Interview, Interview, Interview, Interview: Spiegel-Interview mit Günther Jauch, SZ-Interview in eigener Sache mit Springer-Chef Mathias Döpfner, Peter-Hahne-Interview mit Samuel Koch, kein Künast-Interview im Focus.
Vier Interviews. Und was wissen wir danach?
Wir wissen jetzt etwas mehr darüber, wie es Samuel Koch geht, dem bei "Wetten, dass..?" verunglückten Wettkandidaten, der nun im Rollstuhl sitzt. Hahnes Interview mit ihm (siehe Berliner Zeitung) war Boulevard im besseren Sinn, sozusagen. Ein Gesellschaftsgesprächsthema ohne klassischen Nachrichtenwert.
Die entscheidende Grenze aber verläuft bekanntlich nicht zwischen Qualitäts- und Boulevardjournalismus, sondern zwischen Journalismus und Publikumsverarsche. Zu was davon gehört die Berichterstattung über den Nachfolger von Thomas Gottschalk bei "Wetten, dass..?" Gehört es vielleicht in einen Graubereich? Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schreibt:
"Es ist, auf eine sehr theoretische Art, natürlich faszinierend, wie viel Stoff Journalisten aus wie wenig Fakten (Gottschalk geht, weiß noch nicht, was er macht, Nachfolge steht noch nicht fest) schaffen können. Dass sich die Fülle der produzierten Inhalte umgekehrt proportional zur Menge des Ausgangsmaterials verhält, scheint eine einzigartige Anomalie unserer Medienwelt zu sein." (Link von AP)
Die neueste Nicht-Nachricht in dieser Sache, die wir gerne weitertratschen, betrifft die Ansage von Jörg Pilawa, "Wetten, dass..?" sei "zurzeit für mich gar kein Thema". Er hoffe vielmehr, dass Gottschalk noch ein paar Jahre dranhängt. Was er nicht tun wird. Was Pilawa genauso gut weiß wie alle anderen. Was die Frage aufwirft, was "zurzeit" eigentlich genau bedeutet. Was die These der FAS dann eher nicht widerlegt.
Weiter geht es hier mit der Frage, als wie weltbewegend das Spiegel-Interview mit Günther Jauch (S. 136-139) bezeichnet werden sollte. Wir erinnern uns: Jauch kommt im September zu ARD und nimmt Anne Wills Sendeplatz ein.
Zunächst einmal ist zu besagtem Interview zu bemerken, dass es in sieben längenmäßig jeweils überschaubare Teile gegliedert ist, die überschrieben sind mit den Zwischentiteln "Der Talk-Praktikant", "Der Öffentlich-Rechtliche", "Der Journalist", "Der Unterhaltungs-Fuzzi", "Der Unternehmer" (siehe hierzu Foto, dpa vom April), "Der Privatmann" und "Der Jäger und Gejagte".
Das ist nicht schlecht: Das ist der Orientierung darüber, mit wem man es zu tun hat, eher dienlich, als dass es das Gespräch zerstoppeln würde.
Allerdings könnte man wohl sechs der sieben Teile wegwerfen und sich auf den Aspekt des "Talk-Praktikanten" konzentrieren – so lesen sich jedenfalls die Zusammenfassungen des Gesprächs in der Konkurrenz; etwa Süddeutsche Zeitung (via dpa), taz und Tagesspiegel fassen es heute von kurz über mittelausführlich bis recht ausführlich zusammen und halten sich dabei ziemlich streng an die Aspekte, die Der Spiegel selbst in seiner "Vorabmeldung" vorschlägt. Konkret geht es dabei darum, dass Jauch, wenn seine ARD-Talkshow beginnt, wohl nicht sofort perfekt sein werde. Er habe "keinerlei Ambitionen, alles auf den Kopf zu stellen. Ich werde da", also im Bereich der Talkshow, "nicht zum Revolutionär." Klingt erstmal wow, zugegeben. Ist aber eine klassische Hund-beißt-Mann-Meldung. Als Porträtinterview taugt das Gespräch eher als zur Nachrichtenproduktion.
[listbox:title=Artikel des Tages["The future is free. Wir kennen die Sprüche" (Döpfner in SZ)##Künast im Focus-Interview. NICHT##Samuel Koch bei Hahne (BLZ)##Keine Angst! (Stefan Niggemeier)]]
Ein wenig Furore macht derweil Focus mit einem Interview. Lustigerweise mit einem, das nicht im Focus steht. Das Interview mit der Grünen Renate Künast sei aus dem Focus gekippt worden, heißt es. Die Berliner Zeitung schreibt, dass die Grünen das Interview nun selbst online gestellt hätten. Das trifft zu. In der Kurzmeldung der taz heißt es: "Angeblich sei das Interview zu langweilig. (...) Den wahren Grund vermuten die Grünen jedoch im aktuellen Titel des Magazins. Der lautet: 'Die Entzauberung der Grünen'."
Womit Focus wieder einmal alles etwas anders macht als die anderen: Während Focus die Grünen entzaubert, pinkeln Axel Springer, Der Spiegel und die FAZ im Kollektiv, wenn auch vermutlich eher unabgesprochen, die Regierung an.
