Hannelore Kohl in der mediale Verwertungskette. Und eine syrische Bloggerin, die sich als amerikanischer Student in Schottland herausstellt
Am Freitag ist Peter Boudgoust zum neuen Intendanten des SWR gewählt worden. Das fand niemand aufregend, und Michael Hanfeld schließt in der Samstags-FAZ (Seite 37):
"Vor fünf Jahren war die Wahl im SWR noch um einiges spannender als jetzt. Damals trat Boudgoust gegen den Fernsehdirektor Bernhard Nellessen und gegen den heutigen Deutschlandradio-Intendanten Willi Steul an. In einem allseits als respektabel bewerteten Wettbewerb setzte sich Boudgoust damals mit 62 von 83 abgegebenen Stimmen durch. Seither hat sich im SWR viel verändert, angefangen beim Intendanten, der allerdings immer noch derselbe ist."
Immer noch derselbe ist auch Thomas Gottschalk. Wie sehr derselbe, zeigt Alexander Kühn im Spiegel (Seite 143), der schon mal das kommende Malle-Sommer-Abschied-Special tickert:
"23.16 Uhr: Eurovisions-Fanfare. Wieder einmal hat Thomas Gottschalk gezeigt, was zeitgemäße Unterhaltung ist. Sein Nachfolger wird es verdammt schwer haben. Das sagen alle."
Ob "Joko" Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf als Nachfolger im weiteren Sinne in Frage kommen, ist noch offen. Die Quoten bei der ersten Samstagabendshow auf Pro7 waren gut, Katharina Miklis etwa findet aber auf stern.de, dass die beiden nicht mehr "witzig" sind.
Für die älteren uns erzählt derweil Barbara Sichtermann im Tagesspiegel die Geschichte der deutschen Showmaster nach dem Krieg anhand von Personen, die in dieser Erzählung auch irgendwie immer dieselben sind.
Über Hannelore Kohl kann man dagegen noch etwas Neues erfahren. Und darüber etwas, und deshalb ist die einstige Kanzlergattin hier ein Thema, über mediale Verwertungsketten.
Der ehemalige WDR-Redakteur und Kohl-Memoiren-Mithelfer Heribert Schwan hat ein Buch geschrieben ("Die Frau an seiner Seite: Leben und Leiden der Hannelore Kohl", Heyne). Das hat Jan Fleischhauer für den Spiegel gelesen und aus der Nacherzählung einen eigenen Text gemacht, der sich in der Unterzeile noch journalistisch anhört:
"Kein zweiter Journalist hatte so engen Umgang mit Hannelore Kohl wie der Filmautor Heribert Schwan, ihm vertraute sie Dinge an, die sie selbst Freundin vorenthielt. Jetzt hat er daraus ein Buch gemacht – über das Leben, vor allem aber das Leiden der Kanzlergattin."
Der Text selbst handelt dann nicht von Schwan, sondern vom Buch, vor allem von dessen Inhalten.
Sonja Pohlmann schickt nun im Tagesspiegel einen Text hinterher, der auch – deshalb auch Medienseite – auf Schwan abhebt ("So nah wie Heribert Schwan ist wohl kein Journalist an die Kanzlergattin herangekommen"), aber ebenfalls das Buch nacherzählt, wobei man nicht weiß, ob Pohlmann es selbst gelesen hat oder sich auf das Hand-out Fleischhauers bezieht:
"Dass sie 1945 in den letzten Kriegstagen als Zwölfjährige auf ihrer Flucht aus dem sächsischen Döbeln in den Westen von russischen Soldaten mehrfach vergewaltigt worden ist. Schwan ist der erste Biograf, der ihr Trauma so offen schildert. Die Männer hätten sie nach der Vergewaltigung einfach aus dem Fenster geschmissen, ein Wirbel wurde dabei gequetscht, wie der 'Spiegel' in einem Vorabdruck schreibt."
Ebenfalls unklar bleibt, ob es sich bei Schwans Aussagen im Text um eigens eingeholte O-Töne handelt oder um Sätze aus dem Buch (beziehungsweise dem "Spiegel"-Artikel). Den Eindruck, es mit einem Medienthema zu tun zu haben, verstärkt der Verweis am Ende des Textes, dass Sohn Peter Kohl mit Nico Hofmanns Teamworx sein fast zehn Jahre altes Hannelore-Kohl-Buch als Eventzweiteiler verfilmen will.
Wobei man aus der Süddeutschen (Seite 15) über den zeitlichen Zusammenhang informiert wird:
"Es ist gut möglich, dass Peter Kohl jetzt deshalb an dem Fernsehprojekt ein gesteigertes Interesse hat, weil er die Kontrolle über die Darstellung der Lebensgeschichte seiner Mutter nicht Familienfremden überlassen möchte."
Dass das mit den Quellen so eine Sache ist, kann man auch aus dem Fall der syrischen Bloggerin Amina erfahren ("A Gay Girl in Damascus"), die sich als amerikanischer Student Tom MacMaster in Edinburgh herausgestellt hat.
