Demokraten würden Phoenix gucken

Demokraten würden Phoenix gucken

Warum Medien nicht berichten müssen, was alle berichten zu müssen meinen. Außerdem: Politiker-Umfragen zur Traumhochzeitsparallelberichterstattung und zur Werbung vor GEZ-finanzierten Onlinenachrichten.

Man sollte beim Stichwort Terry Jones weiterhin doch allein an den Ex-Monty Python denken, und nicht an einen durchgeknallten Pastor aus Florida.

Große Worte über Journalismus, wie er sein sollte, gibt es viele, insbesondere in Zeiten, in denen es ihm weniger gut geht. Nicht gar so große Worte, die auf kleinere oder konkretere Beispiele sozusagen heruntergebrochen sind, gibt es seltener, schon weil man dafür präziser argumentieren muss. In der Hinsicht verdient heute ein Text Beachtung. Wo man das nicht unbedingt erwartet, auf der Medienseite des Tagesspiegel, erklärt Caroline Fetscher, warum Medien nicht alles berichten sollten, was alle zu berichten scheinen: weil sie dadurch erst absurden Aktionen wie der Koranverbrennung eines völlig anderen Terry Jones oder den Thesen eines Thilo Sarrazin vermeintliche Beachtung verschaffen, aufgrund der alle darüber berichten. Und die wie im Fall des anderen Jones zu Toten führt: "In bestimmten Fällen... ist es klüger, ethischer, besser, nichts zu berichten."

Man wüsste vielleicht ganz gern, was der wahre Terry Jones über das Königshaus seines Heimatlandes (genau genommen ist er Waliser) sagt. Zumindest wüsste man es lieber als das, was wohl Matthias Matussek und Martin Sonneborn zum "Event des Jahres" sagen werden, wie das vormalige Sturmgeschütz der Demokratie die aristokratische Traumhochzeit nennt. Spiegel Online wird wie Google, ein halbes Dutzend deutscher Fernsehsender und der halbe Rest der Medienwelt über die morgige Eheschließung von Kate Middleton und Prinz William live berichten. Wenn sie es nicht täten, würden ja andere die Quoten, die Klicks und die entsprechenden Werbeeuros bzw. -pennys abgreifen.

Anlässe, sich darüber aufzuregen, gibt es einige. Schon bekannt, heute in der Süddeutschen aktualisiert: die Parallelbeweihräucherung -berichterstattung unserer beiden großen öffentlich-rechtlichen Kanäle. Auf der Meinungsseite 4 kommentiert Ressortcef Christopher Keil: "Die Haltung, sich zu ergänzen, um Vielfalt zu sichern, ist bei ARD und ZDF nicht erkennbar" und kommt dann auf sein Steckenpferd, die Sportrechte zu sprechen. Sein Fazit: "Ein Gebührenfernsehen, das fast acht Milliarden Euro jährlich bekommt und sich der Quote mehr verpflichtet fühlt als Vernunft und Qualität, braucht keiner."

Letzterer Satz schließt direkt an eine frische Äußerung des - streng protokollarisch betrachtet - zweithöchsten Vertreters unserer Republik an. Für die SZ-Medienseite 15 hat Claudia Tieschky zur Frage der Traumhochzeitsparallelberichterstattung eine Umfrage unter sich für Medienfrage interessierenden Politikern veranstaltet. Außer Martin Stadelmaier (SPD), Johannes Beermann (CDU) und Tabea Rößner (Grüne, die beiden letzteren tauchen weiter unten wegen einer anderen Umfrage nochmal auf) war auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU wiederum) dabei. Und der sagte:

"Wenn es denn noch einer Antwort auf die Frage bedurft hätte, ob für die Programmgestaltung auch der Öffentlich-Rechtlichen nichts vorrangiger ist als die Quote, dann ist sie mit dieser Doppelübertragung beantwortet."

In welchen Medien-Kontexten Ihnen Lammert schon einmal begegnet sein könnten: als Kritiker der Talkshowschwemme, als offizieller Veranstalter des Bundestagsfernsehens, um das es eine von den föderalen Medienwächtern losgetretene, schwer verständliche Streitigkeit gab. Jene Streitigkeit hat ein Ende, berichtet heute die TAZ. Gewonnen haben die Medienwächter: "Seit kurz vor Ostern nun verzichtet der Lammert-Kanal darauf, alle eigenen redaktionellen Beiträge per Satellit auszustrahlen. Die werden aber noch produziert und finden sich nun im Internet - in der Mediathek des Bundestages."

Noch einmal kurz zurück zur Traumhochzeitsparallelberichterstattung-Umfrage der Süddeutschen. Außer Politikern, die unisono ARD und ZDF kritisieren, kommen auch Hierarchinnen der ARD zu Wort. Ruth Hieronymi, "als WDR-Rundfunkratschefin derzeit die oberste ARD-Kontrolleurin", sowie die aktuelle ARD-Vorsitzende Monika Piel. Die sagte, "ARD und ZDF zeigten royale Großereignisse nur in Ausnahmen gleichzeitig ('in den vergangenen zehn Jahren ganze drei Mal')."

