Aber "Kaufda" heißt die Zukunft des Journalismus, zumindest desjenigen des gut verdienenden Springer-Konzerns. Das "Sprachrohr der zuvor Sprachlosen" heißt Facebook.
Um nicht gleich wieder mit dem ewigen KT einzusteigen (der, liebe zahllose Guttenberg-Bekämpfer und -Verehrer da draußen im Internet, aber selbstverständlich auch heute wieder auftreten wird): Das hier ist kaufda.de.
Die Webseite erkennt an Ihrer IP-Adresse, wo Sie gerade online sind, und bietet Ihnen auf dieser Basis Werbeprospekte z.B. von Lidl, aber auch der "Bio Company" sowie solche mit top-tagesaktuellen Angeboten wie etwa (zum heutigen Feiertag Weiberfastnacht) Karnevalsperücken an. Also in digitaler Form jene Prospekte, die sonst auch (bzw. derzeit noch) immer aus Ihrer lokalen Tageszeitung und den Anzeigenzeitungen, die in Ihre Briefkästen gequetscht werden, herausfallen.
Das Unternehmen Kaufda wurde gestern mehrheitlich vom Axel Springer-Konzern gekauft, wie dieser anlässlich seiner Bilanzpressekonferenz verkündete. Was genau am Unternehmen sozusagen sexy ist, verrät der FAZ-Netzökonom.
Die Prospektplattform hat "nicht ganz so viel mit Journalismus zu tun", ebenso wie die andere jüngere größere Neuerwerbung Springers, das französische Immobilienportal seloger.com, notiert die TAZ. Aber bzw.: gerade deshalb gehen die Geschäfte recht glänzend bei Springer. Und weil der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner immer auch für eine Art Show bürgt - noch wenige Jahre, und Döpfner-Auftritte werden so begeistert begangen wie heutzutage Steve-Jobs-Auftritte von anwesenden "Journalisten", wer weiß? - berichten außer Steffen Grimberg von der benachbarten TAZ auch die Berliner Zeitung und der Tagesspiegel aus der Axel-Springer-Straße.
Außer um aktuelle Rekordgeschäftszahlen ging's bei Springer auch um den Iran und um Unterföhring. Die in den letzten Tagen wieder aufgekommenen, eigentlich auch schon ewigen Gerüchte um einen bevorstehenden (Wieder-)Einstieg des Konzerns bei der ProSiebenSat.1 AG nannte Döpfner "Wunschträume aus Unterföhring" (TAZ). "So gering wie nie" sei die Wahrscheinlichkeit (BLZ). "Kategorisch ausschließen" wollte er einen TV-Einstieg aber auch nicht (Tsp.).
Zum Thema Iran (an den Döpfner kürzlich einen Entschuldigungsbrief geschrieben hat, vgl. Altpapier) sagte er, die Bild am Sonntag-Chefredaktion "habe die Reise der beiden Journalisten Marcus Hellwig und Jens Koch" (die dann monatelang gefangen gehalten worden waren) "genauestens vorbereitet.... Beide Mitarbeiter seien sich bewusst gewesen, auf welches Risiko sie sich mit der Reise einlassen würden" (Süddeutsche). Er sagte aber auch, die BAMS-Chefredaktion habe die Aktion "nicht mit dem Vorstand abgesprochen" (TAZ). Und Ulrike Simon von der BLZ vertraute er überdies an: "Im Rückblick hätten wir einiges besser machen können. Aber hinterher ist man immer schlauer."
Achtung, jetzt kommt eine Delling'sche Überleitung: Noch schlauer als er ohnehin schon war, ist inzwischen auch Karl-Theodor zu Guttenberg. Eine andere Überleitung wäre die auf den ersten Blick befremdliche, aber doch gelungene Seite 3-Reportage der Süddeutschen von Thorsten Schmitz und Renate Meinhof, die die Überschrift "Hauptstadtsorgen am Tag eins nach Guttenberg" trägt. Sie beginnt bei der erwähnten Springer-Show und endet im Bendlerblock, also dem Verteidigungsministerium, wo Reporter derzeit "böse Blicke" ernten. Zwischendurch macht sie Station in der Staatsbibliothek, wo die Studentin Janine Richter sitzt, die "Schlagzeilen von 'Bild' nur 'beim Bezahlen an der Tankstelle'" liest. Beruhigend, dass es so etwas noch gibt.
