Die DDR schleicht sich in den Mediendiskurs ein. Journalisten wehren sich gegen die staatliche Speicherung ihrer Handydaten. Außerdem: Zeitungsphilologie und theatrale Rechtsprechung.
Die WAZ-Gruppe scheint in diesen Tagen das Medienhaus zu sein, das hier zu Lande am meisten Lärm macht. Der Konzern ist nicht nur mit sieben Unternehmen an der Klage beim Landgericht Köln in Sachen „Tagesschau“-Smartphone-App (siehe zum Beispiel das gestrige Altpapier). Krawall macht die WAZ auch an einer anderen Front. Gemeimsam mit Bauer, Burda und Klambt hat man die Aktion „Erste Reihe für die Umsatzbringer“ ausgeheckt (kress.de). Die Unternehmen wollen ihre Yellow-Press-Titel am Kiosk besser platziert sehen. Bisher hatte Bauer auf diesem Feld allein gekämpft, dabei beispielsweise eine so genannte Regalverstopfung als Übel ausgemacht.
Auch sonst sind es keine ruhigen Tage in Essen. Der Presserat hat in einer persönlichkeitsrechtlichen Causa gerade eine Missbilligung gegen drei WAZ-Titel ausgesprochen: die aktuelle, Die Zwei und SuperTV (Meedia berichtet). Vor allem brodelt es intern, weil sich die Verlegerclans beharken. Bezug nehmend auf einen Artikel im Manager Magazins, schreibt die Süddeutsche, es gehe dabei um „drei lange geheime Verträge“.
Steffen Grimberg setzt in der taz noch einen anderen Akzent:
„Da die WAZ-Gesellschafter mal wieder munter miteinander beschäftigt sind, droht ein anderer Umstand ein bisschen aus dem Blick zu geraten: Im Ruhrgebiet fallen die Auflagen der WAZ-Titel weiter dramatisch. Die einst stolze Westfälische Rundschau aus Dortmund verkauft sich in der Stadt des Fußballmeisters gerade noch rund 50.000-mal am Tag, der biedere Erzkonkurrent Ruhr-Nachrichten schafft nach eigenen Angaben fast das Doppelte. Und die Rosskur, bei der die NRW-Titel ein Drittel ihrer rund 900 Redaktionsstellen abbauten, hat der Konzern immer noch nicht verdaut.“
Neben einem Artikel zum internen Kleinkrieg bei der WAZ hat das heute erscheinenende Manager Magazin auch ein Apple-kritisches Interview mit Springer-Boss Matthias Döpfner im Angebot. Die Vorabmeldung enthält einen Schenkelklopfer:
„Apple hat das DDR-Marketing in genialer Weise reetabliert: Es gilt das Prinzip der Verknappung, wer etwas haben will, muss sich hinten anstellen. Apple biedert sich nicht an, sondern entzieht sich seinen Kunden. Und wirkt dadurch besonders begehrenswert."
Alles aufzulisten, was an diesem diesem Statement krude ist, würde wohl zu weit führen. Nur so viel: Klingt da vielleicht eine insgeheime Bewunderung für das „Marketing“ der DDR an? Meedia illustriert die Interview-Aufbereitung mit einem Bewegtbild-Verweis auf die noch nicht so lange zurück liegende Vergangenheit Döpfners als Apple-Fanboy. Insbesondere den Springer-Hierarchen hat sich Jakob Augstein in seiner Kritik an den oben erwähnten Tagesschau-App-Gegnern als Kontrahenten ausgeguckt. Etwas problematisch ist hier allein die Überschrift, die wohl nicht von Augstein stammt, sondern von der Redaktion von Spiegel Online: „Das Internet gehört uns allen.“ Das trifft in einem sehr begrenzten Maße allenfalls für jene von „uns“ zu, die Aktien von beispielsweise Amazon, Google oder Facebook besitzen.
Hilary Clintons Berater Alec Ross würde sich mit Döpfner, trotz gradueller Meinungsunterschiede, wohl bestens verstehen. Was politisch aufgeladenes Wortgeklingel angeht, sind sie jedenfalls auf einer Linie.
„The Che Guevara of the 21st century is the network“
- das hat der US-Regierungsvertreter Ross gerade auf einer Veranstaltung des Guardian gesagt. Es ging in dem Vortrag unter anderem um die „leaderless movements“ in der arabischen Welt. Ob die wirklich „führerlos“ sind, sei einmal dahin gestellt. Wie auch immer: Im Text zum Video gibt der Guardian Ross‘ Zitat eine andere Bedeutung, indem er paraphrasiert, „das Internet“ sei „der Che Guevara des 21. Jahrhunderts". Man sollte in diesem Zusammenhang vielleicht daran erinnern, dass eine andere US-Regierung Che Guevara umbringen ließ.
