Prosaische Momente

Prosaische Momente

Lauter Details: Das Handelsblatt kritisiert die Krankheit von Steve Jobs, 3D-Fußball macht Einwürfe zum Ereignis, Kai Wiesinger geht ein Licht auf und das Dschungelcamp weist in die Theatergeschichte

Steve Jobs zieht sich krankheitsbedingt aus dem Tagesgeschäft zurück, nachzulesen etwa in der SZ, der Kurs der Apple-Aktie fällt zumindest in Frankfurt. Aber das Interessanteste an dem Vorgang ist, wie das Handelsblatt darüber berichtet.

Das hat mit der so genannten Gartner-Expertin Carolina Milanesi gesprochen, die sich freut, dass anders als bei vorherigen Erkrankungen von Jobs diesmal nicht "permanent geleugnet und beschönigt wird".

"'Es gab keine wochenlangen Spekulationen und die Nachricht kam direkt von Apple, das ist gut', sagte Milanesi. Kritisch sei allerdings anzumerken, dass kein ungefährer Zeitraum für die Abwesenheit von Jobs genannt worden sei. 'Ich nehme an, dass sie es selbst nicht wissen. Das ist beunruhigend.'"

Das bewundern wir an den Wirtschaftsseiten, wo es nicht um Gefühle, Moral oder so einen Scheiß geht: die kühlen Analysen einer PR-Expertin verlängert in einen medialen Zusammenhang, der diese ohne mit der Wimper zu zucken in seinen nachrichtlichen Gestus integriert.

Vielleicht könnte man bei der Expertise von Frau Milanesi kritisch anmerken, dass das Beunruhigende an schweren Erkrankungen gemeinhin dahin besteht, dass man nicht weiß, wie sie verlaufen. Aber vermutlich würde dieses Argument den hoch stehenden Totalrationalismus der Gartner-Expertin gar nicht erreichen. Krzystof Kieslowski lebt hier nicht mehr.

3D-Fernsehen ist dagegen am Start. Aber hallo! Einige Medienjournalisten berichten heute von den Erfahrungen, die sie bei der Bundesliga-Übertragung in 3D machen durften. Jochen Hieber ist in der FAZ ganz aus dem Häuschen:

"Vorsicht, es besteht Suchtgefahr."

Allerdings wird man Hiebers Begeisterung später nicht vorwerfen können, vor den Folgen nicht gewarnt zu haben. Was 3D fürs Schauen heißt, wird nicht beschönigt:

"Man schaut sich 3D-Fußball am besten zu Hause, am besten allein oder mit wenigen Gleichgesinnten an. Für kollektive Fan-Emphase gibt es weit bessere Orte und Medien – in der Kneipe und gar auf der Großbildleinwand genügt Zweidimensionalität vollkommen. Zudem ist es von Vorteil, wenn man nicht – oder jedenfalls nur bisschen – mit einer der beiden Mannschaften sympathisiert."

Das stellt vieles von dem, was bisher den Reiz am Fußball ausgemacht hat, in Frage. Darauf hebt auch Björn Wirth in seiner Einschätzung für die Berliner ab:

"Jeder Einwurf wird zum Ereignis. Der ist zwar in den seltensten Fällen spielentscheidend, dafür hat der Zuschauer den Eindruck, dass er dicht daneben an der Seitenlinie steht. Außerdem kommen die Werbebanden sehr schön zur Geltung."

Das ist nicht nur negativ gemeint, man sollte sich nur darüber klar sein, dass die Vorteile des 3D-Bildes nicht in den Aufnahmen zur Geltung kommen, die den Fernsehzuschauer bislang gegenüber dem Seitenliniencoach privilegiert haben.

"Fußball in 3D wird zwar nicht heute und auch nicht morgen die Fernseher erobern, aber eine interessante Perspektive bietet die Sache durchaus- auch wenn der Überblick verloren geht. Dafür stimmen die Details. Aber das ist ja auch sehr zeitgemäß."

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Krankheiten beunruhigen Experten (HB)##3D-Fußball ohne Überblick (Berliner)##Der Film zur Stunde (TAZ)##Brecht im Dschungelcamp (stern.de)##]]

Wenn sich Wirth mit seinem letzten Satz mal nicht täuscht. Zumindest Kai Wiesinger ist über seiner Rolle als AKW-Chef in dem Sat.1-Schocker "Restrisiko" ein Licht über die Verhältnisse aufgegangen, von dem man mit ein bisschen gutem Willen sagen könnte, dass es heller strahlt als jene Form der PR, bei der Schauspieler ihre Reality-Rollen zum begleitmedialen Angetease immer reenacten müssen.

"Für Kai Wiesinger, der Katja Werneckes Vorgesetzten Wessel spielt, geht die Botschaft des Films dabei noch weiter: 'Die Story zeigt, wie prosaisch manche Sachen sind: Man will Karriere machen, den Arbeitsplatz behalten – das ist doch nur menschlich. Und doch kann das zur Katastrophe führen, weil man nur an sich denkt und das Allgemeinwohl ausblendet.'"

