In dem kleinen kupfernen Brennkessel schäumt es. 50 Liter Alkoholgemisch werden in einem Wasserbad erhitzt und zu Gin destilliert. Hier im Brennraum der Lister Destillerie in Hannover lässt Katerina Simon für ihr Unternehmen "Simons of Hannover" Spirituosen produzieren. Das Besondere: Die Liköre, Obstbrände und Gins sind koscher, entsprechen also den jüdischen Speisevorschriften.
"Sie sind nicht nur für Leute, die jüdischen Glaubens sind, sondern für jeden", sagt Simon, die selbst Jüdin ist. Mit ihrem Unternehmen vereine sie eine jüdische Tradition mit dem Lokalen aus Hannover. Mit ihren Produkten begeistere sie Leute aus aller Welt und aus verschiedenen Kulturen.
Beim Anstoßen sagt man "L'Chaim", das heißt "Auf das Leben", erklärt Ehemann Marc Simon, der selbst als Angestellter im öffentlichen Dienst tätig ist und seine Frau nur moralisch unterstützt. "Meine Frau hatte das Anliegen, die deutsch-jüdische Symbiose wieder auf den Weg zu bringen. Es gab vor dem Zweiten Weltkrieg eine große Eintracht zwischen Jüdinnen und Juden und der deutschen Mehrheitsbevölkerung." Damals habe es viele Unternehmen gegeben, die koscheren Produkte herstellten. "Wir wollten diese Tradition wiederbeleben."
Mit "Simons of Hannover" gibt es erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder ein jüdisches Unternehmen, das in Hannover koschere Lebensmittel produziert. Katerina Simon ist in Tschechien geboren und hat Hotelfach in Montreux in der Schweiz studiert. Sie habe sich schon immer für Kulinarik interessiert, gerne Dinners gegeben und gekocht. Die Idee einer koscheren Spirituosenproduktion hat die 37-Jährige 2017 mit Brennmeister Roland Schulze von der Lister Destillerie umgesetzt. Seit vergangenem Jahr haben Thomas Peterka, Andreas Rahlves und Marc Meyer die Destillerie übernommen. Sie brennen die Spirituosen.
Das Alkoholgemisch, das sich gerade mit rund 38 Litern Wasser im Brennkessel erhitzt, hat Peterka zwei Tage zuvor angesetzt und ziehen lassen. Es besteht aus 12 Litern Neutralalkohol, Kräutern, Nelken und anderen Gewürzen - und aus Zitronen. Denn heute entsteht London Lemon Gin. Der Zitrusduft liegt noch in der Luft. Und es riecht nach Wacholderbeeren. "Die gehören immer in einen Gin", sagt Katerina Simon.
Im Maischeraum stehen große blaue Gärbehälter mit Apfelmaische. Der Geruch von gegorenem Obst wabert durch die Luft. Simon und Destillerie-Miteigentümer Rahlves werfen einen Blick in einen der Bottiche. Hier zieht die Maische mithilfe von Hefe. In der Brennblase entsteht daraus später Apfelbrand.
Obstbrände hätten gerade in Osteuropa eine lange Tradition, erklärt Katerina Simon. Damit sie koscher sind, dürfe nur handgepflücktes Obst verwendet werden, denn Fallobst sei "passul", also nicht geeignet. Das Obst müsse unbeschädigt und frei von kleinen Fliegen oder Würmern sein. Denn Insekten gelten als nicht koscher. Die Spirituosen kämen ohne Farbstoffe aus. So gelangten auch keine tierischen nicht-koscheren Inhalte hinein. "Die Farbe ist vom Eichenfass", erklärt Simon das bernsteinfarbene Leuchten der fassgelagerten Gins und Brände.
Rabbiner Levi Gottlib von der Chabad-Gemeinde in Hannover prüft, ob die Produkte den strengen Vorschriften standhalten. Dazu gehört, dass die Flaschen neu und sauber sein müssen. Die jüdischen Speisevorschriften, auch "Kaschrut" genannt, basieren auf der Tora, im Christentum auch bekannt als die fünf Bücher Mose, erklärt der Rabbiner, der in Israel geboren und in der Ukraine aufgewachsen ist. "Für mich ist es eine große Ehre, dass hier in Deutschland koschere Produkte hergestellt werden und ich sie prüfen darf." Es bedeute den Juden in Deutschland viel, dass es hier koscheres Essen gebe und sie es nicht in anderen Ländern bestellen müssten.
Gottlib geht mit Rahlves die Zutaten durch. Alles passt, die Spirituosen können Gottlibs Zertifizierung bekommen: einen Aufkleber mit seinem Namen. "Das ist eine sehr strenge Prüfung", erklärt Katerina Simon. Auch sich streng koscher ernährende Juden könnten diese Lebensmittel konsumieren.
Menschen aus Israel, den USA, Frankreich, Belgien und den Niederlanden seien begeistert, dass die Produkte hierzulande produziert und "ganz normal in den Supermärkten verkauft werden", sagt Marc Simon, der in Köln geboren wurde und dessen Familie seit Jahrhunderten in Deutschland lebt. Für viele nicht-jüdische Deutsche sei es die erste Erfahrung mit dem Judentum, wenn sie ein koscheres Produkt kaufen. "Das schafft eine gewisse Nähe, die sonst sehr selten ist, weil Jüdinnen und Juden einen geringen Teil der Bevölkerung ausmachen."
Im Brennkessel verdampft derweil der Alkohol ab 78 Grad. Der Dampf steigt in den Kühler und wird zu einer Flüssigkeit, die nach und nach aus einem Rohr durch Trichter samt Kaffeefilter in einen Glasbehälter tropft. Der Alkoholgehalt liegt bei 75 Volumenprozent und wird mit Wasser auf eine Trinkstärke von 41 gebracht - 'verschneiden' nennt sich das. Das fertige Produkt wird später in hohe schmale Flaschen gefüllt. "Gin ist der Verkaufsschlager", berichten die Simons. "Er ist ein Lifestyle-Produkt."