Angesichts solcher Schaumschlägerei ist es ganz erfrischend, sich der Pingeligkeit auszusetzen, mit der vor einem halben Jahrhundert die Sprache in den Medien seziert wurde. Wie wir jetzt ausgerechnet darauf kommen? Die Zeit hat in ihrer aktuellen Ausgabe (S. 22) den hübschen, seit 1962 offenbar eher selten verwendeten Begriff „Zeitungsphilologe“ revitalisiert. So einer war der 1970 verstorbene Friedrich Kellner. Jetzt sind die Tagebücher, die der Beamte während des NS-Zeit führte, erschienen. „Vernebelt, verdunkelt sind alle Hirne“ lautet der Titel des „Jahrhundert-Dokuments“. Die Tagebücher, so die Zeit, lieferten unter anderem die Erkenntnis, dass jeder Normalbürger allein anhand der Lektüre der NS-Propagandapresse über die Menschenheitsverbrechen des Regimes Bescheid hätte wissen können:
„Vor allem die jedermann zugänglichen Zeitungen waren Kellners Quellen. Er verfügte weder über Einblick in Geheimdokumente, noch konnte er wie die Exil-SPD für ihre Deutschland-Berichte auf ein Netz von Zuträgern zurückgreifen. Der entscheidende Unterschied zu anderen ‚Volksgenossen‘ war wohl, dass Kellner mit wachem Verstand die NS-Propaganda las und nicht an der allgemein verbreiteten Amnesie litt. Im Gegenteil: Die jeweils aktuelle Propagandawelle setzte er in Beziehung zu dem, was oft nur wenige Wochen zuvor berichtet worden war oder was die NS-Funktionäre vor Jahren gesagt und geschrieben hatten. So konnte ... ein einfacher Mann ohne höhere Schulbildung den wahren Kern des Regimes erkennen.“
[listbox:title=Artikel/Videos des Tages[Griechenland-Berichterstattung - eine Fundamentalkritik (Zapp)##Der Superman des neuen Medienjournalismus (Funkkorrespondenz)##Journalistenbeschwerde in der Causa Dresdner Handydatenskandal (taz)]]
Um Propaganda zu durchschauen, eignet sich diese Art der „Philologie“ auch in freundlicheren Zeiten wie diesen - zumal man dafür heute ja für nicht einmal Zeitungen aufbewahren muss. Ein aus anderen Gründen sehr bedeutsames Werk, das posthum erschienen ist, würdigt Ekkehard Knörer in aller Ausführlichkeit im Freitag: „Medien der Rechtsprechung“ von Cornelia Vismann (S. 17). Er schreibt über das auf einer „psychoanalytischen Grundlegung“ basierende Werk, das in den vergangenen Wochen eine neue Aktualität gewonnen hat:
„Die Rechtsprechung ist, so die zentrale These von Vismann, ihrer Natur nach theatral ... Dass alle Beteiligten vor Gericht und im Gericht etwas spielen, ist für die Funktion des Rechts essenziell.“
Die „kritische Pointe des Buchs, so Knörer, laute:
„Je mehr die Live-Medien die Regie übernehmen, desto weniger funktioniert das Gericht ... als Theater. Noch dürfen die Fernsehkameras nicht von Prozessen in deutschen Gerichtssälen berichten. Für aufhaltsam hält Vismann die Entwicklung dahin aber nicht.“
Altpapierkorb
+++ Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft Dresden haben sechs Journalisten der taz eingelegt, die von der massenhaften Speicherung von Mobilfunkdaten im Zusammenhang mit den Demonstrationen gegen einen Naziaufmarsch im Februar betroffen sind. Die Beschwerdeführer waren allesamt vor Ort. „Unsere betroffenen Journalisten können ihren Gesprächspartnern und Informanten vom 19. Februar nicht die Vertraulichkeit gewährleisten, die sie ihnen versprochen haben. Mit der Dokumentation der Kommunikationsdaten zahlreicher Journalisten wurde am 19. Februar die Grundlage der Pressefreiheit staatlich außer Kraft gesetzt", sagt Chefredakteurin Ines Pohl. Von der FAZ sind in der Causa sächsischer Handydatenskandal eher überraschende Töne zu vernehmen: Unter der Überschrift „Teheran, Damaskus, Minsk – Dresden“ schreibt Constanze Kurz auf S. 40: „Man erzeugt Profile, wie sie sonst nur in Diktaturen missbraucht werden.“
+++ Den Superman des „neuen Medienjournalismus“ hat die Funkkorrespondenz entdeckt: Alexander Krei heißt der Mann, und er arbeitet bei dwdl.de. Einer Liste der FK ist zu entnehmen, dass Krei, sofern die Autoren- und Veröffentlichungsdaten seines Brötchengebers stimmen, am Sonntagmorgen zwischen 8.46 und 10.25 Uhr gleich sechs Artikel schrieb, nachdem er kurz nach Mitternacht noch eine Rezension zu „Wetten, dass ...“ in die Tasten gehauen hatte. Wir hoffen, dass der Kollege zwischendurch noch Zeit fand für ein gepflegtes Frühstücksei.
