Das Politikmagazin Panorama liefert aus historischen wie aktuellen Gründen Berichterstattungsanlässe. Außerdem: das erste „Medienmanifest“ in Comicform sowie ein Überblick über die DSK-Debatte.
„50 Jahre investigativer Journalismus wie bei Muttern!“ Wenn Fernsehsendungen einen Hang dazu hätten, sich von der bodenständigen Reklame gastronomischer Betriebe beeinflussen zu lassen, wäre das vielleicht kein schlechter Claim fürs Jubiläum des ARD-Politikmagazins Panorama. Andererseits: Vielleicht gibt es investigativen Journalismus bei Panorama ja noch gar nicht sooo lange. Im großen Stil sei man damit erst „nach der Wende“ aufgefallen, sagte jedenfalls Redaktionsleiter Volker Steinhoff gestern bei einer Pressekonferenz zum runden Geburtstag, die in einem gastronomischen Betrieb stattfand. Vorher habe man nicht mit „Enthüllungen“ für Schlagzeilen gesorgt, sondern mit „Tabubrüchen“ und „Majestätsbeleidigungen“. Kurzum: „Früher haben wir die Welt verändert, ohne viel zu enthüllen.“ Im Umkehrschluss könnte das heißen: Heute enthüllen wir viel, ohne die Welt zu verändern. Aber das wäre vielleicht eine allzu böswillige Interpretation, und zu so etwas neigen wir hier beim Altpapier ja gar nicht.
Bei der Veranstaltung, bei der auch die probeweise Einführung eines Nord-Ablegers von Panorama angekündigt wurde (dwdl.de), gab es bereits einige Ausschnitte aus Raymond Leys Dokumentarfilm „Unbequem und unbestechlich - 50 Jahre Panorama“ zu sehen, der am kommenden Donnerstag im NDR Fernsehen läuft. Prinzipielles zur Machart der Sendung und zum Fernsehen hört man da von Stephan Wels, dem beim NDR für das Magazin zuständigen Abteilungsleiter: Panorama müsse zwar „schlau“ sein, sich aber auch leisten, „die dritte Differenzierung bleiben zu lassen“, denn „sonst können wir kein Fernsehen machen“. Schließlich sei Fernsehen „per se“ ein „relativ grobschlächtiges Medium“. Weil er offenbar Menschen kennt, die das nicht so sehen, fügt er hinzu: „Jeder, der etwas anderes sagt, dem traue ich nicht wirklich.“
In der Dokumentation kommen diverse Personen zu Wort, die früher für Panorama gearbeitet haben. Stefan Aust darf da nicht fehlen. Wer auf der Zeitleiste der offiziellen Jubelseite bei 1982 reinklickt, bekommt einen kurzen Eindruck von einer besonderen Episode aus der an besonderen Episoden möglicherweise nicht armen Medienkarriere Austs: Mitten in der Sendung musste man den Zuschauern mitteilen, dass ein von Aust gedrehter Film verschwunden war. Die damalige Moderatorin, Luc Jochimsen, ist heute kulturpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, während Aust, der vor ein paar Tagen auch durch Gehversuche auf fiktionalem Terrain auffiel, politisch eher woanders zu Hause sein dürfte.
Zumindest bis gestern war Panorama in eine dieser lustigen, manchmal aber auch lästigen KinderKleingartengeschichten verstrickt, für die der Medienbetrieb in schöner Regelmäßigkeit gut ist. Das Netzwerk Recherche, der FC Bayern München unter den Journalistenvereinen, hatte zu einer Diskussion den prima vernetzten Unternehmer Carsten Maschmeyer eingeladen, um unter der Fragestellung „Medienopfer oder Finanzbetrüger?“ mit ihm zu diskutieren. Panorama nahm den hannoveranischen Gentleman in der jüngeren Vergangenheit recht oft ins Visier, worauf dieser mit einem juristischen Kreuzzug konterte. Umstritten war die Besetzung des Podiums. Am Mittwochabend fasste Stephan Wels dies im Namen der Redaktion so wenig grobschlächtig wie möglich zusammen:
„Den Panorama-Kollegen haben die Veranstalter nur eine Rolle als Fragesteller aus dem Publikum zugedacht, nachdem Carsten Maschmeyer es abgelehnt hatte, mit Christoph Lütgert auf der Bühne zu diskutieren. Wir bitten um Verständnis, dass wir eine solche Anordnung nicht für akzeptabel halten."