Die SZ raunt in ihrer Meldung abschließend:
"Der Fall MacMaster zeigt, wie heikel der Umgang mit diesen 'demokratischen' Medien bleibt."
Was durchaus richtig ist. Allerdings zeigt der Fall doch auch, dass die Selbstreinigungskräfte oder wie immer man das nennen will, funktionieren. Dass MacMaster als Held gefeiert, dass also sein Betrug ihm zum Vorteil gereichen wird, ist eher unwahrscheinlich.
Ausführlich beschäftigt sich Natalie Tenberg in der TAZ mit dem Fall. Und beschreibt dabei die nicht uninteressanten medialen Implikationen:
"Der BBC erklärte der selbsternannte Friedensaktivist, der sich seit Jahren eingehend mit der arabischen Welt beschäftigt, seine Beweggründe. Er sei, wenn er Fakten und Meinungen zu Nahost-Themen präsentierte, einfach oft gefragt worden, warum er antiamerikanisch, antijüdisch sei. Deswegen habe er das Alter Ego erfunden, so dass sich die Menschen auf die Fakten konzentrieren würden."
Man kann das wie Tenberg eine "krude Logik" nennen, sichtbar werden die Bedingungen von Wahrnehmbarkeit in Massenmedien dennoch. Das entgeht auch Tenberg nicht:
[listbox:title=Die Artikel des Tages[Die syrische Bloggerin ist ein Amerikaner (TAZ)##Die syrischen Blogger (TAZ)##Die Hannelore-Kohl-Kette (TSP)##]]
"Warum also war ein Blog voller pathetischer Prosa so erfolgreich? Vielleicht weil es perverserweise das Geschehen aus einem Land veranschaulicht, aus dem kaum Informationen dringen. Vielleicht weil eine junge Frau mehr gefühlte Nähe vermittelt als ein älterer bärtiger Mann. Das Lesbische rundet die fiktive Persönlichkeit ab, ohne spezifisch zu sein. ... Nur weil das syrische Regime ohne Zweifel wütet, spielt die Fälschung ihm nicht in die Hände. Zu viel von den schrecklichen Ereignissen in Syrien ist schon bekannt, als das diese Erfindung der dortigen Opposition schaden könnte. Das Regime kann nicht behaupten, Amina gibt es nicht, also gibt es auch keine Revolution."
Man könnte auch sagen, es handelte sich um Literatur. Ob die nun tatsächlich etwas von den Vorgängen in Syrien trifft oder nur den Erwartungen derer entgegenkommt, die dort nicht sind bleibt offen. Etwas unverständlich ist vor diesem Hintergrund aber der doch ziemlich entschiedene Schluss von Tenbergs Text:
"Es bleibt zu hoffen, dass Jelena Lecic (der Frau, deren Bild MacMaster für 'Amina' verwendet hatte) MacMaster auf Schadenersatz verklagt. Vielleicht sollte sich schnell eine Facebook-Gruppe gründen, um ihr den bestmöglichen Anwalt zu besorgen. Am Ende nämlich ist Tom MacMaster ein pfuschender Wichtigtuer, der die Sympathien der Welt ausnutzte."
Uns würde bei all der Aufklärung interessieren, in welchem Zusammenhang MacMasters Alter (40) zu seiner Tätigkeit steht (Student).
Altpapierkorb
+++ Über "Syriens Cyber-Partisanen", also regimekritische Blogger, informiert Gabriela M. Keller in der TAZ. +++ Über Springers neue Hausordnung und andere Handreichungen für Krisengebietsjournalisten schreibt die Berliner. +++ Nachdem die SZ am Samstag über das nicht enden wollende Siechtum der Regionalzeitungen berichtet hatte (Seite 20), gibt es heute gute Nachrichten: Die französische Online-Abo-Seite Mediapart.fr des ehemaligen "Le Monde"-Chefredateurs Edwy Plenel schreibt schwarze Zahlen (Seite 15). +++
+++ Altpapier-Autor René Martens berichtet in der TAZ, dass die ARD-Sendung "Panorama" kurz nach ihrem 50. Geburtstag das "Beiboot" "Panorama Nord" zu Wasser lässt. +++ Oliver Berben darf nach den Schleiwerbungsvorwürfen (siehe Altpapier von seinerzeit) wieder fürs ZDF arbeiten – ob das ein Gewinn ist, kann nach Jochen Hiebers FAZ-Kritik an Berbens letzter ZDF-Arbeit (am Montag) bezweifelt werden. +++ Antje Hildebrandt widmet sich den gestiegenen Herausforderungen ans Maskenbildnerwesen im Zeitalter von HD (Berliner). +++ Die FAZ hatte am Wochenende mit Paul Pietsch, dem hundertjährigen Rennfahrer und "Auto Motor Sport"-Verleger gesprochen. +++
Neues Altpapier gibt's morgen wieder ab 9 Uhr.