+++ Außerdem in der FK: „Sky-Chef Brian Sullivan verdient 1,9 Millionen Euro im Jahr.“ 704.000 Euro fallen in die Kategorie „erfolgsabhängige Vergütung“.
+++ Der Blogger und Griechenlandberichterstattungs-Kritiker Michalis Pantelouris sagt im Interview mit dem NDR-Magazin „Zapp“: Wer hier zu Lande nur zwei Zeitungen lese, werde, selbst wenn es „Qualitätszeitungen“ seien, nicht ausreichend über die Griechenland-Krise informiert. Das online verfügbare Gespräch ist mehr als 23 Minuten lang, im Fernsehen liefen davon nur ein paar Sekunden.
+++ Die iranische Fotojournalistin Mayam Majd, die sich unter anderem dafür einsetzt, dass Frauen in ihrem Land Zugang zu Fußballstadien bekommen, darf nicht zur Frauen-Fußball-WM in Deutschland reisen (Al Arabiya). Sie wurde in Teheran verhaftet.
+++ Mit dem Thema Atomwaffen im Iran beschäftigt sich der bekannte Investigativjournalist Seymour Hersh. Die USA, schreibt er im New Yorker (Kurzfassung hier), hätten „keine unwiderlegbaren Beweisstücke für ein laufendes geheimes Nuklearwaffenprogramm im Iran gefunden“. Über Hershs Recherchen berichtet wiederum der Freitag (S. 10)
+++ Eine Zeugenaussage im Prozess um den Kinderkanal-Skandal lässt Frank Beckmann, der früher Programmdirektor des Erfurters Senders war und diesen Job heute beim NDR macht, in nicht allzu gutem Licht erscheinen. Einzelheiten dazu in der taz.
+++ Eine adäquate Aufarbeitung der Causa Kinderkanal in der Titanic steht unseres Wissens noch aus. Dafür hat sie jetzt immerhin den Nahostkonflikt gelöst. Über den Verhandlungserfolg in Jerusalem berichtet Leo Fischer, der Chefredakteur des Magazins, in der Jüdischen Allgemeinen.
+++ Der Degeto-Film „Der Duft von Holunder“ (20.15 Uhr, ARD) verdient hier heute eine Erwähnung, weil die vorliegenden Kritik bei tittelbach.tv und von Tillmann P. Gangloff (nebenan) die Vermutung nahe legen, dass es dabei am Rande auch irgendwie um Journalismus gehen könnte. Jedenfalls ist die Protagonistin Restaurantkritikerin.
+++ Zur selben Zeit im Programm, aber nur im Pay-TV: Steven Spielbergs Serie „Falling Skies“. Spielbergianer werden sie mögen, „selbst wenn (...) das zwischen Angst, Hass und Mitleid mäandernde Gefühl gegenüber den Aliens Genrekennern allzu bekannt sein dürfte“, glaubt der Tagesspiegel. Ähnlich der Tenor bei Focus Online: „Insgesamt drängt sich ... der Eindruck auf, das alles schon einmal gesehen zu haben, nicht nur in Spielbergs eigenem ‚Krieg der Welten‘, sondern auch in jüngeren Genre-Vertretern wie ‚District 9.‘“
+++ Die Süddeutsche widmet ihren Medienseiten-Aufmacher dem bereits am späten Mittwochabend in der ARD gelaufenen WWF-kritischen Dokumentarfilm „Der Pakt mit dem Panda". Die Recherchen des Regisseurs Wilfried Huismann über „die einflussreiche Umweltorganisation (...) mit ihren jährlich etwa 500 Millionen Euro an Spenden“ legten nahe, „dass die Gutgläubigkeit der Spender stellenweise gehörig strapaziert wird für Interessen, die kaum der Bewahrung des Planeten dienen“, schreibt Lars Langenau. Aktueller Anlass des Artikels: Der Film läuft heute noch einmal bei Eins Extra.