Im Internet mäandert der alltägliche Guttenberg-Wahnsinn weiter zwischen den Polen "Das Internet will Guttenberg zurück", wie es z.B. welt.de (Hey, sind wir reif für eine neue Zeitung?) seinen Lesern en passant unterjubelt, und "Das Internet hat Guttenberg gestürzt". Der Schöpfer dieser pointierten These, Robin Meyer-Lucht, stützt sie auf Carta mit ausgewählten Kommentarstimmen von Ines Pohl über Christian Stöcker (SPON) bis zum Grimme-Institutschef Uwe Kammann.
[listbox:title=Artikel des Tages[TAZ über Springers Bilanz-Show##FAZ-Netzökonom über Kaufda##Tsp. über das Guttenberg-Facebook##SZ über Andreas Fischer-Lescano##Wie geht es uns, Herr Schimmeck?]]
Die Wahrheit liegt vermutlich in den Augen des Betrachters der jeweiligen Ansichten bzw. in den eyeballs, die halt die einschlägigen Webseiten verfolgen. Der Facebook-Gruppe "Wir wollen Guttenberg zurück" fehlen am Donnerstagmorgen noch etwa 5.000 Fans zur Halbe-Million-Marke. (Und die in der Süddeutschen erwähnten "Hunderte Hassmails" an Andreas Fischer-Lescano, den Entdecker der ersten Plagiate des Ex-Doktors und Ex-Ministers, müssen ja nicht aus diesem Umfeld kommen). Die Gruppe "Wir wollen Guttenberg nicht zurück" hat die 25.000 übersprungen, aber sicher noch viel Potenzial, sobald sie erst bekannter wird. "Unabhängig davon, wie man zu Guttenberg steht, wird Facebook zum Sprachrohr der zuvor Sprachlosen", schlussfolgert Kurt Sagatz im Tagesspiegel.
Am Samstag um 13.00 Uhr soll es in vielen deutschen Städten nicht bloß digitale, sondern Real-Life-Demonstrationen pro Guttenberg geben. Dass das klappt, glaubt Marc Felix Serrao auf der Medienseite 15 der Süddeutschen aus mehreren Gründen nicht:
"Zweitens: Es gibt keine wirklichen 'Facebook-Revolutionen', auch wenn mancher Kommentator in den neuen und alten Medien vor Aufregung etwa über den Umsturz in Ägypten inzwischen davon überzeugt ist. Facebook oder auch Twitter dienen wunderbar zur politischen Lagerbildung und Selbstdarstellung, auch zur Planung von Demos oder Flashmobs. Aber entschieden wurde und wird hier wie dort von denen, die die alte, also analoge Macht besitzen.
Drittens: Die Guttenberg-Fans aus dem Netz sind meist junge Konservative oder Liberale. Ganz gleich, was man von ihrer Weltanschauung hält, aber wenn es einen Ort gibt, an dem sie sich noch nie und nirgends durchsetzen konnte: dann auf der Straße."
