Starke deutsche Meinungsvielfalt zur Murdoch-Affäre. Außerdem: Alte BND/ Journalistenaffäre endet mit 7500-Euro-Zahlung. Und: Werdet Jugendmedienschützer!
Das ist Hans Leyendecker vermutlich auch noch nicht oft passiert: dass er ziemlich wort- und überschriftengleich mit der Bild-Zeitung berichtet. Heute steht in der Süddeutschen auf Seite drei sein, sagen wir: angenehm bunter Bericht über "Die Frau mit dem Haken", Rupert Murdochs Ehefrau Wendi Deng, und darüber wie sie die den Angreifer ihres Gatten am Dienstag (siehe Altpapier gestern) "mit einem Volltreffer das Fürchten" lehrte. Frei online ist er derzeit nicht verfügbar, allerlei wesentliche Infos daraus, sowie einige weitere, wären aber bei bild.de ("Wendi Deng - Murdochs Frau mit dem rechten Haken") zu haben:
"Die Presse feiert die Chinesin mit dem rechten Haken, die in jungen Jahren beinahe Profi-Volleyballerin geworden wäre. 'Schnell wie ein Tiger', loben die chinesischen Zeitungen und warnen: 'Leg dich nicht mit Wendi Deng an!' Der Tenor: 'Du kannst eine Frau aus China vertreiben, aber China nicht aus einer Frau.'"
Mehr zum Angreifer Jonathan May-Bowles alias Jonnie Marbles ebd. ("Wer zuletzt lacht, lacht eben doch am Besten"). Zurück auf die SZ-Seite drei. Im längeren Artikel oben drüber analysiert Christian Zaschke, was am Mittwoch vor demselben Untersuchungsausschuss geschah, also die Befragung des britischen Premierministers David Cameron in derselben Sache (Berichte dazu gibt's z.B. von Ralf Sotschek/ TAZ und Matthias Thibaut/ Tsp.. Cameron habe "einen unerwartet smarten Auftritt" hingelegt, so Zaschke: Er
"war mittlerweile in guter Form bei dieser Debatte, die sich seiner Erklärung vor dem britischen Unterhaus anschloss, er war schlagfertig, bisweilen witzig, parierte in großer Gelassenheit, es gelang ihm sogar, was deutsche Politiker nicht hinkriegen: eine Frage viermal nicht zu beantworten, ohne dabei total lächerlich zu wirken."
Eine völlig andere Meinung zumselben Auftritt äußert Steffen Grimberg in der TAZ ("Premier: Geh einfach!"). Britische Pressereferenten werden sich ganz schön wundern beim Auswerten der deutschen Kommentareflut.
Zum vorgestrigen Auftritt der Murdochs meint David Denk (auch TAZ heute) zum Beispiel, bevor er den darin enthaltenen "Skandal im Skandal" herausarbeitet (wie Murdoch "die Schuld prompt nach unten durch" reichte): "im Nachhinein, ...hätte es auch keinen großen Unterschied gemacht, wenn Rupert Murdoch zu Hause geblieben wäre."
Barbara Klimke von der DuMont-Presse (BLZ) würde dagegen von "einem der denkwürdigsten Momente in jüngerer Zeit" reden:
"Der Auftritt ist schon deshalb bemerkenswert, weil er in Deutschland womöglich so nicht stattgefunden hätte: Ausschüsse tagen in der Berliner Politik generell, von Ausnahmen abgesehen, hinter verschlossenen Türen. In Großbritannien hingegen steht der Zutritt allen Bürgern grundsätzlich offen, weshalb nun jeder weiß, dass der Vorsitzende eines globalen Medienimperiums bei bestimmten Details erstaunlich ahnungslos ist."
Eventuellen Parallelen von britischem Skandal und hiesigem Medienbetrieb wird auch anderswo weiter nachgegangen. Bei stern.de beantwortet sich Hans Peter Schütz seine Frage "Aber sind illegale Recherchemethoden auch im deutschen Hauptstadtjournalismus üblich?" mit "Nein", um dann auf eine "dramatische Veränderung des Hauptstadtjournalismus" zu plaudern zu kommen: "Grund dafür ist der massive Ausbau der Onlinemedien. ... ... "
Noch ein Stück tiefer in dieselbe Kerbe haut heute im Tagesspiegel der ehemalige ZDF-Chefredakteur Klaus Bresser:
"Wir brauchen ... einen Journalismus, der Abstand hält zu den Mächtigen, jene professionelle Distanz wahrt, die Kritik erst möglich macht. Auf kritischen Journalismus kommt es an, auf einen Journalismus, der Fragen stellt, Zweifel äußert und Widerspruch wagt. ... ... Schafft der Journalismus das? Journalisten haben das Richtige vom Falschen, die Spreu vom Weizen zu trennen."
