Hölle, Sumpf & Tränen

Hölle, Sumpf & Tränen

Heute mit den schroffen Abgründen des Murdoch-Journalismus, teils krassen des Online-Journalismus und eher langen und breiten des deutschen Magazinjournalismus.

Am Montag ließ im Wirtschaftsressort der Süddeutschen Lutz Hachmeister in einem (online verknappten) Artikel über die von ihm herausgegebene Medienkonzern-Datenbank mediadb.eu Revue passieren, wie sich die Rangliste der internationalen und deutschen Medienkonzerne seit deren erstem Erscheinen 1995 so verändert hat. Die Bertelsmann AG ist von Platz zwei auf Platz sieben gefallen, Springer von 28 auf 42, "von der pleitegegangenen Kirch-Gruppe blieb nur - in ausländischem Besitz - Pro Sieben Sat 1 übrig, Rang 40 im aktuellen Ranking". Und

"deutsche Medienkonzerne mit herkömmlichem Schwerpunkt auf Zeitungen und Zeitschriften, lange mit enormen Renditen gesegnet, wie Bauer, WAZ oder Holtzbrinck, finden sich heute nicht mehr unter den Top 50. Das muss nicht heißen, dass es ihnen und vor allem ihren Managern schlecht geht, aber sie werden zu potentiellen Übernahmekandidaten, gerade wenn man die Wucht des Marktzutritts neuer Spieler wie Apple oder Google betrachtet."

[Disclaimer: An mediadb.eu wirke auch ich mit.] Gerade "zerrinnen" allerdings der aktuelle Nummer drei des Rankings, Rupert Murdochs News Corp. Ltd., "die Milliarden" - trotz der Notbremse der News of the World-Einstellung. Das berichtet ebenfalls die Süddeutsche, die im deutschen Sprachraum die meisten aktuellen Murdoch-Artikel bietet. Die neueste Wendung besteht einer AFP-Meldung (KSTA, handelsblatt.com), die sich aufs Wall Street Journal beruft, zufolge darin, dass die Murdochs ihr gesamtes englisches Zeitungsgeschäft verkaufen wollen. Als gut informiert kann das Wall Street Journal insofern gelten, als es zum US-amerikanischen Zeitungsgeschäft der Murdochs gehört.

Tatsächlich färben der schlechte Ruf der NOTW und des täglichen Bolevardblattes Sun jetzt auch in deutschen Kommentaren auf die bislang in recht blendendem Ruf stehende, ebenfalls Murdoch-besessene Times und deren Sonntagsausgabe ab:

"Sun, News of the World, gar die Sunday Times - alle haben Schnüffler auf Mitbürger angesetzt, um privates Leben und Leiden auszuschlachten. In vielen dieser Fälle war gerade Rebekah Brooks Chefredakteurin. Heute leitet sie Murdochs Zeitungsgeschäft. Der gewöhnliche Anstand würde ihren Rücktritt gebieten, aber das ist im Hause Murdoch keine ernst zu nehmende Kategorie",

kommentiert Nicolas Richter in der Süddeutschen und hinterfragt gleich die Glaubwürdigkeit der Entrüstung des Ex-Premierministers Gordon Brown (Foto) Von dessen Tränen, in die Brooks ihn mit Enthüllungen über die Krankheit seines Sohns trieb, ist in vielen Schlagzeilen (z.B. politico.com) die Rede.

"Als Brown allerdings noch an der Macht war, als Minister oder Premier, klagte er selten über diese Exzesse. Der Unterschied zu damals besteht darin, dass er die Krawallpresse jetzt nicht mehr braucht",

schreibt Richter weiter. Andererseits handelt es sich immerhin um die "bislang schärfste Kritik eines hohen britischen Politikers an dem Medienkonzern" (TAZ). Das dürfte dazu beitragen, dass "der Bann, den Murdoch & Co. auf die britische politische Klasse ausüben, gebrochen wird", vertieft Dominic Johnson dann ebd..

"Auch ein seriöses Blatt wie die 'Sunday Times', sie gehört ebenfalls Murdoch, hat sich offenbar die Hände schmutzig gemacht. Diesen Sumpf trockenzulegen wird schwierig und langwierig. Und der Erfolg hängt auch von der Reaktion der Öffentlichkeit ab",

kommentiert die FAZ (S. 8) ähnlich.

Einen Blick in "die Abgründe des Online-Journalismus" wirft heute die Berliner Zeitung in ihrer "Verlinkt"-Kolumne. Gemeint sind einerseits das "Schreiben für Googles Suchergebnislisten", andererseits, dass hierzulande

"sich die Redaktionen gegenseitig beobachten und ihre Themen angleichen, wenn sie glauben, dass ein Konkurrent eine starke Geschichte gefunden hat".

Hier haben die Anlässe nichts mit Murdoch zu tun, sondern mit AOL (also dem Relikt des zeitweiligen Medienkonzern-Charts-Nr. 1 AOL-Time Warner). Der BLZ-Autor remixt den Artikel "AOL Hell: An AOL Content Slave Speaks Out", in dem Oliver Miller im Juni enthüllte, wie man anhand von ein- bis zweiminütigen Ausschnitten in einer knappen halben Stunde gut googlebare Besprechungen über Fernsehserien verfasst, mit Aussagen des Tomorrow Focus-Geschäftsführers Oliver Eckert aus dem Mai. Gegenüber meedia.de hatte dieser den Anteil "identischen Agenturmaterials" auf deutschen Nachrichtenportalen auf 80 Prozent beziffert.

