Unterhalb der Rundfunkschwelle

Unterhalb der Rundfunkschwelle

Wo Relevanz lauert: Parlamentsfernsehen, Hauptstadttwitter, Gottschalk-Abschied, Priol-Witze und Atomkraft-Metaphern.

Eher nebensächlicher, aber doch irgendwie interessanter Bericht in der Berliner: Michael G. Meyer schreibt über das Parlamentfernsehen, das mal so angefangen hat:

"Ursprünglich war das Signal des seit 1999 sendenden Kanals verschlüsselt und stand nur Diplomaten, Journalisten, Politikern und anderen Multiplikatoren zur Verfügung."

Jetzt ist es aber frei empfangbar und filmt außerdem nicht nur Parlament ab.

"Das Parlamentsfernsehen zeigt eine ähnlich nüchtern-seriöse Aufmachung mit ähnlichen Themen und vertiefenden Gesprächen - meist mit Parlamentariern aus der zweiten und dritten Reihe."

Kurz: another Phoenix. Und das führt zu Problemen. Die zuständige Behörde (Kommission für Zulassung und Aufsicht), deren Abkürzung ZAK den Tränenpegel im Auge des versierten Zuschauers kurz ansteigen, weil an die gloriosen Zeit denken lässt, als Friedrich Küppersbusch noch vor der Kamera zeigte, dass er der kritischste Interviewer ist, den das Land je hatte, ZAK also hat festgestellt, dass das so nicht geht, was auch nachvollziehbar ist.

Als Ausweg schlägt Thomas Fuchs, der – das wäre doch mal ein beeindruckender Berufswunsch – ZAK-Vorsitzende drei Möglichkeiten vor:

"'Die eine wäre, dass das Angebot zurückgefahren wird, dass es unterhalb der Rundfunkschwelle ist. Eine zweite Variante wäre, die gesetzliche Grundlage für dieses Programm zu schaffen oder zu präzisieren. Und eine dritte Möglichkeit wäre, einen privaten Anbieter zu beauftragen, solche Sendeformate zu ermöglichen.'"

Interessant daran ist, was sich "unterhalb der Rundfunkschwelle" abspielt. Genauer: Was das dann eigentlich noch nützen würde? "Unterhalb der Rundfunkschwelle" klingt nach einer Form von Irrelevanz, die aber irgendwie relevant zu sein scheint, wenn auch auf Anhieb nicht klar ist, wofür und für wen.

Einen Eindruck, wie fruchtbar ein Dasein an diesem lauschigen Ort sein könnte, liefert Carta. Dort ist ein Protokoll aus der Bundespressekonferenz abgebildet, das Thomas Wiegold "aufgetan" hat (was unter dem 6. Kommentar noch zu anregenden Metadiskussionen führt) und in dem es um die Tatsache geht, dass der Regierungssprecher etwas getwittert hat (USA-Reise der Kanzlerin), das den Hauptstadtjournalisten vorher nicht gesagt wurde.

Was zu Irritationen führt, wie etwa diese Frage, die einen an #Lenin, #Deutschland, #Revolution und #Bahnsteigkarte denken lässt:

"FRAGE: Herr Dr. Steegmans, als älterer Mensch, der mit diesen neumodischen Kommunikationsformen nicht so vertraut sind, eine grundsätzliche Frage: Hat es irgendwann einmal vonseiten des Bundespresseamtes einen Hinweis darauf gegeben, dass nun auch über Twitter wichtige Informationen verbreitet werden und man sich möglicherweise als Kunde oder Follower – ich weiß nicht, wie das dort heißt – anmelden müsste?"

Möglicherweise. Das Ober- und Unterhalb der Rundfunkschwelle könnte womöglich auch als Kriterium für Weiterungen des sog. Beermann-Papiers (siehe Altpapier von gestern) gelten. Die FAZ (Seite 35) referiert es heute so unaufgeregt, wie sie unentschieden vom Otti-Fischer-versus-"Bild"-Prozess berichtet, dessen turbulenter Verhandlungstag deshalb wohl am besten in den paar Zeilen aus der SZ (Seite 17) resümiert wird, die in dem beruhigenden Satz ausklingen:

"Der Prozess wird fortgesetzt."

Damit sind wir längst oberhalb der Rundfunkschwelle. Also da, wo Thomas Gottschalk uns das ganze Jahr über auf seiner Abschiedstournee nicht aus dem Weg gehen wird. Die FAZ hat schon mal ein Interview wegen des Grimme-Lebenswerk-Preises gemacht, es finden sich aber bestimmt noch weitere Anlässe.