+++ Dem Phänomen, dass im Kindle-Bookshop die Zahl der „Spam-Bücher“ wächst, widmet sich das Feuilleton der Süddeutschen (S. 15). Die Nachrichtenagentur Reuters hat sich damit vor rund einer Woche schon recht ausführlich beschäftigt.
+++ Lady Gaga und Slavoj Zizek sind nicht miteinander befreundet. Wie die New York Post auf einen Fake herein fiel, berichtet Salon.
+++ Nachbetrachtungen zu der gestern gemeldeten Verleihung der Grimme Online Awards liefern die taz, der Tagesspiegel und Altpapier-Autor Klaus Raab bei freitag.de.
+++ Eine eher verquere Position über einen der Preisträger, das GuttenplagWiki, hat kürzlich der Zeit-Redakteur und Netzskeptiker Adam Soboczynski formuliert. Darauf wiederum geht nun das IBI-Blog der Berliner Humboldt-Uni ein. Der Beitrag nimmt überdies die gesamte „postdemokratische Netzgesellschaftstheorie“ des auch im Altpapier schon verarzteten Soboczynski auseinander: „Es ist überhaupt an sich nichts Schlechtes an einem gesunden Elitismus zu finden. Die Frage ist nur, wie man ihn konstruiert. Soboczynski konstruiert ihn bedauerlicherweise mit sehr wenig Überzeugungskraft, da er seine Stammtischlerei nur selten mitreflektiert. Sonst würde ihm auffallen, dass ein einsilbiges Fluchen auf ein Werkzeug, manchmal die Werkzeugmacher und ansonsten die paar Webhandwerker, deren Arbeit er sich zusammengoogelt, im toten Winkel ignoriert, dass die Mehrheit der einfachen Internetnutzer einen ziemlich gelassenen, zuweilen sanftmütig amateurhaften Umgang mit dem Medium pflegt, welches ihre Welt ein wenig bereichert, sie jedoch weder voyeuristischer noch pöbelhafter noch naseweiser noch höflingshafter werden lässt. Die maßlose Überschätzung des Mediums teilt Soboczynski also mit denen, die er in schmucken Schimpfgirlanden einwickelt ...“
+++ Das Internet-Thema in Soboczynskis Zeitung ist in dieser Woche Eli Parisers im Herbst 2012 (!) in Deutschland erscheinendes Buch „The Filter Bubble“, in dem der Autor die Befürchtung äußert, dass die entsprechend unserer Vorlieben algorithmisch „vorsortierten“ Google-Suchergebnisse und Facebook-Feeds eine Art Isolation bewirken. Diese Form der Personalisierung sorge dafür, dass jeder nur noch die Meinungen wahrnehme, die seinen eigenen nahe kämen. Ein Interview mit Pariser findet sich hier, eine aktuelle Gegenposition hier.
+++ Für Medienkongresstouristen ist es erfreulich, dass es nach dem Ende des Medienforums NRW in Köln ebendort gleich mit der Creativity & Business Convention (#cnb11) weiter geht. Weniger erfreulich ist, dass die dort präsentierten Inhalte „schafsdumm“ bzw. „kläglich“ sind. So sieht es jedenfalls Oliver Jungen, der für die FAZ drei Podien begutachtet hat (S. 43). Die Kläglichkeit habe „viel damit zu tun, dass es hier wieder einmal um Medien allein unter Monetarisierungsperspektive ging, um Content, nicht Inhalt.“ Sein etwas kryptisches Fazit: „Es war, als sei man unter elektronischen Bauern, die um jeden Preis die Milchquote steigern wollen, auch wenn dabei der Euter platzt: eine Milchmedienrechnung“.
+++ Wohlwollend fällt dagegen der FAZ-Bericht vom Global Media Forum im benachbarten Bonn aus - wenngleich das Zitat, das Matthias Hannemann aus der „wohl eindrucksvollsten Runde des Forums“ (mit „acht Bloggern von Marokko bis zum Irak“) liefert, dann doch ein bisschen dünn wirkt: „Das Internet, sagte Suhail Algosaibi aus Bahrein, habe ‚auch eine sehr dunkle Seite. Die Ära der nazihaften Propaganda ist nicht vorbei.‘“ Das liegt aber schlicht daran, dass es weiterhin Nazis gibt. Mit den „dunklen Seiten“ des Internets hat das eher wenig zu tun.
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.