Der Chaos Computer Club entzaubert Daniel Domscheit-Berg, Frank Schirrmacher lobt die linke Gesellschaftskritik, und in einer Studie gibt es ein paar Vorschläge für Talkshowschaffende
(Update 13 Uhr: Daniel Domscheit-Berg schreibt sich ohne d vor dem t.)
Was klebt bei Turner Fabian Hambüchen alles auf dem Busen? Ein Adler, logo – aber der Rest der Logos, zum Beispiel die drei Buchstaben einer Bank, bleibt verborgen. In der taz jedenfalls, für zwei Wochen.
"Ein, zwei Logos sind fast immer auf einem Sportfoto zu finden, manchmal auch vier, fünf oder sechs. Gerade in Sportarten wie Biathlon, Handball oder Eishockey, die auf Sponsoren-Patchwork setzen müssen, weil das ganz große Geld fehlt, erscheinen die Profis oft als wandelnde Litfaßsäulen. Die Sportpresse macht sich mit dem Abdruck der Bilder zum Erfüllungsgehilfen der Vereine und Sponsoren. Sie trägt die Werbebotschaft ungefiltert zu den Abonnenten,"
schrieb Sportredakteur Markus Völker in der Wochenendausgabe. Gefolgt von der Ankündigung, mit dem Erfüllungsgehilfendasein sei jetzt Schluss, zunächst für zwei Wochen, danach wolle man "möglichst jene Fotos aussuchen, die viel Sport zeigen und wenig Sponsoren".
Im Nachhinein sagt sich das immer leicht, aber wenn man hätte tippen müssen, welche Zeitung gegen Sportwerbung auf die unbeschrifteten Barrikaden geht – vermutlich wäre den meisten schon tatsächlich die taz eingefallen. Am Samstag noch.
Am Sonntag dann hätte vielleicht schon mancher "Frankfurter Allgemeine" gesagt.
Zunächst: Was ist der Unterschied zwischen rechts und links? "Rechte sind verbohrt, tragisch-humorlos, Linke sind locker-ironisch. Von dem Londoner Toten liest man dann im Kleingedruckten", schrieb die FAZ bissig-ironisch noch dieser Tage auf der Medienseite, als es um diese Titelseite der taz ging ("London außer Rand und Band", siehe Altpapierkorb vom Donnerstag).
In der Sonntagsausgabe dann verwirrte / überraschte / erfreute / verärgerte Herausgeber Frank Schirrmacher seine Leser – na ja: manche jedenfalls – mit einem nicht-ironischen Debattenbeitrag, der von Weltanschauungen und Politik handelte und dennoch – in der Analyse, nicht unbedingt in der Sprechposition des von der Regierung Merkel Enttäuschten – auch in einer dezidiert linken Zeitung hätte stehen können:
"Ein Jahrzehnt enthemmter Finanzmarktökonomie entpuppt sich als das erfolgreichste Resozialisierungsprogramm linker Gesellschaftskritik. So abgewirtschaftet sie schien, sie ist nicht nur wieder da, sie wird auch gebraucht."
"Unfassbar", findet das semi-ironisch Michael Angele, einst Autor des Altpapiers, heute immerhin noch Feuilletonchef einer (linken) Wochenzeitung (Disclaimer: für die ich auch arbeite), für deren Onlineseiten er schreibt:
"In die an sich unbedeutende Historie des Feuilletons könnte der 14. August 2011 als wichtige Zäsur eingehen. Als der Tag, an dem im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung der Begriff Neoliberalismus auftauchte. In kritisch-analytischer Verwendung. Von Frank Schirrmacher. Hier das Zitat: 'Es war ja nicht so, dass der Neoliberalismus wie eine Gehirnwäsche über unsere Gesellschaft kam'. Mehr noch könnte dieser Tag einen Paradigmenwechsel für die Publizistik einläuten."
Auch die taz reagiert mit einem Text, dessen Form nach dem einen oder anderen weiteren ähnlich formattierten allmählich markenzeichenartige Züge annimmt: einem wahrscheinlich ziemlich ironischen Brief an Schirrmacher, der darin – sicher extremironisch – direkt links von Horst Mahler verortet wird.
