrät, bitte nicht]:

"... Pünktlich nach eineinhalb Stunden... ist Schluss, als Veronica Ferres alias Nora Wagner, deren Tochter von Mitschülern aus banalem Grund brutal ermordet worden ist, zum ersten Mal den Golden-Retriever-Welpen streichelt. Der will doch auch nur eine glückliche Familie haben. Der kann doch auch nichts dafür."

Die weiteren, heute omnipräsenten Kritiken zum Film verlaufen in den gewohnten Bahnen allgemeinen bis überschwänglichen Lobs für Film und Co-Darsteller bei eingestreuter Ferres-Kritik: Ferres "stellt sich in den Dienst dieses Films. Das freilich ist dann auch unübersehbar. Ungeschminkt, aber im Vollbild leidend, wühlt sich ihre Figur durch die Handlung und wird so zum verlässlichen Anker für den weitgehend ratlosen, aber stark emotionalisierten Zuschauerblick" (Klaudia Wick, BLZ). "Obwohl Ferres' zermürbende Verzweiflung dauerpräsent ist, lässt sie mit ihrer implodierenden Trauer dem Nachwuchstalent Liv Lisa Fries reichlich Platz, die mit ihrem wechselnden Spiel zwischen gefühlloser Grausamkeit und liebevoller Fürsorge brilliert" (Katharina Miklis, Hamburger Abendblatt). Der "für öffentlich-rechtliche Verhältnisse krasse, nonlinear erzählte Film" konnte halt "nur dank des Engagements von Veronica Ferres überhaupt gedreht werden... - wofür man deren grotesk deplatzierte Auftritte billigend in Kauf nimmt", schreibt David Denk (TAZ) im Rahmen eines einfühlsamen Porträts jener Liv Lisa Fries ("Vor dem Café 'Wohnzimmer' am Helmholtzplatz hat Liv Lisa Fries gerade noch zwei Freundinnen getroffen", "sogar 'Bild' interessiert sich für die Frage, ob sie einen Freund hat").

Da darf natürlich nicht verschwiegen werden, dass jene Bild-Zeitung die Aufmerksamkeit auf ihr eigenes Ferres/ Fries-"Wir wollen zum Nachdenken anregen"-Interview geschickt mit der Überschrift "Hier kuschelt die Ferres mit der Mörderin ihrer Film-Tochter" lenkt. Es soll aber auch nicht verschwiegen werden, dass Dieter Bartetzko in der FAZ (S. 37) ganz tief in den Fundus der Hochkultur greift, um dem Film - also immer noch demselben! - gerecht zu werden:

"Wie Homers Zuhörer vor dreitausend Jahren schaudern wir, wenn Klytämnestra ihren Mann abschlachtet, weil er die gemeinsame Tochter um einer Eroberung willen hat töten lassen; frieren, wenn Shakespeares oder Stieg Larssons Monster aus Machtgier grausamste Morde begehen."

Kurzum, das Für-jeden-etwas-dabei-Prinzip scheint zumindest in der Pressearbeit für den neuesten Ferres-Schocker wieder kongenial umgesetzt worden zu sein. Bleibt noch die Frage, ob die audience flow-Berater der ARD auch zugegriffen haben und im mittelbaren Folgeprogramm über Jugendgewalt oder das Böse diskutieren lassen, wenn Anne Will heute wieder in die Getalke-Arena steigt? (A propos: Miriam Meckels "Stern TV"-Tweet, um den es am Montag hier im Altpapier und gestern in der Bild-Zeitung ging, taucht heute auch noch auf der FAZ-Medienseite auf; "witzige Medienkritik, wie wir sie von der Autorin Miriam Meckel gewohnt sind", schreibt Michael Hanfeld in womöglich bitterem Sarkasmus.)

[listbox:title=Artikel des Tages[Was sagt La Ferres? (Tsp.)##Wie ist La Ferres heute? (BLZ)##Wie war Schmidt? (faz.net)##Wie war Schmidt? (ksta.de)##Statt Ferres oder Bayern Arte gucken! (Tsp.)##Virtueller Glückskeks]]

Aber nein, bei Will diskutieren um 22.45 Uhr Ruth Maria Kubitschek, Rolf Eden und Rolf Hochhuth das gegenläufige Thema "Lasst mich in Würde altern!" - natürlich nur, sofern nicht gerade die IT-Experten der Harald-Schmidt-Show Wills Internetauftritt gehackt haben.

Schließlich ist gestern in der Late Night dieser "Messias ...wieder einmal auferstanden", wie Oliver Jungen in einer frühen Frühkritik bei faz.net das Sat.1-Comeback des Entertainers bejubelt und vom Anfangs-Einspieler ("...Denn seit dem 11. September 2011 ist in der Talkshowrepublik Deutschland nichts mehr wie es einmal war") bis zum ganz zum Schluss ("Göttinger Görenrock von den Guano Apes") getreulich dokumentiert

Bzw. hat Schmidt schließlich "bei der Premiere in seinem neuen alten Sender Sat.1 fünf gute Minuten - und bringt die restlichen mit der Routine eines verbeamteten Showhasen über die Bühne", wie Martin Weber bei ksta.de formulieren würde. "Schlechter als ein schlechter Witz ist ein schlechter Witz, den man Monate vorher kommen sieht", meint erneut David Denk bei taz.de zur (allerdings Hape Kerkeling zu verdankenden) Schlusspointe 