Hübsches Fazit des (derzeit nicht frei online zugänglichen) Artikels: "Bemerkenswert übrigens ist das Programm des kleinen öffentlich-rechtlichen Senders Phoenix (Jahresetat 36 Millionen Euro). Dort läuft am Freitag der Thementag 'Es lebe die Republik' (siehe unser Marie Antoinette-Foto, vgl. Pressemitteilung).

[listbox:title=Artikel des Tages[Nicht immer alles berichten (Tsp.)##Die ZDF/ Zeit Online-Werbesache (Carta)##Lammerts Niederlage (TAZ)##Die Nonne vom RBB (BLZ)##Zapp zum Fotografentod in Libyen (Video)]]

Die zweite aktuell relevante Politikerumfrage unternahm Robin Meyer-Lucht für Carta. Außer Beermann und Rößner kommen dort für die SPD Marc Jan Eumann und in Gestalt Burkhardt Müller-Sönksens gar die FDP zu Wort. Anlass ist dieses kleinere Skandalon (das sich allerdings nur zeigt, wenn Sie keine Werbeblocker im Browser installiert haben): Das Portal zeit.de zeigt die "heute"-Nachrichtensendung "ZDF-Nachrichten in 100 Sekunden" - und davor einen Werbespot. Das heißt: öffentlich-rechtliche Videos, die einer gern zitierten Argumentation zufolge wir Gebührenzahler schon mit unseren GEZ-Gebühren bezahlt haben, "werden hier zum Online-Werbeträger" und bescheren dem Zeit-Verlag Einnahmen. "Die öffentlich-rechtlichen Inhalte sorgen hier nicht für mehr publizistische Vielfalt, sondern für weniger Werbegelder für andere Online-Nachrichtenprodukte."

Meyer-Lucht hat von Zeit-Verlag und ZDF nur erfahren, dass der Verlag der Anstalt "marktübliche" Preise zahle, die aber nicht genannt werden. Und hat dann eben auch bei den Medienpolitikern nachgefragt, die sich erneut recht einstimmig ablehnend äußern. Am konzisesten vielleicht argumentiert Müller-Sönksen. Der

"nennt das ZDF-Vorgehen eine 'geschickte Umgehung des Werbeverbots im Internet'. Das ZDF stelle den Sinn der Gebührenfinanzierung in Frage, wenn es nun kurzerhand seine Online-Videos auch werbefinanziert anböte. Der Gebührenzahler erwarte zurecht ein von wirtschaftlichen Interessen unabhängiges Programm."


Altpapierkorb

+++In dieser Sache, in der Die Zeit und das ZDF zusammenkungeln, darf man schon gespannt sein, was die FAZ-Medienseite daraus machen wird. Heute zeigt die sich erstaunlich friedfertig. Anstatt zu problematisieren, dass ARD und ZDF um 20.15 Uhr mal wieder Erstausstrahlungen mediokrer deutscher Reihenkrimis gegeneinander versenden, widmet sie beiden längliche Besprechungen. Bei "Marie Brand und der Sündenfall" im ZDF "möchte" David Klaubert den Filmemachern "raten, doch etwas mehr auf den Humor ihrer Helden zu achten", bei "Donna Leon: Das Mädchen seiner Träume" gäbe es "an den Darstellern ...nichts zu mäkeln", schreibt Michael Hanfeld. Empfiehlt aber mehr, im Anschluss "Panorama" zu gucken, da es dort um neue Enthüllungen um eine "bislang nicht bekannte Spende" Carsten Maschmeyers für Gerhard Schröders Wahlkämpfe geht: "Mit dieser sollen Anzeigen finanziert worden sein, die in 'Welt', 'Welt am Sonntag' und in dieser Zeitung erschienen". Hier die "Panorama"-Vorankündigung. +++ Und wo gerade Anja Reschke auf der "Panorama"-Seite so streng lächelt: Der gestrige "Zapp"-Bericht des ARD-Reporters Stefan Buchen über den Tod der Fotografen Tim Hetherington und Chris Hondros in Libyen (siehe Altpapier vom vorigen Donnerstag) lässt sich hier ansehen. +++

+++ Acht Jahre RBB. Bzw.: "Vor acht Jahren schlossen sich SFB und ORB zusammen. Seitdem leitet Dagmar Reim den Fusionssender RBB" - hätten Sie's gewusst? Bei der Berliner Zeitung, zu deren stellvertretenden Chefredakteuren der frühere RBB-Sprecher Ralph Kotsch zählt, zumindest weiß man das. Daher bringt das Blatt heute ein von Daniel Bouhs verfasstes Porträt Reims, die "hart, aber fair" argumentiere, die "streng ...und fürsorglich zugleich" sei und daher auch "die Nonne" genannt werde... ... +++