"'Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat', schreiben Sie in der FAS – eine Kapitulationserklärung. Um ehrlich zu sein: Wir machen uns Sorgen um Sie, sehr sogar."
Wobei Schirrmacher das besagte ihm untergeschobene Zitat eigentlich selbst nur zitiert, vom Thatcher-Biographen Charles Moore aus dem Telegraph, was dann ja eigentlich doch einen Unterschied macht.
Was bleibt, im ironischen Kern des taz-Briefs, ist, dass die Welt, um mit der Kanzlerin zu sprechen, aus den Fugen ist: "Was kommt als Nächstes? Tritt Wolfgang Schäuble dem Chaos Computer Club bei? Wird Helmut Kohl taz-Genosse?"
[listbox:title=Artikel des Tages[Linke Gesellschaftskritik wird gebraucht (FAS)##Unfassbar: Linke Gesellschaftskritik von Frank Schirrmacher (Freitag)##Ab jetzt sponsorenfrei (taz)##Talkstudie, Kapitel 9 (TSP)##Zu Domscheit-Bergs CCC-Ausschluss (netzpolitik)]]
Womit wir durch die Hintertür zum Chaos Computer Club schlüpfen, der gerade 30 wird: Von dort, konkret von Vorstandsmitglied Andy Müller-Maguhn im Spiegel-Interview, sind Zweifel an der Integrität des eben erst auf die mediale Bühne zurückgekehrten Daniel Domscheit-Berg (siehe, wiederum, Altpapier vom Donnerstag) zu vernehmen: "Auf jeden Fall geht er mit Fakten sehr flexibel um."
Ist in der Druck-Spiegel-Vorabmeldung noch von der CCC-Mitgliedschaft Domscheit-Bergs die Rede, ist er nun wohl ausgeschlossen worden, wie Spiegel Online und Tagesspiegel schreiben.
Unglücklich, sagt Müller-Maguhn, sei der CCC-Vorstand auch darüber, dass Openleaks-Mann Domscheit-Berg – Gründer darf man ja eigentlich wegen der in der Selbstbeschreibung der Whistleblower-Plattform stehenden Anti-Assange-igkeit nicht sagen –
"den Eindruck erweckt hat, OpenLeaks werde von unseren Leuten getestet und so mit einer Art CCC-Gütesiegel versehen. Der CCC ist kein TÜV. Wir lassen uns nicht vereinnahmen. Das war unverschämt."
Linus Neumann allerdings, der die Entscheidung, Domscheit-Berg auszuschließen, zumindest fragwürdig findet, kommentiert bei netzpolitik:
"Mich hätte aber mal interessiert, wie wohl darauf reagiert worden wäre, wenn Daniel NICHT zum Testen des Systems aufgerufen hätte. Bei fast jedem Talk auf Congress und Camp ist es üblich, dem Publikum am Ende etwas zum selbst Ausprobieren und Prüfen zu geben – mal unter besseren, mal unter schlechteren Bedingungen, als Daniel es getan hat."