Taufrisch sind die Anlässe also nicht. Aber dass, was nicht mehr als taufrisch gilt und nicht von Konkurrenten aufgegriffen wurde, in der allgemeinen Aufmerksamkeit und auf der eigenen Seite umso rascher runterrutscht, zählt ja zu den Problemen des Online-Journalismus. Welcher BLZ-Autor diese Kolumne verfasst hat, ist übrigens - cleverer Refinanzierungs-Schachzug oder technisches Versehen? - eine Exklusivinfo der Papierzeitung und dem Internet derzeit nicht jetzt doch zu entnehmen: sie stammt von Patrick Beuth.

[listbox:title=Artikel des Tages[Abgründe des Murdoch-Journalismus (SZ)##...des Online-Journalismus(BLZ)##...des Magazinjournalismus? (Niggemeier)##NDR/Maschmeyer-Einigung-Analyse (FAZ)##TV-Kritik mit Farocki-Maßstab (TAZ)]]

Geradezu beruhigend schließlich mal wieder, wenn die Abgründe des deutschen Printjournalismus weniger tief und steil ausfallen als vielmehr breit und lang. In diesem Sinne hat Stefan Niggemeier (auf dessen stern.de-Kritik wiederum die o.g. Debatte über das identische Agenturmaterial auf deutschen Nachrichtenportalen fußte) sich die mal wieder scharf Nannen-Preis-verdächtige Redundanz der aktuellen Spiegel-Titelstory (über Helmut Kohls Familienleben) vorgenommen und zunächst einmal zu einem heiteren "Rate das Magazin!"-Spiel remixt.

In der Analyse schöpft er dann den schönen Fachbegriff "Wichtigkeitsbeteuerungsübertreibung".


Altpapierkorb

+++Eine exklusive Info der Süddeutschen: Der große Fernsehfilmregisseur Oliver Storz ist gestorben. Zwei Nachrufe füllen die gesamte Medienseite. Im einen erinnert der frühere Medienseitenchef und grundsätzliche Coolness-Experte des Blattes, Alexander Gorkow, an Storz' Artikel für die Medienseite ("Die Stimme am Hörer nun fiel total aus dem Rahmen. Sie war ruhig, sogar zaghaft, dabei dezidiert. Sie war tief. Und sie war extrem cool. Am 22.Januar 2000 schrieb Oliver Storz seinen Beitrag für die SZ..."). Der andere stammt von Martin Walser ("Als wir das letzte Mal nebeneinander saßen - es ist ein halbes Jahr her - haben wir mehr geraucht als getrunken und mehr getrunken als geredet. Aber als ich heimfuhr, hatte ich das Gefühl, Oliver Storz habe mir sein ganzes Leben erzählt...") +++

+++ Ernst Elitz plädiert mal wieder, diesmal in BLZ/FR, und zwar dafür, dass nicht immer alle Intendanten aus den Biotopen der jeweiligen Sender kommen: "Im Zeitalter der Ellenbogenkonkurrenz muss die Intendantenriege sich für andere Erfahrungswelten öffnen, um die Abwehrhaltung gegen den Rest der Medienwelt zu überwinden und sich selbstbewusst auf Programme zu konzentrieren, in denen nicht abgekupfert und Quote mit Köpfen von den Privaten gekauft wird." +++

+++ Die FAZ-Medienseite 33 enthält einen Gegendarstellung des DAPD-Vorstands Martin Vorderwülbecke, der darauf besteht, anno 2009 nicht gesagt zu haben, die DPA "überflüssig" machen zu wollen. +++ Ebd. analysiert Hubert Spiegel die außergerichtliche Einigung zwischen Carsten Maschmeyer (AWD) und dem NDR: Maschmeyers "scheinbarer Erfolg schrumpft wie Kleinanlegers Altersvorsorge zusammen, wenn man dagegenhält, was der NDR erreicht hat. So darf der Sender die umstrittenen Beiträge nicht nur in seinem Internet-Angebot vorhalten, sondern auch abermals senden, 'wenn es hierfür einen aktuellen journalistischen Anlass gibt'..." +++

+++ Kaum hat Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft abgegeben und ist so "ein wenig aus dem medialen Scheinwerferlicht" getreten, wendet sich die dortige Regierung verschärft gegen die Medienfreiheit, zum Beispiel in Online-Kommentare, berichtet Ralf Leonhard in der TAZ. +++ Siehe auch sueddeutsche.de. +++ Außerdem vielerorts Thema: das kino.to-Nachfolgeportal kinox.to. "Der Kampf um die früheren Nutzer von kino.to hat begonnen", sagte eine Sprecherin der GVU (Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen) dem Tagesspiegel. +++ "Jetzt jagt der Dresdner Staatsanwalt die Online-Piraten von Kinox.to!" (bild.de). +++

+++ Und gelungen im Sinne Harun Farockis, der Fernsehdokumentarismus einmal als das "Verfahren, Dokumenten den Sinn abzupressen, den man am bequemsten brauchen kann; (…) das Verfahren, Bild- und Tonmaterial entweder so aufzunehmen oder so zu organisieren, dass man nur erfahren kann, was man schon wusste", definierte, findet die TAZ die heutige ARD-Sendung zum Loveparade-Unglück vor einem Jahr. +++ Nicht gelungen im gängigen Sinne (Einschaltquoten, Marktanteil) ist die gestrige des ZDF (dwdl.de). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.
 

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