Warum nochmal wollte die ARD eine Generalsekretärin, wird wegen der spektakulären Klage derselben gefragt. Andernfalls würden küssende Geschäftsführer oder umtriebige Atomkraft-Experten für Aufregung sorgen.
Mobbing in der Hauptstadt - so könnte das Medien-Metathema dieses Mittwochs lauten. Jedoch kommt die gestern bekannt gewordene Massenschlägerei mit üblem Ausgang in Berlin-Wedding als Eskalation eines Streits um die (medienrechtlich in Lettland ansässige) Webseite isharegossip.com einstweilen nur auf Berliner Lokalseiten vor. Bis dieser Teilaspekt der sogenannten social media im gesamtgesellschaftlichen Medienmainstream angelangt, dauert es sicher noch ein wenig.
Aber ein vergleichsweise erheblich friedlicher verlaufener Fall von Mobbing bzw. "Mobbing" - das wird das Landgericht Berlin entscheiden müssen - wird heute breit gestreut. Schauplatz: Berlins Regierungsviertel. Gestern hatte die DuMont-Presse (BLZ/ FR) von der Klage der ARD-Generalsekretärin Verena Wiedemann wegen "massiven Mobbings" gegen die ARD berichtet. Sie sei "infolge der bisherigen Zusammenarbeit psychisch erkrankt", und der Prozess solle ein "Riesenverfahren" werden, teilte Wiedemanns Anwalt mit Gespür fürs Ticken der Medien und besonders der Medienmedien, vielleicht nicht unbedingt für psychisch erkrankte Mandantinnen, mit. Klar, dass heute die Medienseiten aller anderen nennenswerten Papierzeitungen drauf einsteigen.
Denn zumindest ist die Sache schon einmal "sehr peinlich" (Tagesspiegel). Denn "für 'Riesenverfahren' ist die ARD immer gut", notiert Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite 31, und räsoniert historisch leicht widersprüchlich, dafür metaphernmächtig vom "Byzantinismus der Anstalten" und den vielen "Obermuftis" in der ARD.
"Tatsache ist, dass die Generalsekretärin in der ARD zuletzt keine Rolle mehr gespielt hat, nicht einmal mehr bei Pressekonferenzen nach Intendantensitzungen war sie dabei. Ihr Name tauchte höchstens noch auf, wenn sie in der Presse Gastbeiträge über die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verfasste",
berichtet Claudia Tieschky in der Süddeutschen (S. 17). Wer sich einen Eindruck von solchen Beiträgen verschaffen möchte, kann z.B. hier tief unten in die Kommentarspalte unter einem Blogeintrag Stefan Niggemeiers auf einen Wiedemann-Kommentar klicken, welcher zumindest dafür sorgte, dass man zu den folgenden Kommentaren 125 bis 193 noch sehr viel tiefer nach unten scrollen muss.
Am instruktivsten fasst die Struktur der ARD unter besonderer Berücksichtigung ihres praktisch unbekannten Generalsekretariats die TAZ zusammen: Im "komplexen Gebilde" ARD "kommt so mancheR unter die Räder, doch selten wird es so laut wie im aktuellen Fall", so Steffen Grimberg. Anno 2006 von den "beiden damals (über-)mächtigen Intendanten des WDR, Fritz Pleitgen, und des NDR, Jobst Plog", für den neugeschaffenen Generalsekretärin-Posten angeheuert, fühlte sich die "Topjuristin" Wiedemann "vom Rang her den IntendantInnen ebenbürtig", während diese die als "die Sekretärin mit besonders drögen Aufgaben" sahen. Und "jetzt holt die ARD ihr hausgemachter Konstruktionsfehler ein."
Über die Art und Weise, in der die nachfolgende Intendantengeneration diesen Konstruktionsfehler offenbar korrigieren wollte, wird also voraussichtlich monatelang gestritten werden. Der Süddeutsche-Artikel endet mit einem frischen Zitat der aktuellen "obersten Gremienvorsitzenden" der ARD, der WDR-Rundfunkratschefin Ruth Hieronymi: "Für die ARD ist es eine strukturelle Grundsatzfrage, welche Aufgaben das Generalsekretariat hat" - das bringt ein halbes Jahrzehnt nach der Institutionalisierung dieses Generalsekretariats perfekt auf den Punkt, wie die ARD tickt.
Nötig hat die ARD diese Aufregerfront natürlich nicht, um in den Schlagzeilen zu bleiben. Vorm Altpapierkorb noch zwei weitere Aufreger im Schnelldurchlauf:
Wer Ende Februar in diesem Altpapier auf den obersten Link im Altpapierkorb geklickt hat, konnte hier in Michael Graeters Blog noch ein Video mit eindrucksvoll zärtlichen Küssen sehen, bzw. eines, "das die Aktrice Birgit Stein im vertrauten Austausch mit Hans-Wolfgang Jurgan zeigte", einem der Chefs der ARD-Filmfirma Degeto. Inzwischen ist es dort nicht mehr zu sehen, und zwar aufgrund einer einstweiligen Verfügung des Medienanwalts Christian Schertz, berichtet genüsslich die Süddeutsche.