Altpapierkorb
+++ Am Sonntag im Tagesspiegel: das neunte Kapitel von Bernd Gäblers Studie mit Handlungsempfehlungen zu Talkshows, die am Dienstag erscheinen soll: "Fast alle befragten TV-Macher, Politiker und PR-Strategen haben Sehnsucht nach einer Art Neuauflage der legendären Sendung 'Zur Person' von Günter Gaus. Hierin ist ein Wunsch nach Entschleunigung und Vertiefung spürbar, der durchgängig im heutigen TV-Angebot vermisst wird". Sehr nett ist doch die Empfehlung: "Mehr Journalismus wagen." Etwas theoretisch dafür diese: "Wer Talkshows als Mittel einer demokratischen Öffentlichkeit ernst nimmt, darf die Verantwortlichen der Wirtschaft nicht länger verschonen." Dafür müssen sie halt auch noch kommen +++
+++ Ebenfalls im Tagesspiegel, wird eine weitere Medienjournalismusfigur der jüngsten Zeit porträtiert: Konstantin NevenDuMont, unter dem Strich als "Traumtänzer" +++
+++ Schon wieder keinen Medienskandal nach diesem hier haben diverse Branchendienste nicht recherchiert (Stefan Niggemeier) +++ Die Berliner Zeitung berichtet über weltweite Empörung wegen Fotos eines Kindermodels +++
+++ Leben und Schaffen von Rupert Murdoch: Thomas Hüetlins Spiegel-Online-Text aus London kommt nicht ohne ihn aus: "Den eigentlichen öffentlichen Ton gab in den vergangenen 30 Jahren ohnehin einer vor: Rupert Murdoch, der australische Medienmogul, der das moderne Großbritannien mehr prägte als jeder britische Politiker, Unternehmer oder Intellektuelle. Zusammen mit Margaret Thatcher brach Murdoch in den achtziger Jahren die Macht der Gewerkschaften, befeuerte die Entfesselung der Märkte, zusammen mit dem aufstrebenden Finanzsektor der City of London machte er die Gier salonfähig und so aus den Briten eine Nation von Shoppern, in der nun vor allem eines zählte: 'Loads of Money'." +++
+++ Mehr Murdoch: Steckt er seine Synergie in eine neue Zeitung? NewsCorp. plane eine deutsche Ausgabe des Wall Street Journal, berichtet der Schweizer Tagesanzeiger +++ Während die Ermittlungen gegen seine Gruppe weitergehen: "Unter anderem wird einem Konzernunternehmen der illegale Zugriff auf den Computer eines Wettbewerbers vorgeworfen, so das Wall Street Journal online (via taz) +++
+++ Und wo es um Spähereien geht: Der FAS-Medienaufmacher handelt von Minidrohnen: "Schon für 300 Euro bekommt man bei Amazon den Quadrokopter Parrot AR.Drone mit zwei Kameras an Bord, steuerbar mit jedem iPhone. (...) Ab etwa 20.000 Euro gibt es die professionelleren Systeme der Siegener Firma Microdrones." Paparazzo-Time? Bislang nicht, so Harald Staun. "Womöglich hat die Abstinenz nicht nur mit technischer Rückständigkeit der Redaktionen zu tun, sondern ganz einfach mit der überraschenden Wirksamkeit gesetzlicher Vorschriften." Konkret fällt das Caroline-Urteil +++ Auch die GEZ wird – kann man das so sagen – beobachtet: derwesten.de "berichtet von Bedenken diverser Datenschützer. Sie monieren, dass die Landesmedienanstalten in Zukunft heimlich personenbezogene Daten erheben dürften – auch bei nicht-öffentlichen Stellen wie Arbeitgebern, Inkassounternehmen und Versicherungen". Zusammengefasst in der Süddeutschen vom Samstag (die heute wegen des Feiertags in Bayern nicht erscheint) +++
+++ Der MDR ist weiter Thema: Von den "ARD-Sommerfestspielen" ist in der taz die Rede, in der es um Schweigen nach außen und beredtes Handeln gegenüber der Politik geht. Und nicht nur dass die potenzielle Intendantin Karola Wille einst in einer Dissertation systemtreu "dem Sozialismus gehuldigt" habe (Spiegel) – es gibt auch Neues im Fall Foht: Es werde intern nun ermittelt, weil "Schwarzgelder geflossen sein könnten, um Stars der Unterhaltungsbranche bei Laune zu halten", heißt es im ebenfalls Spiegel: "Was nun in Leipzig ans Licht kommt, ist mehr als nur eine Affäre Foht. Es ist eine Affäre MDR – und damit eine Affäre ARD. Was bisher herauskam, ist wohl nur ein Bruchteil der gesamten Geschichte. Die Ermittler haben gerade erst damit begonnen, die Geldströme auszuloten" +++
+++ Und im Fernsehen: Das Kleine Fernsehspiel "Unten Mitte Kinn" des ZDF (0 Uhr) bespricht die taz +++ Während sich FAZ (S. 27), Berliner Zeitung und Tagesspiegel auf "Hand in Hand" mit Corinna Harfouch und Margarita Breitkreiz (20.15 Uhr) konzentrieren +++
Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.