Altpapierkorb

+++ Zahlen lügen nicht (1): Nur noch gut 7.000 Unterzeichner benötigt, allerdings allein am heutigen Mittwoch, die Petition für ein Verbot der Vorratsdatenspeicherung, um auf die magischen 50.000 zu kommen. Wofür genau? "Damit der Initiator Kai-Uwe Steffens vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung das Anliegen persönlich im Bundestag vortragen kann". +++ Zahlen lügen nicht (2): "Deutschland nicht mehr unter Top-5" - das liest man natürlich ungern. Liest man mehr, können sich Standort-Patrioten doch freuen: "Deutschland nicht mehr unter Top-5-Gefährdungsländern" in puncto Internetsicherheit, vermeldet der Verband Eco (der wiederum nicht mit Ökologie, sondern -nomie zu tun hat). +++ Zahlen lügen nicht (3): Und "die zehn fiesesten Erlebnisse der Woche", die freie Journalisten hatten, haben die Freischreiber aufgelistet, die des weiteren hier virtuelle Glückskekse anbieten (also kekslos digital das, was sie derzeit vor Verlagshäusern verteilen). +++ Zahlen lügen nicht (4): die Harald-Schmidt-Quoten bei kress.de. +++

+++ Den umgekehrten Niggemeier-Weg, aus der Welt der Holzmedien geht nun offenbar Hans Hoff. Zumindest gibt es im Internetauftritt des Fernsehheftchens Prisma jetzt "den Hans-Hoff-Blog", der womöglich den Titel "Neues aus der Blödmaschine" trägt. Erstes Thema: Günther Jauch, der "Informationsvortäuscher". +++

+++ Noch 'ne Einschätzung der Jauchshow: "Es war der erstaunlicherweise recht reflektierte Jürgen Klinsmann, der die größte Erkenntnis formulierte, nämlich die, dass die Amerikaner die von Elke Heidenreich angesprochenen Hintergründe und Zusammenhänge bis heute nicht verstanden hätten. Aus dem schlichten Grund, weil sie zu schlicht sind, sich damit auseinanderzusetzen. Zu kapieren, wo aus der Cornflake-Packung die Flakes rieseln, erfordere ihre gesamte Aufmerksamkeit. Letzteres hat er nicht gesagt, ich mir aber gedacht", so die TAZ-Kriegsreporterin. +++ Die ferner auf das vermutlich heute erscheinende Magazin namens Toll hinweist: "Die Texte ...sind fast ausnahmslos von Menschen mit geistiger Behinderung geschrieben und von bestem sprachlichem Wumms." +++

+++ Weitere Top-Kandidaten für die Talkshowdatenbank: Christian Schertz und Dominik Höch, deren schon länger angekündigtes Buch schließlich den Untertitel "Wie Medien und Internet unsere Werte zerstören" trägt. Ulrike Simon bemüht sich in der BLZ um freundliche Worte. +++ Ebd. leistet sich die "Verlinkt"-Kolumne keine Meinung zum womöglich heißen, jedenfalls Ashton Kutcher-unterstützten Berliner Online-Geheimtipp Amen (siehe auch welt.de, meedia.de). +++

+++ Am Rande der Talkshowflut schwimmt weiterhin Thomas Leif mit seiner Sendung "2plusLeif" mit. In der ersten Nachsommerpausenausgabe ging's um die Finanzen, und das ließ sich Sabine Pamperrien nicht entgehen. Im Namen der FAZ (S. 37) fragte sie außerdem wegen der Netzwerke Recherche-Aufregungen beim Sender nach. "Beim Südwestrundfunk gebe es aber keinen Handlungsbedarf wegen eines etwaigen Glaubwürdigkeitsverlusts des politischen Journalisten, sagte der Sendersprecher Wolfgang Utz auf Anfrage." +++

+++ Medienökonomie: Einer oder sogar ein weiterer WAZ-Gesellschafterstreit "ist beendet" (Süddeutsche). +++ "Die einen verstehen, dass für guten Journalismus bezahlt werden muss. Die anderen weigern sich schlichtweg", sagt Boston Globe-Chefredakteur Martin Baron und versucht nun, im Internet beiden zu geben, was sie wollen (ebd.). +++

+++ Internationales: Die Süddeutsche beschäftigt sich mit Michail Chodorkowskijs "Gefängniskolumnen" für die russische "The New Times" (siehe etwa focus.de). +++ Die FAZ enthüllt den "Etikettenschwindel" der kürzlich bei Arte gezeigten Krimiserie "Eine Detektivin für Botswana": "Die Drehbücher gehen auf eine Romanserie des in Rhodesien geborenen Schotten Alexander McCall Smith zurück. Jill Scott, die Hauptdarstellerin der von der BBC und dem amerikanischen HBO produzierten Serie, ist Afroamerikanerin...", und echte Afrikaner seien kaum beteiligt. +++

+++ Und in der Frage Veronica Ferres gegen FC Bayern bzw. ARD oder Sat.1 rät Michael Jürgs zu Arte um 21.05 Uhr. Im Tagesspiegel hält er ein flammendes, zorniges Plädoyer für die (u.a. von Stefan Aust verantwortete) Dokumentation "Hitlers Menschenhändler". +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.

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