[listbox:title=Artikel des Tages[TAZ über die ARD und ihre Sekretärsgeneralin##Oppong über Yogeshwar (meedia.de)##Medienwächter über ZDF-Champions League-Pläne (Carta)]]
Und um wieder zu den ernsteren Dingen zu gelangen: Sehr viel über den aus bedrückenden aktuellen Anlässen derzeit oft im Fernsehen zu sehenden (und oft gelobten) Ranga Yogeshwar hat Marvin Oppong zusammengetragen (der Ende 2010 unter großer Beachtung bei Carta ausschied und nun bei meedia.de veröffentlicht). Yogeshwar sei trotz seiner nach eigenen Angaben "seit vielen Jahren ...kritischen Position in Sachen Kernenergie" keineswegs selten für Unternehmen, die auch in der Atomindustrie Geld verdienen, tätig geworden.
Eine generelle Yogeshwar-Debatte wird sich daraus wohl nicht entwickeln. Aber vielleicht könnte die zuletzt von Nikolaus Brender wegen des damaligen ZDF-Darlings Johannes B. Kerner aufgeworfene und weiterhin komplett offene Frage, ob Journalisten - zumal solche, die aus den gewaltigen öffentlich-rechtlichen Kassen gut bezahlt werden - überhaupt PR-Jobs übernehmen dürfen sollten, wieder aufgerollt werden.
Zumindest sobald geklärt ist, ob und wenn ja, wozu die ARD ein Generalsekretariat benötigt.
Altpapierkorb
+++ Die TAZ-Kriegsreporterin ist aus dem Urlaub zurück und befasst sich nicht nur mit möglichen Verfilmungen der aktuellen Katastrophe in Japan mit Veronica Ferres, sondern auch über mit der dank der Hörzu gelungene Befreiung Hans Zipperts "von jeglicher Komik". +++
+++ Wie waren Strunz? Aus den Kritiken zur am Montag erstmals gesendeten neuen Sat.1-Talkshow mit Claus Strunz: "'Eins gegen eins' schaut im Design wie eine Quizshow aus. Die Farben sind blau und rot, das Prinzip ist die Konfrontation", so Christopher Keil in der Süddeutschen. +++ Das "uralte Konzept ... und erscheint gerade deshalb als erfrischend neu, weil es das bei aller Talkshow-Überflutung mit Konsens- und Geschwätzrunden der üblichen Verdächtigen doch fast nicht mehr gibt", zeigt sich die FAZ (Michael Hanfeld wieder) angetaner. +++ Matthias Kalle fühlt sich im Tsp. an Mike Krüger erinnert. +++ Und "eher nein", sagt Peer Schader in der BLZ zur "Ja/Nein-Sendung" (Strunz wiederum). +++ "Aus nachvollziehbaren Gründen verzichtet das Abendblatt auf eine Analyse des Sat.1-Polittalks 'Eins gegen Eins' mit Abendblatt-Chefredakteur Claus Strunz als Moderator", schreibt Strunz' eigenes Blatt, kann sich die (freilich so oder so verstehbare) Überschrift "Auf Augenhöhe mit Beckmann" aber nicht verkneifen. +++ kress.de bleibt nicht allein einschaltquotenmäßig kritisch, sondern bemängelt z.B., dass die Show "alle drei Großthemen Libyen, Atomausstieg und Wählerfrust in ein Kuddelmuddel packen" wollte. +++ A propos: Freuen Sie sich auf "hart aber fair" heute (in der ARD): "Die nukleare Katastrophe in Japan wirbelt die deutsche Politik durcheinander, beim Thema Libyen stolpern die Parteien. Werden deshalb die Landtagswahlen am Sonntag zur Abstimmung über die Bundespolitik?.." +++
+++ Sonstigerer ARD-Stuff: Gerhard Delling, einstmals sogar Zapp-Moderator, versucht sich mal wieder an einer Nicht-Sportschau: dem "Wochenspiegel" (Tsp.). +++ Aber auch die aktuellen Inhalte der ARD erfahren Beachtung. "Die ARD wollte Hilka Sinnings Dokumentation ursprünglich erst um 23.30 Uhr senden, nun wurde sie gar auf Mitternacht verschoben, was mehr als bedauerlich ist. Sie hätte den besten Sendeplatz verdient", schreibt die FAZ (S. 31) über "Das tote Mädchen vom Bodensee". +++ Und über den "packenden Tierskandal-Thriller" (BLZ) von 20.15 Uhr: "Vom ersten Bild bis zum Schluss (na ja, fast bis zum Schluss: Die letzten Sekunden hätte er den Kollegen von 'Bauer sucht Frau' überlassen können) erweist sich 'Bauernopfer' als packender, glaubwürdig besetzter Öko-Thriller..." +++
+++ Das ZDF gibt's auch noch, und es sollte darauf verzichten, Privatsendern die Champions League-Rechte wegzuschnappen, rät Bayerns (Noch-)Landesmedienmächter Wolf-Dieter Ring bei Carta. +++
+++ Nicht-ARD-Stuff: Das Ex-Premiere Sky kommt künftig mit Einschaltquotenmessung sowie, das wird das Free-TV-Publikum freuen, gern auch mit mehr Werbung, meldet die Süddeutsche. +++ Die BLZ spürt der Faszination der Liveticker nach. +++ Und der Tsp. (anlässlich des Vierteljahrhunderts-Jubiläums von "Wendy") der der Pferdecomics: "Mädchen wollen sammeln, striegeln und streicheln. Mädchen wollen nicht bloß ein Pferd, sie wollen ein Pferde-Universum."
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.