Der Rolling Stone feiert, und die Zeit geht recht unfein mit einem chinesischen Intellektuellen um. Außerdem: Einige grundsätzliche Worte zur Literaturkritik und zum Pressesprechergewerbe.
Mitte April erschien im Magazin der Zeit ein Special, in dem zahlreiche Redakteure ausgiebig über den Journalismus reflektierten, über das, was bemängelnswert und was gut sei (worüber sich wiederum andere Gedanken machten). In jenen Tagen hätte in der Zeit (im Hauptblatt) auch ein Interview mit dem chinesischen Literaturwissenschaftler und Autor Wang Hui erscheinen sollen. Warum es dazu nicht kam, wird möglicherweise bald in längeren Reflektionen über unschöne Vorfälle aus dem Gewerbe aufgearbeitet werden. Vorerst bleibt es Berthold Seliger vorbehalten, in der Juni-Nummer von konkret (S. 39) die Details zu schildern, indem er aus einem Briefwechsel zwischen den Beteiligten zitiert: Aus einem „Hintergrundgespräch“ mit dem oppositionellen Intellektuellen sei plötzlich ein Interview geworden, das sich zudem nur um ein Thema gedreht habe, zu dem Hui sich offiziell nicht äußern wollte, nämlich den Künstler Ai Weiwei. Anstatt rechtzeitig die Zitate autorisieren zu lassen, habe die Zeit zudem den „Interviewtext, wie er auf der Seite steht“ geschickt, garniert mit dem Hinweis, ändern könne man leider nichts mehr, der Artikel sei bereits in Druck gegangen. Als ein Anwalt ins Spiel kommt, gelingt es den Zeit-Leuten dann aber plötzlich, die „Druckmaschinen anzuhalten“. So zweischneidig das Thema Autorisierung prinzipiell sein mag - Seliger hat insofern Recht, als „angesichts der delikaten Rolle, die ein Intellektueller wie Wang Hui in China spielt“ dieser sich von der Zeit durchaus unfein behandelt fühlen darf. Immerhin kann man, wenn man etwas über Hui erfahren will, mit einem Zeit-Artikel von 2009 vorlieb nehmen, in dem er ausgiebig gepriesen wird.
Im aktuellen Magazin der Zeit geht es auch ein bisschen um Journalismus, jedenfalls in einem Artikel des Regierungssprechers Steffen Seibert über Twitter:
„Die Medien interessieren sich meist nur für Ausschnitte der täglichen Arbeit einer Bundesregierung (und manchmal sind es nicht gerade die Ausschnitte, die wir beleuchtungswürdig finden). Mit Twitter bin ich Chefredakteur und kann weniger beachteten Themen wenigstens die kurzzeitige Aufmerksamkeit meiner Follower verschaffen. Wenn die Bundeskanzlerin mit der birmanischen Oppositionspolitikerin und Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi telefoniert, dann erfahren sie von diesem Baustein unserer Menschenrechtspolitik möglicherweise nicht aus den Zeitungen und nicht aus dem Fernsehen, aber sicher bei Twitter.“
Andrew Gowers ist einen ähnlichen Weg gegangen wie Steffen Seibert. Der Brite war mal Chefredakteur bei der Financial Times, auch beim deutschen Ableger. „Dann wurde er Firmensprecher. Und musste ein Fiasko nach dem anderen beschönigen“, nämlich erst bei Lehman Brothers und dann bei BP (wegen der Ölpest). Das schreibt die Schweizer WoZ, die ihn interviewt hat.