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Parlamentsfernsehen oder nicht (Berliner)##Das Fernsehproduktionsprekariat (Berliner)##Bundespressekonferenzprotokolle (Carta)##Online-Wochenzeitungsneugründung (Berliner)##]]

Immerhin: Gottschalks merkwürdige Wahrnehmung als Schwellenmann, um in unserem Bild zu bleiben, also als einem, der den Kulturverfall mit vorangetrieben hat, den er nun beklagt, verdankt sich wohl auch seiner nicht unrealistischen Selbstwahnehmung:

"Allerdings habe ich mir den Preis ja eher ersessen als verdient. Durch besondere Einzelleistungen bin ich den Grimme-Leuten offensichtlich nicht aufgefallen. Ich befürchte ein bisschen, dass ich nur deswegen inzwischen leuchte, weil es in meinem Gewerbe um mich herum doch eher etwas düster geworden ist."

Was aus Urban Priol dereinst geworden sein wird, ist noch offen. Die SZ widmet dem ZDF-Kabarettisten ein kritisches Portrait. Darin geht es um Priols Verwurstungsgeschwindigkeit von aktuellen Ereignissen und um schlechte Witze über heutiges Politikpersonal als potentielle Opfer von RAF-Nachfolgern.

"Er höre schon den Stammtisch, wie es dort wummere: 'Die hätten heute wieder gut zu tun in Deutschland.' Andererseits, sagte Priol, würde für 'die Nasen' von heute doch 'keiner mehr Lösegeld zahlen', das sei eher schon 'was für die Vergnügungssteuer'. Einer wie der Brüderle, der 'textet die doch so zu, bis die den Kofferraum aufsperren und sagen: Bitte geh', bitte, bitte geh.' Es gab Zuhörer auf dem Odeonsplatz, denen der Atem gestockt hat bei diesen Sätzen."

Muss einem nicht. Komisch daran ist höchstens, dass gerade diese Passage überhaupt nicht aus der Lamäng und höchstaktuell ausgedacht war, sondern seit Monaten im Programm ist.

Also unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle siedelte. Wo sie auch hingehört.


Altpapierkorb

+++ Auch unterhalb der Rundfunkschwelle: dass die Fernsehproduktion billiger wird, wo die Sender große Gewinne machen. Instruktiver Bericht in der Berliner: "Nowak dreht für Sendungen wie 'Galileo' und 'W wie Wissen', zu seinen Spezialitäten gehören Unterwasseraufnahmen. 'Würde ich mein Honorar erhöhen und nur an die Inflation der vergangenen Jahre anpassen, dann hätte ich es schwer, weiterhin Aufträge zu bekommen', sagt er." +++ Ebenfalls in der Berliner und ab 6. April womöglich oberhalb gewisser Schwellen: eine Stuttgarter Online-Zeitung/TAZ-Druckbeilagen-Neugründung namens Kontext. +++ Auch neu, auch was-mit-TAZ-zu-tun: "Muh", das Magazin aus Bayern (TAZ). +++

+++ Jetzt online: Frank Schirrmachers Sprachkritik an Atomkraftargumenten aus der FAZ von gestern. Als Weiterung böte sich hier die Kritik der Atommetaphern in der Wahlberichterstattung an. Material hier, hier und hier. +++ Zum Wahlsonntag lässt sich auch noch sagen – bei "Anne Will" hätte mehr los sein können, und zwar von Joachim Huber im Tagesspiegel. +++ Und Steffen Grimberg berät in der TAZ einfach so das ZDF: "Das Zweite braucht sich hier eigentlich nur an die weisen Worte seines Chefredakteurs Peter Frey beim sonntäglichen 'heute journal'-Kommentar zu halten: 'Will die FDP überleben, dann muss sie sich neu erfinden. Die jüngere Generation muss das Ruder übernehmen. Die Ära Westerwelle ist mit dem heutigen Tag vorbei', sprach Frey. Man ersetze nun 'FDP' mit 'ZDF-Wahlberichterstattung' und 'Westerwelle' durch 'Markwort', und fertig ist die Dienstanweisung. Danke, danke, keine Ursache." +++

+++ Ins Ausland. In China erhoffen sich die Korrespondenten Unterstützung vom Westerwelle-Besuch beim Kampf um bessere, also alte Arbeitsbedingungen (TAZ). +++ Paywall bei der New York Times online zwei Stunden noch nicht hochgezogen, lässt etwa der KSTA via dpa vermelden. +++ Derweil die SZ die Rückkehr der russischen Zeitung "Moskowskije Nowosti" verkündet. +++ Im Inland kehrt dagegen nur die "Wochenshow" bei Sat.1 zurück (TSP). +++ Und für alle Interessenten für unterhalb der Rundfunkschwelle: So mediale hotte Formate wie Bundespressekonferenzprotokolle gibt's hier. +++

Und neues Altpapier morgen wieder ab 9 Uhr.
 

 

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