Der Abdruck dieser äußerst grundsätzlichen Rede hat vermutlich weniger mit neuen Gedanken oder brisanten Formulierungen darin zu tun als damit, dass Bresser als "gebürtiger Berliner" am Freitag seinen 75. Geburtstag begehen wird.
Mehr Murdoch im Schnelldurchlauf: Das dreiseitige Dossier der Wochenzeitung Die Zeit lädt mit der Eingangsfloskel "Manchmal schreibt die Wirklichkeit Geschichten, die sich der Boulevard nicht besser ausdenken könnte" vom Lesenwollen aus, ist dann aber nach Dover in Paul McMullens Kneipe "Castle" gereist ("Schon von weiten riecht es nach Bier"), und entfaltet gewisses Interesse.
In der FAZ untersucht Jordan Meijas nun auch, ob die Murdoch-Krise in des Moguls wichtigsten Markt, in die USA überschwappen könnte ("Alle warten auf einen Tsunami"). Und schon wieder in der TAZ geht Sabrina Palz der Frage nach, ob die Murdochs die von der Einstellung ihres Blattes News of the World gerissene Lücke auf dem englischen Sonntagszeitungsmarkt denn nun selber mit einer Sun-Ausgabe schließen wollen (Sie dementieren, sind aber beim Dementieren auch nicht glaubwürdig).
Damit rasch an inländische Brennpunkte: Langjährige Leser des Altpapiers könnte interessieren, dass "die sogenannte Journalistenaffäre des BND, die im November 2005 durch einen Bericht der Berliner Zeitung ausgelöst wurde" (Berliner Zeitung), jetzt ihren "Schlusspunkt" fand, und zwar vor dem Münchner Landgericht. Wilhelm Dietl, Journalist und Buchautor (u.a.: "Bedingt dienstbereit"), erhält vom Bundesnachrichtendienst 7.500 Euro Schadenersatz, weil er in den frühen Nuller Jahren "rechtswidrig ausgeforscht" wurde, berichtet Andreas Förster.
[listbox:title=Artikel des Tages[Ende einer alten Journalistenaffäre (BLZ)##Lob des Murdoch-Ausschusses (ebd.)##Murdochs Lage in den USA (FAZ)##Werdet Jugendmedienschützer! (Carta)##Was sagt uns McLuhan heute? (heise.de)##Was sagt McLuhan? (TAZ)]]
Widerschein dieser älteren Journalistenaffäre bieten ältere Altpapiere von 2006. [Für weniger langjährige Leser: Früher sahen diese Altpapiere etwas besser aus und waren sinnvoller gestaltet, aber der Berliner Verlag, dem die Domain netzeitung.de inzwischen gehört, spielt sie nun eben so aus].
Vor Verwaltungsgerichten in Hannover und Köln spielt sich ein Streit zwischen RTL und zwei Landesmedienanstalten ab, den der nordrhein-westfälische Medienwächter Jürgen Brautmeier gern noch einige Instanzen weiter tragen würde. Denn ihn geht es um die "Menschenwürde im Fernsehen". Ein von der Düsseldorfer Medienanstalt LfM frisch veröffentlichtes Gutachten dazu hat sich die Süddeutsche vorab angeschaut und berichtet:
"Der LfM-Chef fährt ganz offensichtlich einen neuen Kurs in seiner Anstalt, wo sein Vorgänger Norbert Schneider über die Jahre im Kontakt mit den Sendern eher das Prinzip 'reden statt strafen' bevorzugte, was der Behörde durchaus auch den Ruf einbrachte, als zahnloser Tiger zu starten und als Bettvorleger zu landen. Brautmeier will sich nun bissig zeigen und hat sich dafür die Super Nanny ausgesucht. Mit ihr und ihrem Sender RTL möchte er notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht gehen. Grundlage ist eine Folge der Super Nanny, in der vergangenes Jahr zu sehen war, wie eine überforderte Mutter ihr Kind nicht nur heftig mit Worten attackierte, sondern auch schlug. Der Kameramann griff dabei nicht ein, sondern filmte weiter."
So recht überzeugt scheint SZ-Autor Hans Hoff aber nicht von diesem Ansatz zu sein.
Und wenn wir schon bei der LfM sind: Wieder was los bei Carta! Zumindest ein "Aufruf zur Beteiligung", und zwar am LfM-initiierten Projekt jugendmedienschutz-gestalten.de:
"Es ist eine Ironie der Technikgeschichte, dass die Zukunft des Internets, seine Ordnung und Regulierung teilweise durch den lange belächelten Jugendschutz entschieden werden könnte",
schreibt Kai Burkhardt vom Institut für Medienpolitik. Es geht darum, den grundsätzlich wichtigen Bereich den mit neueren Medien als dem Privatfernsehen älteren Zuschnitts immer etwas fremdelnden Landesmedienwächtern sozusagen zu entreißen. Und das könnte ein durchaus überzeugender Ansatz sein.