Steht im TAZ-Text über den Film. Was in den anderen Texten steht folgt gleich im Altpapierkorb – wir müssen hier bloß noch eine paar Momente verweilend auf diesen Satz schauen, von dem man noch nicht weiß, wohin er Kai Wiesinger noch führen wird.


Altpapierkorb

+++ Also, "Restrisiko", das Antiatom-Super-GAU-Movie in Zeiten der Laufzeitverlängerung, finden alle super. Kurt Sagatz im Tagesspiegel: "Regisseur Urs Egger ist es gelungen, auch ohne die typischen Zutaten eines Katastrophenfilms eine spannende und zudem hochgradig aktuelle Handlung (Buch: Sarah Schnier und Carl-Christian Demke) in Szene zu setzen." +++ Klaudia Wick in der Berliner: "Aber auch über dieses politische Statement hinaus ist 'Restrisiko' ein Mitdenkfilm, der den Zuschauer aus seiner konsumistischen Haltung herausholen will." +++ Steffen Grimberg, wie schon angedeutet, in der TAZ: "Mit 'Restrisiko' meldet sich Sat.1 dagegen auf der politisch relevanten Bühne zurück – und Produzentin Alicia Remirez ist denn auch 'ein bisschen stolz' auf ihren alten Sender, bei dem sie früher TV-Movie-Chefin war - und der sich jetzt 'so etwas traut'. Und dabei noch fast alle Klippen, umschifft, die wegen der allgegenwärtigen Quotenschielerei längst nicht nur im Privatfernsehen Usus sind." +++ Tomasz Kurianowicz in der FAZ (Seite 31): "Und so ist 'Restrisiko' ein spannender, dramaturgisch konsequent konzipierter Film, der sich in diskursiver Hinsicht auf der Höhe der Zeit bewegt. Ein mutiges Werk, das keine schablonenhaften Feindbilder zeichnet, sondern die Frage aufzuwerfen wagt, ob unser Glaube an die überirdische Sicherheit von Kernkraftwerken sich überhaupt mit einer transparenten Faktenlage in Einklang bringen lässt. Ein Hoffnungsschimmer fürs Privatfernsehen." +++ Alle, wirklich alle? In der SZ bemerkt Christopher Keil im Nebenbei eines Matthias-Koeberlin-Interview-Portraits: "Der Film ist ambitioniert, aber er ist nicht gut. Er wirkt, als habe der Privatsender dem großen Thema nicht getraut. Die Crime-Story auf verschiedenen Zeitebenen passt nicht." +++

+++ Wir bleiben vor der Glotze. Die fünfte Staffel Dschungelcamp, die rein von der Besetzung her – wir hatten auf Ronald Schill gehofft – nicht den Anschein erweckt, als könne sie mit der epochalen dritten oder auch der sehr guten vierten Season mithalten, ruft die üblich distanzlos-hämischen Begleittexte auf Welt-Online, KSTA.de oder Stern.de hervor, für deren Identifizierung als lausige PR man nicht einmal seinen Niggemeier gelesen haben muss. +++ Es gibt aber auch Ausnahmen: Stefan Winterbauer gibt angesichts einer Strumpfpuppe eine kleine Einführung in Psychologie auf Meedia.de. +++ Und der große Bernd Gäbler versucht in seiner Medienkolumne auf stern.de den Blick aufs Ganze zu richten. Gäblers Gang in die Theatergeschichte zum tieferen Verständnis der Attraktion des Dschungelcamps wirkt unbedingt einsichtig. Allerdings haben wir Zweifel, ob Brechts Lehrstücktheorie tatsächlich das entscheidende Vorbild ist oder ob dazu nicht eher die eher die französische Charakterkomödie in der Tradition Molières und Marivaux' taugen würde. Gerhard Stadelmaier, übernehmen Sie! +++

+++ Wikileaks kommt nicht zur Ruhe – Vorwürfe auf Antisemitismus gegen gewisses Personal werden ventiliert. Die TAZ berichtet. +++ Die Sat.1-Serie "Danni Lowinski" ist in die USA verkauft, freut sich die FAZ. +++ Der Tagesspiegel empfiehlt eine BBC-Doku auf Arte über die Piraterie vor Somalia. +++ In der Berliner steht Ulrike Simon dem Focus-Dissen zum Geburtstag der TAZ (siehe Altpapier von gestern) in nichts nach. +++ Und angesichts dieses FR-Textes über den DuMont-Schauberg-Neujahrsempfang kann man sich fragen, warum sich dafür niemand anderes finden ließ als ein verdienstvoller Mann wie Holger Schmale. +++

Neues Altpapier gibt's Mittwoch wieder ab 9 Uhr.

 

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