„Ich war bei der Financial Times ein zugegeben privilegierter Zuschauer des Wirtschaftsgeschehens. Meine Motivation für den Wechsel war, künftig selbst mitspielen zu können“,
erläutert Gowers, warum er tun musste, was er tat. Was Twitter angeht, dürfte er sich mit dem Pressesprecherkollegen Seibert einig sein:
„Es gab den Fall, dass ein Experte auf CNN etwas erklärte, was nicht ganz stimmte. Ein BP-Direktor hat dann per Twitter den Fehler richtiggestellt. Bei CNN sah man das und griff es auf. Die neuen sozialen Medien haben für eine Beschleunigung im Medienzyklus gesorgt. Früher konnte man Fakten und Nachrichten zuerst verdauen. Jetzt muss man sie sofort kommentieren. Das verschärft die Emotionen solcher Geschichten.“
Wie Journalismus sein soll - diese Frage lässt sich heute mal implizit, mal explizit anhand von Ausschnitten aus Artikeln beantworten, die sich mit Teilbereichen beschäftigen, nämlich der Pop-Berichterstattung und der Literaturkritik. Der Tagesspiegel zum Beispiel nimmt die 200. Ausgabe des Rolling Stone sowie ein aus diesem Anlass erscheinendes Sonderheft zum Anlass für eine nicht unkritische Würdigung. Das nicht unproblematische Charakteristikum des Musikmagazins aus dem Hause Springer:
„Die Zeit zwischen 1965 und 1975 dominiert nicht nur RS-Publikationen wie ‚Die 500 besten Alben aller Zeiten‘. Ihre Protagonisten machen auch den Löwenanteil der Heftthemen und Titelbilder aus. So waren allein die Rolling Stones oder eines ihrer Mitglieder seit 1994 immerhin 13 Mal auf dem Titel; erstaunlich für eine Band, die in dieser Zeit ganze drei Alben herausgebracht hat.“
Die gestern von der Süddeutschen gedisste Jungle World kommentiert, wie sich die wichtigsten Literaturkritiker der Republik im Fachblatt Neue Rundschau zur Aktualität von Walter Benjamins „Technik des Kritikers in dreizehn Thesen“ von 1928 äußern. Es geht dabei auch um die Thesen, die die Journalisten selbst über ihre Arbeit aufstellen, etwa eine von Richard Kämmerlings (Welt):
„Der Kritiker muss den Leser vor schlechten Büchern schützen – und den Autor vor der falschen Selbsteinschätzung. Eine Vernichtung dient auch dem Vernichteten. Er kann davor bewahrt werden, sein Leben an sein nicht ausreichendes Talent zu verschwenden.“
Ähnlich unmissverständlich äußert sich Burkhard Müller (Süddeutsche) zu einem anderen Aspekt:
„Während sonst der gesamte literarische Betrieb von einer Vernetzung profitiert und Autoren, Lektoren, Moderatoren, Redakteure, Eventmanager, Buchhändler, Verleger nur in enger Zusammenarbeit leisten können, was sie leisten, sollte der Kritiker ihnen allen aus dem Weg gehen: Denn jeder persönliche Kontakt mit anderen Angehörigen des Betriebs bedeutet für ihn ein Stück Korruption, insofern es nahezu unmöglich ist, jemanden zu verreißen, mit dem man schon einmal Bier getrunken hat.“
Noch nicht ganz so alt wie Walter Benjamins Thesen zur Literaturkritik ist das Politmagazin „Panorama“, das dieser Tage aber immerhin auch schon 50 wird. Zu den zahlreichen Wortmeldungen zum Jubiläum der Sendung (siehe beispielsweise das Altpapier von Donnerstag) sei heute noch eine Passage hinzugefügt, die sich in einem Buch findet, das Anja Reschke über die Geschichte des Magazins geschrieben hat - und die wir zitieren, weil sie vielleicht nicht nur etwas über die Geschichte und Gegenwart eines Politmagazins etwas aussagt:
„In den Anfangsjahren des Magazins war das Fernsehen tatsächlich noch Hort intellektueller Auseinandersetzung. Auch intellektuelle Größen wie Martin Luther King, Jean-Paul Sartre, Karl Jaspers oder Günter Grass waren zu Gast in unserem Studio und philosophierten über Menschenrechte oder die Zukunft der Demokratie. Diese Zeiten sind vorbei und derart ausführliche Gespräche möchte heute niemand mehr in politischen Magazinsendungen sehen.“
Um diese Passage geht es auch in einem Artikel in der Funkkorrespondenz (Disclosure: Der Text ist von mir). Als Entgegnung auf Reschke kann hier auch der letzte Absatz eines Beitrags im JaKBlog von Christian Jakubetz dienen, obwohl der in einem anderen Zusammenhang steht und nicht aufs Fernsehen bezogen ist:
