Der böse Boulevard

Der böse Boulevard

Wie mächtig sind die Massenmedien? Wie wurscht ist Thomas Gottschalks demnächst startende ARD-Vorabendshow? Und wie geht es eigentlich dem Reitsportjournalismus?

Äh, sorry, wie Rupert Murdoch sagt, aber die Spekulationen zu einem Dauerbrenner der vergangenen Zeit sind hiermit endgültig beendet: Das Fragezeichen, das noch am Freitag gesetzt werden musste, kann gestrichen werden – Thomas Gottschalk geht zurück zur ARD. Punkt.

Am Freitag bestätigte die ARD, was wohl schon am Donnerstag bekannt gewesen war: "Ab Januar 2012 wird sich der Moderator und Entertainer viermal die Woche, von Montag bis Donnerstag, vor der 'Tagesschau' mit den unterhaltsamen Themen des Tages beschäftigen."

Aber wenigstens lässt sich immer noch über die Folgen dieser Toppersonalienbekanntgabe trefflich spekulieren. Über den Gewinn etwa, den Gottschalk der ARD bringen wird.

Ulrike Simon nimmt das mit dem "Gewinn" in der Berliner Zeitung vom Samstag eher betriebswirtschaftlich und schreibt:

"Bevor die Politik bei ARD und ZDF die vorabendliche Werbung abschaffen sollte, werden Jahre vergehen. Bis dahin hat sich das Engagement des derzeit größten deutschen Entertainers ausbezahlt."

Während Stefan Niggemeier in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom programmästhetischen und fernsehpublizistischen Standpunkt aus die Hypothese los wird, dass Gottschalks neue Sendung den in Seifenopern / Quiz, Wetter, Wissen mit Yogeshwar und Börse zerlegten ARD-Vorabend vereinen wird, ohne dass sich am Programminhalt etwas ändert.

Ein Gewinn wäre er dann vielleicht nicht, andererseits: Dass der ARD-Vorabend an Relevanz verlieren könnte, das glaubt ja nun auch wieder kein Mensch.

[listbox:title=Artikel des Tages[Simon über Gottschalk##Spreng über Kohl und Kirch##Richter über den Boulevard##Schneider über das Glashaus]]

Leo Kirchs Tod, dorflängs und -quer durchgerittene Sau des Freitags, ist, rein medial betrachtet, zumindest bis zur Beerdigung so gut wie vorbei. Der Spiegel klappert noch mit einem einspaltigen Nachruf hinterher: "Er war über Jahrzehnte ein natürlicher Gegenspieler des Spiegel" usw. Und der Name Kirch fällt auch noch auf der SZ-Medienseite (S. 13), wenn es um die Frage geht, "warum Rupert Murdoch in Deutschland kein Glück hatte". Die Antwort bleibt zwar aus, das Anekdotische allerdings, aus dem man sich selbst eine basteln kann, nicht.

Statt Kirch ist heute, nicht nur in dem kleinen SZ-Artikel, Murdochs schwer angekratztes Medienreich wieder das Thema der ausführlichsten Medientexte, jedenfalls wenn man davon absieht, dass die FAS auch die natürlich viel zu wenig betriebene Reitsportberichterstattungsberichterstattung übernimmt und den Reporter Carsten Sostmeier traf – den "Rolf Seelmann-Eggebert des Pferdesports" (oder war es der Baggersee-Sammy der seriösen Medien?).

Wobei wir beim Stichwort seriöse Medien dann, verknüpft mit Murdoch, auch beim nächsten Thema wären: Die Zweiteilung der Printwelt in seriöse Medien und Boulevardmedien hat ja eine lange Geschichte, die eine Geschichte von Kampfbegriffen ist, wie Nicolas Richters Leitartikel in der Süddeutschen vom Samstag wieder bewies.