Auf diese Debatte hat Maschmeyer nun reagiert, indem er seine Teilnahme an der Veranstaltung absagte, wie die Süddeutsche (S. 19) berichtet. Er wolle einen „Beitrag zur Glättung der Wogen“ leisten. Einen „Schluss-Gag“ habe der Finanzdiestleistungsträger aus Niedersachsen auch noch übrig, schreibt das Blatt: Er habe, zitieren ihn die Münchener, „in dieser Sache viel gelernt über Wirkmechanismen in Teilen des deutschen Journalismus, die ich mir vorher so nie vorstellen konnte.“
Die andere brancheninterne Staatsaffäre köchelt dagegen weiter: das Pfister-Nannen-Märklin-Dingenskirchen. Stefan Willeke haut in der aktuellen Zeit (S. 18) noch ein Essay zu der Causa raus, das sich an der Frage „Was darf die Reportage?“ abarbeitet:
„Was ein Bäcker tut, glaubt man zu wissen. Ein Bäcker backt. Und ein Lehrer? Ein Lehrer lehrt ... Ein Dachdecker deckt Dächer. Aber was tut ein Reporter? (...) Ein Reporter ist ein Handwerker. er sammelt Material und verarbeitet es. Manchmal ist er ein Maurer, manchmal ein Kunstschmied. Ganz sicher ist er kein Künstler, der sich über die Realität hinwegsetzen darf.“
Etwas überraschend noch ein Statement Willekes zur Qualitätsfrage: „Es sind noch nie so viele gute Reportagen in deutschen Zeitungen und Magazinen erschienen wie heute.“ Hallelujah!
[listbox:title=Artikel des Tages[Ein Medienmanifest in Comicform (Slate)##In Sachen DSK - Frankreich vs. USA##"... wenn Bild nichts mehr vom Pöbeln versteht (Print Würgt)]]
Was Grundsatzbetrachtungen angeht, tendieren wir heute eher zu einem Comic. Warum ein Comic? Brooke Gladstone erläutert bei Slate sein „Medienmanifest“ genanntes Buch „The Influencing Machine“, das am Montag erscheint:
„More than television, more than newspapers, radio creates a sense of intimacy—the illusion of a one-to-one relationship—because the listener relies on the reporter's voice to paint pictures. Voices are very personal. I thought that I could re-create radio's intimacy if I had the ability to look readers in the eye while guiding them through my media manifesto. (...) Another reason for using comics: The world is full of media books with competing predictions of cyber-utopia or annihilating chaos. I steer between those shoals, and sometimes bump up against both of them. My argument (...) is built on many small, historical moments. I want those moments to stick with the reader. Pictures (...) are sticky.“
Die Berichterstattung über die in den letzten Tagen prägende Titelseitenfigur Dominique Strauss-Kahn hat der Tagesspiegel im Blick - insbesondere die diesbezüglichen Unterschiede zwischen Frankreich und den USA und einige selbstkritische Ansätze französischer Medien:
„Die Boulevard-Zeitung ‚France Soir‘ griff den Vorwurf eines ‚schuldhaften Verschweigens‘ mutmaßlicher, bisher ignorierter Obsessionen Strauss-Kahns auf, das ständige Anmachen von Frauen und die angeblichen Besuche in Swinger-Clubs. ‚Alle wussten es‘, titelt das Blatt. Doch mehr als Klatsch war das nie. Als der Journalist Jean Quatremer von der Zeitung ‚Libération‘ 2008 anlässlich der Berufung von Strauss-Kahn an die IWF-Spitze seine Redaktion vor dem notorischen Schürzenjäger warnte, verzichtete diese auf eine Verwertung solcher Informationen. Sein Wissen verbreitete er damals über seinen privaten Blog. Einer ‚seltsamen Omertà‘ beschuldigt der Autor Christophe Deloire jetzt die Medien. Sie hätten dem Kapitel über Strauss-Kahns Neigungen in seinem Buch ‚Sexus Politicus‘ seinerzeit keinerlei Beachtung geschenkt.“
Wir erfahren aus dem informativen, manchmal etwas gehetzt wirkenden Text, dass die Debatte durchaus nicht ungrobschlächtig abläuft. Ein Sonderpreis gebührt in dieser Hinsicht einer Äußerung der Wochenzeitschrift Le nouvel observateur: „Das amerikanische Volk und wir gehören nicht mehr derselben Zivilisation an.“
Altpapierkorb
+++ Kommen wir zum vermeintlich wirklich Grobschlächtigen, dem Fernsehen also. Aufmacher der FAZ-Medienseite 35 ist heute die revitalisierte „Wochenshow“ von Sat 1, der Oliver Jungen aber wenig abgewinnen kann: „Nichts, absolut gar nichts von ihrem Hintersinn hat die Show herüberretten können, nur die Blödelei.“ Die Neuausgabe sei „zotig“, überdies werde hier „ohne tiefere Bedeutung“ der Fußballfangesang „Colooon, Colooon, die Scheiße vom Dom“ angestimmt.