„Aber ja, natürlich könnte man es sich jetzt eher einfach machen. Auf das Publikum, die lieben Leser verweisen, die schlichtweg eine immer kürzere Aufmerksamkeitsspanne haben, immer weniger bereit sind, sich für längere Zeiträume auch auf komplexe Themen einzulassen. Aber müsste man auf der anderen Seite nicht festhalten, dass wir gerade dabei sind, Junkies mit immer mehr und immer schnellerem Stoff zu bedienen – und uns dann beschweren, dass diese Junkies immer schneller immer noch mehr davon wollen?“
[listbox:title=Artikel des Tages[Vom FTD-Chef zum BP-Sprecher (WoZ)##Der Rolling Stone wird 200 (Tagesspiegel)##Alte und neue Thesen zur Literaturkritik (Jungle World)]]
Die ganz großen Kämpfe an der Medienfront nimmt relativ wütend Burkhard Schröder in der taz in den Blick. Anlass ist der G8-Gipfel und die wohl nicht allzu große Internetfreiheitsliebe Nicolas Sarkozys. Auch Google knöpft sich der Autor vor, wobei anzumerken ist, dass dieser Absatz in einer anderen Fassung fehlt:
„Der Suchmaschinen-Konzern ... zensiert auch die deutsche Version seiner Suchmaschine und favorisiert technische Lösungen wie Filter, die Interessen der ‚Content-Mafia‘, wie die Urheberrechts-Lobby von Bloggern spöttisch genannt wird, durchsetzen. Eines hat die Konferenz in Paris gezeigt: Das Internet verbreitet nicht automatisch das Wissen der Welt und die Demokratie, sondern ist ein Kriegsschauplatz, auf dem um die Macht gekämpft wird. Politik, das Kapital und die Nutzer stehen sich gegenüber. Wer gewinnt, ist noch nicht entschieden.“
Altpapierkorb
+++ Der Profession des PR-Agenten widmet sich Katrin Schuster im Medientagebuch des Freitag. Anlass ist die shakespeareske Intrige rund um Ottfried Fischer, die Bild-Zeitung und diverse Prostituierte, in der die PR-Agentin des Schauspielers nach Ansicht des mit der Sache befassten Gerichts als „Fädenzieherin“ zu sehen ist: „Das englische intrigue meint im Übrigen nicht nur das Komplott, sondern auch die heimliche oder gar verbotene Affäre – womit das Verhältnis von PR und Presse trefflich beschrieben wäre: Offiziell widersprechen deren Ansinnen einander, Erstere soll für positive Öffentlichkeit sorgen. Letztere just daran Kritik üben. Inoffiziell aber sind die zwei liebevollst verbandelt, und zwar auf Kosten des jeweils Dritten. Ob die Justiz solche Verwicklungen lösen kann, bleibt bis zur nächsten Instanz dahingestellt.“
+++ Eine aktuelle BBC-Dokumentation zum Thema Korruption in der FIFA, die in Deutschland bisher nicht abrufbar war, ist jetzt zugänglich. Zu sehen ist hier Andrew Jennings, der britische Christoph Lütgert Michael Moore (jensweinreich.de)
+++ Unter anderem der Tagesspiegel schreibt über den heutigen arte-Film „Stilles Tal“: Es geht um einen „Ost-West-Restitutionsstreit um Recht und Eigentum, in diesem Fall um ein romantisch im sächsischen Müglitztal gelegenes Ausflugslokal“ (ebd.). Dieser wird aber „relativiert durch die Allmacht der Naturgewalten (...). Katastrophen, Krankheit und Krieg schweißen die Menschen zusammen – diese historische Wahrheit bekommt im Rahmen der simplen Handlung allerdings etwas von einer Binsenweisheit“ (tittelbach.tv). „Wenn man dem in seiner Dramaturgie recht vorhersehbaren Film dennoch gern folgt, liegt das vor allem an den Darstellern. Wolfgang Stumph und Robert Atzorn kosten den Konflikt weidlich aus“ (wiederum Tagesspiegel). „Mitreißend“ findet die beiden auch die Berliner Zeitung. Es ist aber leider auch recht vorhersehbar, dass bei Rezensionen zu offenbar bestenfalls mediokren Filmen ein Hinweis darauf folgt, dass die darstellerischen Leistungen prima seien. Das liest man schon seit vielen Monden. Was sollen sie denn machen, die Darsteller? Mangelhafte Drehbücher mangelhaft in Szene zu setzen, kann ja wohl keine Option sein, wenn man weiterhin sein Geld in der Branche verdienen will.