+++ Das mit dem "wahrscheinlich besten Interview des Jahres" (welches die Welt mit Joachim Löw über seine Frisur geführt hat und das "jeder Journalist ...ausdrucken" und "im Büro aufhängen" sollte) hat Jürgen Schmieder wahrscheinlich etwas ironisch gemeint. Doch ist nicht nur das Format namens "Textkritik" eine schöne Idee, sondern vor allem auch begrüßenswert, dass sueddeutsche.de seit kurzem nicht mehr (nur) beinhart auf sich selbst verlinkt, sondern sich nicht mehr scheut, Links auch auf andere Webseiten zu setzen. Das könnte mit dem neuen Chefredakteur Stefan Plöchinger zu tun haben. +++

+++ Die aktuellen Datenskandale: Apple habe über all die iPhones ja nur eine "große gemeinsame Positionsdatenbank" aufgebaut (kress.de). "Warum die Datei nicht einfach regelmäßig gelöscht wird (wer braucht schon die Wifi-Standortdaten seines letzten Urlaubsortes?) hat Apple trotzdem nicht gut erklärt" (netzpolitik.org). +++ Rüber zu Sony: "Sonys Schweigen ist der eigentliche Skandal" (FTD). +++ "Jetzt rächt sich die Bequemlichkeit jedes Einzelnen. Die eigenen Daten sind in der modernen Informationsgesellschaft ein Vermögen wert - jeder Bürger hat die Verpflichtung, darauf aufzupassen" (Thorsten Riedl in der Süddeutschen). +++ Und zu Facebook: Auf Nachrichten, die "Wow, jetzt kannst du sehen, wer sich dein Profil ansieht" lauten, sollten man keinesfalls klicken. Das wussten schon gestern 700.000 deutsche User (meedia.de). +++

+++ Den Vorschlag einer "Kulturwertmark", den der Chaos Computer Club als Alternative zu Kulturflatrates ersann (siehe heise.de), nimmt die FAZ (S. 35) unter die Lupe: "...einen zwiespältigen Vorschlag.... Er favorisiert einen Kunst- und Kulturbegriff, der zu stark vom romantischen Gedanken des Einzelgenies gefärbt ist, um alle Probleme zu lösen", meint Thomas Thiel. +++

+++ Ebd., ähnlich in der TAZ: eine EPD-Meldung zur Zukunft der Frankfurter Rundschau: "Die Behauptung, aus der 'Rundschau' werde eine Lokalzeitung, sei Unfug, sagte der DDVG-Geschäftsführer Jens Berendsen.... Die Zeitung habe einen nationalen Mantel und werde bundesweit vertrieben." +++ Damit zurück zum Journalismus allgemein: "Der Tod der Zeitung wird seit Jahren immer wieder vorhergesagt, eigentlich müsste sie längst mausetot sein" (epd medien). +++ "Zum einen mag das in der Natur des Nachrichtengeschäfts liegen, solche Ereignisse so gut es eben geht zu regionalisieren, um deren Relevanz zu verdeutlichen. Andererseits ist das aus meiner Sicht ein unguter Reflex vieler Redaktionen, Themen derart schnell herunterzubrechen, dass wir die eigentliche Katastrophe zu schnell ausblenden und vielleicht sogar vergessen" (Stephan Weichert, Journalistikprofessor  und Autor/ Herausgeber zahlreicher Journalismusbücher im text intern-Interview zur deutschen Japan-Krisenberichterstattung). +++

+++ Zurück zur Talkshowschwemme, bekanntlich ein Steckenpferd des Tagesspiegel-Ressortchefs Joachim Huber. "ARD spielt Reise nach Jerusalem", schreibt er heute und spielt selber mit oder voraus, versetzt Gerhard Delling in die "Tagesthemen" und Anne Will in die "Sportschau". Letzteres Gedankenspielchen exerzierte die Süddeutsche gestern aus anderen Gründen vor. +++ "Man möchte fast sagen, eine Sternstunde dieses Formats" will die BLZ angesichts einer Markus Lanz-Show erlebt haben. +++

+++ "Seit fast 20 Jahren leben wir unter dem Berlusconi-Regime, das unser Land nicht bloß politisch, sondern auch anthropologisch radikal verändert hat. Heute haben wir mit Jugendlichen zu tun, die unter Berlusconi aufwuchsen, die nur diese Kultur, dieses Fernsehen, diese Politik kennen", sagt Norma Rangeri, Chefredakteurin der italienischen Zeitung "il manifesto" im TAZ-Interview. +++

+++ Und mit den Worten "Wer aber gerne in fremden Milieus äst, sollte 9,80 Euro investieren: ganzseitige Gewehranzeigen, die abseitigen Themen und der Soziolekt aus Fachbegriffen und leicht Altertümlichem bieten faszinierende Einblicke in eine moosgrüne Parallelwelt", empfiehlt die TAZ ein neues Jagdnerd-Magazin. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.

 

weitere Blogs

Regenbogengottesdienst  in Adventszeit
Ein Gedicht zum Heiligen Abend aus queerer Perspektive nicht nur für queere Christ:innen.
Warum Weihnachten hinter einer Mauer liegt und was sie überwinden kann.
In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.