"Medien, die sich seriös nennen, hat Rupert Murdoch immer als Zumutung empfunden. Sie seien, erklärte er gern, versnobt, elitär, ohne jedes Gefühl für das, was das Volk interessiere. Murdoch liefert lieber Sport, Unterhaltung, Klatsch und Sex, seine Ware fand, besonders im schadenfrohen Großbritannien, reißenden Absatz",

schrieb Richter. Im Hintergrund meinte man da schon beinahe Bild-Chef Kai Diekmann zu hören, mit einem Argument wie: Wenn das alles so schlimm ist, warum berichtete denn dann die Süddeutsche am Samstag im "Panorama" über ein Prominentenpornovideo?

Doch dann kam das eigentliche Argument:

"Der Boulevard tut so, als schütze er die Demokratie, kontrolliere die Mächtigen, entlarve die Prominenten. In Wahrheit interessiert sich die Zunft aber eben nicht für die Gründe der Bankenpleite, sondern dafür, wo und wie der Boss seiner Kollegin näherkam."

So richtig überzeugend ist die Trennung von Boulevard- und seriösen Medien allerdings trotzdem nicht (oder nicht mehr?). Boulevardmedien vs. seriöse oder Qualitätsmedien unterscheiden sich schließlich nicht so kategorisch und entlang einer eindeutig ziehbaren Grenze, wie die Begriffe vermuten lassen: Es gibt weiche Abgrenzungsmöglichkeiten, etwa ethische Fragen, die sich nur im Einzelfall beantworten lassen, Fragen des Agenda-Settings und des Zugangs zu Themen; diese weichen Abgrenzungen werden aber mit harten Kategorien – Boulevardmedien pfui, Qualitätsmedien hui – beschrieben. Irgendwie funktioniert das nicht. Oder anders gefragt, für was wird eigentlich Gottschalk hin und wieder auch von seriösen Medien gelobt, wenn nicht für sein Boulevardsein?

Die Frage, die im Fall Murdoch allerdings vor allem am Sonntag und heute gestellt wurde und wird, ist die nach der Wirkung von Medien.

Der Spiegel beschäftigt sich in seinem Murdoch-Text (S. 128 ff.) nicht nur mit den Folgen des Abhörskandals für das Murdoch-Imperium, sondern auch mit seiner Einflussnahme auf den politischen Betrieb:

"Gute Politik war für Murdoch das, was dem Imperium diente. Gefördert wurde, wer seine Ziele teilte. (...) Den politischen Niemand Ed Koch schrieb Murdochs 'New York Post' 1977 zum Bürgermeisterkandidaten hoch, weil beide Männer die Einschätzung zur Behandlung von Gewerkschaften teilten: 'Fertigmachen!'"

Was, alles in allem, doch so klingt, als hätten Massenmedien eine direkte Wirkung auf die politische Wirklichkeit; als würde Murdoch sich Politiker machen. Eine Einschätzung, der wiederum Stefan Niggemeier in der FAS (S. 21) nicht teilt, jedenfalls nicht in ihrer Pauschalität.

Auch er nennt ein paar Beispiele dafür, wie etwa die britische Sun (Murdoch) Politiker hoch- oder runterschrieb, wie 1992 Labour-Führer Kinnock (runter). Jedoch:

"Ausgerechnet die in ihrer Einzelstellung in Deutschland eher noch mächtiger erscheinende 'Bild'-Zeitung hat in den vergangenen Jahren einige gute Anhaltspunkte dafür geliefert, dass Menschen nicht einfach tun und denken, was ihnen ihre Medien vorgeben. Das vielleicht eindrucksvollste Indiz war der spektakuläre Misserfolg von Roland Koch vor drei Jahren".

Mit Machtlosigkeit sollte man das allerdings auch wieder nicht verwechseln.

"'Bild' ruft, Merkel springt', fasste der ehemalige 'Bild am Sonntag'-Chefredakteur Michael Spreng die Machtverhältnisse im vergangenen Jahr zusammen, als die Kanzlerin gerade zum zweiten Mal in kurzer Zeit nach einer Aufforderung per Schlagzeile abrupt ihre Position geändert hatte. Man kann sich ausmalen, wie oft ähnliche Manöver im Hintergrund, noch vor einer Veröffentlichung stattfinden. Die Macht, die eine Zeitung hat, lässt sich aus dieser Perspektive exakt angeben: Sie ist genau so mächtig, wie Politiker es ihr zuschreiben. Eine Zeitung muss das Volk gar nicht erfolgreich manipulieren können, um Macht zu haben, es genügt die Annahme, sie könnte es."