+++ Positiver fällt in der Süddeutschen Peter Sichs Urteil über die arte-Dokumentation „Das Ende der Angst? Wie Wissenschaftler unsere Erinnerungen manipulieren“ aus. Zu Wort kommt in dem Film unter anderem der Neurowissenschaftler Karim Nader, der „mit einer Kombination aus Psychotherapie und Medikation versucht, eine bestimmte Erinnerung und die zu ihr gehörende Empfindung zu entkoppeln. Ziel ist es, den Gedächtnisinhalt emotional neu zu bewerten.“ Außerdem groß auf der Medienseite 17 der SZ: ein Text zu der Frage „Sieht man den Fußball in 3D wirklich besser?“
+++ Aus dem Fußball bzw. den Kontrakten der Spieler kennt man auch den Begriff „Ausstiegsklausel“. So eine hat ein seinem Vertrag offenbar auch MDR-Intendant Udo Reiter, und von der gedenkt er nun, Gebrauch zu machen (Spiegel Online).
+++ Über die letzte Sendung der „Oprah Winfrey Show“ in den USA berichten Hannes Stein (Welt Online) und Jordan Mejias (FAZ, S. 39). Stein erwähnt Rückschauen mit „wunderbar peinlichen Momenten“. Mejias würdigt Winfreys Wirken - „Oprah wollte Amerika auf die rechte Bahn führen, ohne das Land aus den Angeln zu heben. Sie war auf Veränderung aus, ohne die traditionellen Strukturen zu zerstören. Das musste zu Widersprüchen führen, die nie aufzulösen waren“ - und wirft einen Blick nach vor, auf ihren eigenen TV-Kanal: „Sie hat nicht vor, im neu begründeten ‚Oprah Winfrey Network‘ ihre Talkshowroutine von einst fortzusetzen, aber ihre Fernsehweltanschauung soll auch ohne sie durch alle Plauderrunden, erbaulichen Reality-Episoden und Spielfilme schimmern.“
+++ Völlig losgelöst von der Aktualität, widmet sich Fernseher kaputt dem Thema PC in der Serie „South Park“: „Reaktionäre und emanzipatorische Kritik an Political Correctness“ stünden dort „oft nebeneinander, überlagern oder widersprechen sich. Eine stringente Linie scheinen Matt Stone und Trey Paker in ihrer Auseinandersetzung mit verschiedenen Aspekten der PC-Debatte nicht zu verfolgen. Im deutschen Rezeptionskontext und insbesondere durch die deutsche Synchronfassung tritt der reaktionäre Anteil der PC-Kritik jedoch deutlich stärker hervor als im englischen Original.“
+++ Dass Facebook und der Musik-Streamingdienst Spotify kooperieren wollen, berichtet Marin Majica in der Frankfurter Rundschau und der Berliner Zeitung.
+++ Spendenfinanzierter Non-Profit-Journalismus - ist das nicht auch einer dieser Hypes? Dass es funktionieren kann, zeigt der Business Insider am Beispiel der Texas Tribune auf. Sogar ein paar Preise hat die Plattform schon gewonnen.
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.