Eine noch größere Koalition hat sich allerdings bekanntlich gegen die Öffentlich-Rechtlichen zusammengetan. Neue Nachrichten aus dem Themenfeld Verleger vs. Öffentlich-Rechtliche – neu ist ja relativ – hat das Interview der Süddeutschen Zeitung mit Springer-Chef Mathias Döpfner generiert, das am Samstag weite Teile der Medienseite einnahm und das auch frei (Kampfbegriff: free) online steht.
Nicht dass nicht schon alles über die Geschichte mit den Apps der Öffentlich-Rechtlichen und den Verlagen gesagt wäre, siehe zu den letzten Entwicklungen etwa das Altpapier vom Donnerstag und vor allem dieses über das "Comeback des dicksten Hundes". Fassen wir trotzdem noch einmal kurz zumindest zusammen, wer da gerade beteiligt ist:
Zu den Klägern gegen die "Tagesschau"-App gehörten die WAZ-Mediengruppe, der Axel Springer Verlag ('Welt', 'Bild'), die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Medienholding Nord, die Verlage M. DuMont Schauberg und Lensing-Wolff sowie die Rheinische Post, zitierte das zu Axel Springer gehörende Hamburger Abendblatt dieser Tage den WAZ-Geschäftsführer.
Die SZ macht es nun ähnlich wie das Abendblatt, sie hält sich raus und zitiert einfach den Chef eines anderen Beteiligten, hier den Axel-Springer-Chef, um ihren Lesern den Klagegrund zu verklickern. Erste Frage: "Herr Döpfner, warum klagen Sie jetzt beim Landgericht Köln gegen die Tagesschau-App der ARD, die es seit Dezember 2010 gibt?"
Wir fragen uns als Leser diverser auf die Wir-Form fixierter journalistischer Organe ja selten, ob das "Wir" nicht angemessener gewesen wäre – aber hier dann doch: Hätte es an dieser Stelle nicht "wir" statt "Sie" heißen sollen? Oder hätte das die Objektivität am Ende zu sehr beeinträchtigt?
Konkret gibt Döpfner, sieht man von dem ganzen Lobbyschrott ab, den er diplomatisch wie kein Zweiter formulieren kann, eine Antwort auf die Frage, welches Problem man als Verlag nun eigentlich mit einer App haben könnte, das man (worauf Stefan Niggemeier hinwies) mit einer Website wie tagesschau.de ja offenbar nicht mehr hat:
"Wir haben im Internet leider generell eine Gratiskultur sich etablieren lassen, die nur schwer zu revidieren ist. Bei den Apps, bei den mobilen Angeboten auf Smartphones und Tablets, den digitalen Lesegeräten, also den Zeitungen und Zeitschriften der Zukunft, gibt es zum Glück eine Zahlgewohnheit. Es wird für alles bezahlt: für jedes Telefonat, jede SMS, MMS, für Apps."
Was bedeutet: Die Öffentlich-Rechtlichen sollen ein Angebot vor allem deshalb zurückziehen, weil die Verlage nicht gleich getan haben, was sie im Nachhinein gerne getan haben würden.
Hingewiesen sei noch darauf, was in der ewigen Diskussion über die Frage, was die Öffentlich-Rechtlichen dürfen, als Drohkulisse herumsteht und theoretisch auf die Bühne geschoben werden kann. Es steht im Döpfner-Interview ganz am Schluss:
"(D)ie Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Systems bewegt sich in der digitalen Welt auf dünnem Eis. Meine Prognose ist: Je schamloser ARD und ZDF jetzt ihren Siegeszug, unterstützt von der Politik, fortsetzen und private Qualitätsangebote in die Knie zwingen, desto schneller kriegen wir diese Grundsatzdebatte."
Super, der dickste Hund kann immer noch lauter bellen.
Altpapierkorb
+++ Das Fernsehprogramm zur laufenden Fußball-WM: "The Other Chelsea – Eine Geschichte aus Donezk" wird besprochen von der FAZ (S. 33), von Altpapier-Autor in der SZ (S. 15) und kurz vom Tagesspiegel +++
+++ Das Internet: Der Tagesspiegel behandelt das Prinzip der Wikis +++ Die FAS widmete den Medienseitenaufmacher Facebook und der Sperrung von Mitgliedern, die zu viel liken – sie könnten gekauft sein, etwa über fanslaves.com +++Auch Facebook war Thema in der Samstags-FAZ, die (S. 40) der Facebook-Kultur "unheimliche Züge" attestierte – und die Facebook-Partys meinte, die sich mehren, etwa in einem Landschaftsschutzgebiet: "Für das alles kann man natürlich nicht Facebook und vergleichbare Portale verantwortlich machen, sie sind eben nur Medien, mit denen Menschen ihren Beziehungsstatus, ihr Lieblingsessen, ihre Vorlieben, Wünsche und Pläne mitteilen und nun gern großzügig 'Einladungen' aussprechen – mit, wie man sieht, sehr realen Folgen" +++
+++ Stefan Niggemeier korrigiert in seinem Blog ein paar Details und mindert so Josef Joffes Sorge, man könne die Deutschen im Ausland wegen des Atomausstiegs für bescheuert halten +++
+++ Die taz schaut, heute als einzige, ins Ausland und widmet sich den Verhältnissen, unter denen Journalisten in Italien den Platz zwischen den Anzeigen füllen +++
+++ Und dann sind da noch der Boom der Huffington Post trotz Schadensersatzklage (SZ) +++ Und Blicke auf das mediale Drumherum der Frauen-WM (TSP) +++
Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag gegen 9 Uhr.