Und was gibt es noch für Vergleiche zwischen Großbritannien und Deutschland?

Lutz Hachmeister, Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM), wird von der Berliner Zeitung zum Umsatzranking der 50 größten Medienkonzerne der Welt befragt und sagt:

"Mit dem aktuellen Blick auf Großbritannien, wo Rupert Murdoch lange Zeit übermächtig war, könnte man sagen: Ein Land wie das unsere mit so vielen kleineren und mittleren Medienunternehmen ist ein glückliches Land."

Es folgen ein paar Abers.


Altpapierkorb

+++ Besagter Michael Spreng erinnerte in seinem Blog in, sagen wir, nicht völliger Transparenz am Freitagnachmittag an die Liaison Kirch-Kohl, und welche Folgen sie für die Medien hatte +++ Die Nachricht zum Thema Murdoch darf natürlich auch nicht vergessen werden: Die gemeinhin als Murdoch seniors "Vertraute" beschriebene Chefin der Zeitungsgruppe News International, Rebekah Brooks, die zur Zeit des Abhörskandals Chefredakteurin der inzwischen eingestellten News of the World war, ist festgenommen worden (siehe etwa Guardian oder Tagesspiegel)+++ Nach Brooks war zuvor auch Murdochs anderer "Vertrauter", Les Hinton, zurückgetreten, der den US-Verlag Dow Jones geführt hatte +++ Und auch der nächste Hut hängt wohl schon am Haken +++ Kommt es zur Zerschlagung von Murdochs Imperium? Muss er selbst zurücktreten? Wer würde sein Nachfolger? Wie geeignet wäre gegegebenfalls sein Sohn James? Alles Fragen, die heute irgendwo im Raum stehen +++ Übrigens: Murdochs "Entschuldigung für den Sender Fox News (USA) steht noch aus" (taz) +++

+++ Die Fußball-WM ist zu Ende. Daher: Leitartikel der Süddeutschen (S. 4) zur Entwicklung des Frauenfußballinteresses – Medienwirkungspopulärwissenschaft inklusive: "Bei Anlässen wie diesen wird von Skeptikern gern der Vorwurf formuliert, alles sei Resultat eines medialen Hypes. Richtig ist, dass das Fernsehen alle Spiele übertragen und viel Werbung gemacht hat, aber es hat immerhin darauf verzichtet, Waldemar Hartmann oder Ralph Morgenstern einen Platz im Programm einzuräumen, den Meistern des Männerwitzes. Es hat auch die Nachrichtensendungen nicht umsortiert wegen der WM. Verglichen mit dem Deutschland-sucht-den-Superstar-Krawall bei RTL oder vielen Promi-Geschichten in Bild, war die WM weit weg von einem Medienhype" +++ Mehr WM: "Ich war schon sehr traurig, dass jetzt auch die Mädchen anfangen, auf den Rasen zu rotzen. Diese Emanzipationsbestrebungen brauche ich nicht." Hella "Sie wollen mich also sprechen zum Thema Frauenfußball. Doch nur, weil ich lesbisch bin, oder?" von Sinnen im taz-Interview +++

+++ Im Text "Wir Glashausbewohner" im Tagesspiegel vom Samstag geht es mit angenehmer Ausgewogenheit um die Frage, ob und wie sich das Verhältnis von Privatsphäre und informationeller Selbstbestimmung wandelt +++ Die nicht behandelten Themen, die die Initiative Nachrichtenaufklärung zusammengestellt hat, sind Thema des taz-Medienseitenaufmachers +++ Den geplanten Verkauf von Hulu ordnet die Süddeutsche ein (S. 13) +++

+++ Fernsehen: Teile der "Gefühlsecht"-Reihe des ZDF besprechen BLZ, taz und TSP +++ FAZ (S. 27) und SZ (S. 13) besprechen die Reihe "Verdict revised – Unschuldig verurteilt" bei ZDFneo, jeweils montags um 23.30 Uhr +++

Das Altpapier stapelt sich am Dienstag wieder.

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