+++ Apropos Sat 1 und Fußball: Am Mittwochabend, bei der Übertragung des Europa-League-Endspiels FC Porto - Sporting Braga lautete eine Gewinnspielfrage, ob der portugiesische Meister FC Porto oder SC Versandkostenfrei heiße (Spiegel Online, Ende des Textes).
+++ „... als hätten die Coen-Brüder einen Abstecher nach Rostock gemacht und verkündet, dass Tragödie und Screwball-Comedy nahe Verwandte sind.“ Die FAZ preist den neuen Polizeiruf-Film „... und raus bist du!“
+++ Die Süddeutsche berichtet ausführlich darüber, dass RTL als Koproduzent bei einem HBO-Projekt mitmischt: der „Serienerweiterung“ der Kinoreihe „Der Transporter“.
+++ Über einen beim WDR eingerichteten „Innovationstopf“ zur Förderung von Programmen, die auf ein jüngeres Publikum zugeschnitten sind, informiert die Funkkorrespondenz. Im „Topf“ sind drei Millionen Euro, vorgesehen ist das Geld für Radio, Fernsehen und Internet.
+++ „Wie weit sind wir gekommen, wenn Bild nichts mehr vom Pöbeln versteht?“, fragt Michalis Pantelouris. Hintergrund seines Textes: Merkel gegen die Griechen - und ein paar gar nicht pöbelhafte Entgegnungen der griechischen Presse (Print würgt).
+++ Berufliche Veränderungen I: Claus Strunz steht demnächst nicht mehr an der Spitze des Hamburger Abendblatts, sondern macht demnächst irgendwas mit Bewegtbildern. Sein Nachfolger Lars Haider (bisher Weser Kurier) werde, so Sonja Pohlmann im Tagesspiegel, „versuchen, den Auflagenrückgang zumindest in Grenzen zu halten, der sich unter Strunz weiter fortgesetzt hatte, seitdem er im Oktober 2008 Chefredakteur geworden war. Rund 220 200 Exemplare verkaufte das Abendblatt‘ im ersten Quartal 2011, was einem Minus von rund 10,5 Prozent im Vergleich zum ersten Quartal 2009 entspricht“ (siehe auch Spiegel Online)
+++ Berufliche Veränderungen II: Stefan Raab tritt als ESC-Superman ab (Spiegel Online, Kölner Stadt-Anzeiger/AFP). Michael Hanfeld differenziert in einer FAZ-Kurzmeldung, dass Raab "seine ESC-Karriere zwar beendet, aber nicht ganz“ - weil seine Firma Brainpool wohl weiter im Spiel bleibt.
+++ In Ägypten sieht sich die Minderheit der koptischen Christen ständig Angriffen von Islamisten ausgesetzt. Die Jungle World interviewt aus diesem Anlass Ezzat Boulos, den Chefredakteur der Online-Zeitung Copts United: „Was die entstehende Zivilgesellschaft angeht, zeichnet sich für mich kein klares Bild ab. (...) Alle Seiten haben nach über 30 Jahren Überwachungsstaat demokratische Meinungsbildung zu lernen. Trotz und gerade angesichts der blutigen Auseinandersetzungen ist die interreligiöse Zivilgesellschaft der Schlüssel für eine ägyptische Zukunft ohne barbarischen Islamismus.“
+++ Mal wieder was Neues aus der unendlichen Reihe „neue Nebengeschäftsmodelle für Tageszeitungen“ gefällig? Die Redakteure der Washington Post verhökern jetzt auch als „Masterclass tutor“ ihr geistiges Kapital. Für einen Kurs zum Thema „The wines of Bordeaux“ werden 199 Dollar fällig (Guardian).
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.