Altpapierkorb
+++ "Einen Experten von wahrhaft Loriotschem Format" entdeckte Jochen Hieber, als er sich für seine heutige große FAZ-Besprechung (S. 39) die RTL 2-Show "Der große deutsche Rechtschreib-Test" ansah. Gemeint ist der "Chefredakteur des Dudens" namens Dr. Werner Scholze-Stubenrecht. +++ RTL 2 steigt aber auch nach vielen Jahren wieder in die Herstellung eigener Fernsehfilme/ TV-Movies ein. Beim Projekt "Hansi & Hubsi" handele es sich um "eine Art 'Mord mit Aussicht' fürs RTL-2-Publikum" mit Christian Tramitz und Helmfried von Lüttichau in den Titelrollen, weiß Peer Schader im FAZ-Fernsehblog. +++ Was RTL 2 indes "noch nicht" plant, oder noch immer nicht: eine zweite "Tatort Internet"-Staffel. Das verrät die Bild-Zeitung im Artikel "Was macht Stephanie zu Guttenberg jetzt?" +++
+++ Neu besetzt ist inzwischen der Posten des dafür zuständigen bayerischen Landesmedienwächters bzw Direktors der bayerischen Landesmedienanstalt BLM. Das Rennen gemacht hat Siegfried Schneider, der sich, positiv betrachtet, als vorheriger Staatskanzleichef, Medienminister und CSU-Mann bestens im relevanten Milieu auskennt (Funkkorrespondenz). +++ Einen Brief, den Tele 5-Geschäftsführer Kai Blasberg ihm schickte, hat die FAZ vorliegen. Der Privatsenderchef beschwert sich: "Serien wie 'Mad Men' oder ' Raumschiff Enterprise' seien auch für seinen Sender interessant gewesen, sagt Blasberg, doch sei man beim Bieten um die Rechte nicht in der Lage gewesen, 'preislich mit ZDFneo mitzuhalten'". +++
+++ Auch einen schönen Posten bekleidet künftig der ZDF-Journalist Klaus-Peter Siegloch. Er wird "Luftverkehrswirtschafts-Präsident" (SZ, bdl.aero). +++
+++ "Führerin Klum" ist wieder da! Großes TAZ-Feuilleton "Die Gleichschaltung der Gesichter" von Meike Laaff zum Start der sechsten Staffel "Germany"s Next Topmodel" auf Pro Sieben. +++ Hans Hoff sieht's in der Süddeutschen (S. 15) gelassener: "Gäbe es die Einwände und Proteste nicht, würde nicht immer wieder jemand aufstehen und das, was bei GNTM mit den Kandidatinnen passiert, erregt problematisieren, wäre die Show wohl nach Staffel drei beendet worden." +++ Siehe auch Tsp., BLZ (Im US-Fernsehen legt Heidi Klum "lieber kleine Kinder herein"). +++
+++ Zurück zu Gutti: "Sind Leute, die nie etwas im Supermarkt geklaut, niemals einen Pflasterstein geworfen oder ein Amt übers Ohr gehauen haben, nicht furchterregender als ein tricksender Freiherr?" (Deniz Yücel, TAZ). +++ Für alle, die partizipativ drauf sind, hat kress.de ein vergleichsweise ausgefeiltes Voting eingerichtet. +++
+++ Die FAZ-Medienseite setzt unter der Hinguckerüberschrift "Bundeswehrsoldaten mussten keine Hunde essen" ihre Nichtkennern des Buches wenig verständlichen Attacken auf den bei Heyne (Random House/ Bertelsmann) erschienenen Titel "Mit der Hölle hätte ich leben können" fort. Heute mit einem Rupert Neudeck-Interview. +++
+++ Mit dem Mauerfall begann die Boulevardisierung: frische These von einem der eloquentesten Journalismuszustands-Kenner, Tom Schimmeck, jetzt im Interview der Jungen Welt geäußert. +++
+++ Kleines Geschichtchen zum heutigen Titelblatt der renommierten Illustrierten Stern, das einem außer an der Tanke auch in vielen Zeitungsanzeigen begegnet. +++ Und weiter schwelend: der Konflikt ums Urheberrecht am aktuellen Bild-Zeitungs-kritischen Spiegel-Cover zwischen Künstler Gürsoy Dogtas und Titelbild-Ressortleiter Stefan Kiefer (Süddeutsche). Dass die Bild-Zeitung das Cover auch am Rande der oben erwähnten Springer-Pressekonferenz zu eigenen Werbezwecken nutzt, wie die TAZ berichtet, zieht einstweilen keine Probleme nach sich. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.