Altpapierkorb
+++ Nachhut-Berichterstattung zum Chefredakteurs-Streit beim Focus, von dem die Süddeutsche gestern berichtete, treiben die TAZ knapp und die BLZ mit eigener Chefredakteurs-Beteiligung (Joachim Frank nebst Ralf Mielke) und eigenen Exklusivzitaten ungenannter Burda-Menschen ("Sommer der Entscheidung", "Showdown"). +++
+++ Oliviero Toscani, skandalbekannter Ex-Benetton-Fotograf, wurd der Jury der ersten Castingshow von Arte ("Photo for Life", gesucht wird ein "Superfotograf") vorsitzen und gibt daher der Süddeutschen ein Interview ("Ich habe jedenfalls nur mitgemacht, weil es Arte ist. Eigentlich ist es meiner Meinung nach unmöglich, Kultur und Fernsehen zusammenzubringen. Beides sind Gegensätze. Fernsehen macht aus Menschen Idioten. Deshalb bin ich eigentlich für die Abschaffung des Fernsehens. Alles im TV wird vulgärer, nur Arte widersetzt sich dem..."). Flankierend informiert die SZ "Die fünf TV-Episoden werden Ende 2011 auf Arte ausgestrahlt". +++ A propos fünf nochmal der Hinweis auf den gestrigen Tagesspiegel-Artikel zu Artes neuester Programmreform ("Arte produziert Filme über fünf französische Strände, fünf große und fünf kleine Tiere, fünf Orte an der Ostsee und etliches mehr"). +++
+++ Sozusagen über eine Quadriga-Preis-Posse in der deutschen Mediennische mit ihren üblichen Preisträgern informiert der Tagesspiegel heute: "Gibt Henryk M. Broder aus Protest einen Preis zurück, den er tatsächlich nie bekommen hat?" Anlass: Thilo Sarrazin. +++
+++ Die Geschäftslage der SPD-Medienholding DDVG wäre wohl gut, wenn sie nicht noch mit 40 Prozent an der Frankfurter Rundschau beteiligt wäre, deren Geschäftslage bekanntlich so schlecht ist, dass es mit ihrer Eigenständigkeit zu Ende geht. Kreuzfahrten dürften besser gehen als Zeitungen, daher steigt die DDVG verschärft in dieses Geschäftsfeld ein. Es berichten die FAZ-Wirtschaft sowie Ulrike Simon für den Zeitungsgeschäfts-Kompagnon BLZ. +++
+++ "'Es stinkt', sagt Stephan Luca als schnittiger Jung-Kommissar Marck zum Kollegen von der Spurensicherung. Dann blickt er auf und sieht vor sich die tollen Beine von Nadeshda Brennicke, die in absurd hohen Pumps enden...": hohe Schule des Fernsehfilm-Drehberichts in der FAZ. Dort (S. 35) berichtet Eva Berendsen von der Entstehung der Sat.1-Produktion "Wolff - Zurück im Revier", also der Wiederaufnahme einer älteren Serie. +++ Noch viel älter, aber auch bald wieder aufgenommen: "Dalli, dalli". In der BLZ erinnert Klaudia Wick an die alte Show, in der Hans Rosenthal z.B. Rainer Werner Fassbinder fragte: "Was unternehmen Sie, wenn Ihre Frau sich nicht wohlfühlt?" +++ Ebenfalls immer älter wird das gegenwärtige Fernsehpublikum. Über RTLs Strategie dem gegenüber sprach dwdl.de mit Geschäftsführerin Anke Schäferkordt. +++
+++ "All die Medienphilosphen und Kulturwissenschaftler, die McLuhan blind gefolgt sind, haben beträchtlichen Unfug verbreitet und einer ganzen Studentengeneration schwer den Kopf vernebelt. ... ... ... Was tun? Man sollte McLuhan in Ehren halten und nach jenen Sätzen Ausschau halten, die das Internet als Freiheitsmedium begreifen - nicht als Überwindung der Moderne, sondern als Erweiterung ihrer kritischen Möglichkkeiten", schreibt Thomas Assheuer in der Zeit (S. 39) zum heutigen 100. Geburtstag des 1980 gestorbenen Kanadiers Marshall McLuhan. +++ "Wer ernsthaft versucht, Flashmobs, Critical Mass oder die sogenannten "Facebook"-Revolutionen zu verstehen, wird sich zuerst an Marshall McLuhan orientieren", würde dagegen Martin Baltes (heise.de) sagen. Und sechs spektakulär klingende McLuhan-Sätze, nicht allein "Das Medium ist die Botschaft", sondern z.B. auch "Wir sind die Genitalien unserer Technologie. Wir existieren nur, um das nächste Modell zu verbessern", beglossieren sechs Autoren in der TAZ (hier untereinander). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.