In diesen Tagen jährt sich die erste Corona-Infektion in Deutschland zum fünften Mal. Die darauffolgende Zeit der Pandemie hatte massive gesundheitliche und psychische Auswirkungen. Viele Menschen haben trotzdem für sich das Beste aus der Krise gemacht. Der Psychiater Henrik Walter der Charité Berlin beschäftigt sich mit dem Thema Resilienz .
epd: Was hat es mit dem Konzept der Resilienz auf sich?
Henrik Walter: Psychologische Resilienz ist keine Eigenschaft, sondern ein Ergebnis. Es bedeutet, trotz Widrigkeiten psychisch gesund zu bleiben oder es rasch wieder zu werden. Resilienz ist immer nur relativ zu den Belastungen bestimmbar, denen man ausgesetzt ist.
Sie haben vor kurzem ein Buch zu dem Thema veröffentlicht. Dort schreiben Sie, dass man selbst einiges dafür tun kann, um resilienter zu werden. Wie sehen die unterschiedlichen Strategien und Taktiken aus, die man anwenden kann?
Walter: Es gibt viele Faktoren, die zur Resilienz beitragen. In unserer eigenen Forschung stand der positive Bewertungsstil im Zentrum. Gemeint ist die Tendenz, das Ausmaß, die Folgen und die Bewältigbarkeit von Bedrohungen und Stressfaktoren eher optimistisch einzuschätzen. Dies ist zwar nur ein Resilienzfaktor unter vielen, aber ein zentraler. Darauf aufbauend wollte ich ein Buch schreiben, welches den Zusammenhang zwischen Resilienz und Stress genauer in den Blick nimmt. Besonders wichtig war mir dabei, dass ich keinen typischen Ratgeber nach dem Motto "Das sind die drei Faktoren, die sie resilient machen" schreiben wollte. Ich wollte breit darüber informieren, was der Resilienz zugrunde liegt.
In ihrem Buch schreiben Sie von wissenschaftlich gesicherten Resilienzfaktoren. Welche sind das?
Walter: Gesicherte Resilienzfaktoren sind etwa eine gute Problemlösefähigkeit, Selbstwirksamkeit, eine optimistische Einstellung, Optimismus, geistige Flexibilität und andere. Diese zu trainieren, ist ein Weg zu einer ausgeprägteren Resilienz, aber nicht der einzige. Es geht dabei auch darum, sich selbst gut zu kennen. Bin ich psychisch krank oder neige ich dazu? Wie steht es um meine psychische Gesundheit? Wie dabei um mein psychisches Wohlbefinden? Was stresst mich? Der Weg zu mehr Resilienz ist sehr individuell, je nach Ausgangslage und aktuellen Stressfaktoren. Eines aber kann man ganz allgemein sagen: Resilient wird man am ehesten dadurch, dass man Schwierigkeiten bewältigt.
Wie meinen Sie das?
Walter: Ich muss im Leben lernen, mit Schwierigkeiten umzugehen. Mein Schwager pflegte zu sagen: Wenn Du willst, dass Deine Kinder im Leben scheitern, dann räume ihnen am besten alle Schwierigkeiten aus dem Weg. Ein gewisses Ausmaß an Widrigkeiten während des Aufwachsens ist hilfreich. Resilienzfaktoren kann man sich nicht anlesen oder im Trockenen trainieren. Man muss sie im richtigen Leben anwenden. Stress und Probleme in diesem Sinne sind nicht nur positiv für das Ausbilden von Resilienz, sondern notwendig. Auch wenn wir wissen, dass anhaltender chronischer Stress kombiniert mit Hilflosigkeit psychisch krank machen kann.
Würden Sie sagen, wir sind während der Pandemie resilienter geworden?
Walter: Ja und wir haben auch einiges aus ihr gelernt. Als die schrecklichen Bilder aus Bergamo um die Welt gingen, und auch in der Charité viele Schwerkranke auf die Intensivstationen aufgenommen wurden, haben wir sofort ein Notfalltelefon für die psychologische Betreuung der Angehörigen und unserer Mitarbeitenden eingerichtet. Wir haben erwartet, dass viele Menschen mit dieser unklaren Bedrohung überhaupt nicht zurechtkommen werden. Wissen Sie, was passiert ist? Es hat kaum jemand angerufen. Warum? Weil wir Menschen sehr gut darin sind, akute Krisen zu bewältigen.
"Wir haben auch erwartet, dass die Suizide steigen, doch in der Pandemie haben sie zunächst sogar abgenommen."
Wir haben auch erwartet, dass die Suizide steigen, doch in der Pandemie haben sie zunächst sogar abgenommen. Anfangs haben wir uns zudem vor allem um die Älteren gesorgt. Doch diese sind, sofern sie nicht sehr krank geworden sind, am besten weggekommen. Die meisten haben im Laufe ihres Lebens schon ganz andere Dinge erlebt.
Und was ist mit den Jüngeren geschehen?
Walter: Jugendliche und Frauen hat die Zeit der Pandemie psychisch am stärksten getroffen und bei ihnen leider zu einem Anstieg psychischer Symptome und Störungen geführt. Uns war schlichtweg nicht wirklich klar, dass soziale Kontakte und Aktivitäten für Jugendliche und Kinder so unverzichtbar sind. Das ist eine wichtige Erkenntnis. Sie ist nicht neu, aber die Pandemie hat uns noch einmal drastisch vor Augen geführt, was wir als Fachleute schon lange wissen: Viele psychische Erkrankungen beginnen im Kindes- oder Jugendalter. Tatsächlich sind es zwei Drittel aller psychischen Erkrankungen.
Wie oder wodurch unterscheiden sich die Menschen in ihrer Resilienz?
Walter: Wir finden bei denen, welche psychisch relativ unbeschadet durch die Pandemie gekommen sind, dass die Resilienzfaktoren, von denen schon die Rede war, gut ausgeprägt waren. Das betrifft beispielsweise ihr Empfinden von Selbstwirksamkeit, Optimismus, ihre soziale Verbundenheit und ihre Fähigkeit, Probleme zu lösen. Ein Faktor, den wir immer als zentral für die Minderung von Resilienz finden, ist das sogenannte Katastrophisieren. Das bedeutet, in stressigen und bedrohlichen Situationen stets das Schlimmste zu befürchten.
"Menschen, die flexibel denken und ihre negativen Emotionen im Griff haben, bleiben resilient."
Viele Leute schimpfen noch heute über diese und jene Maßnahme während der Pandemie und sagen vieles, ja alles, sei ganz schrecklich falsch gemacht worden. Natürlich gab es Fehler, hinterher ist man immer schlauer. Doch bei einer plötzlichen globalen Pandemie mit unklaren Risiken ist das unvermeidbar. Wer glaubt denn im Ernst, eine Regierung könne in so einer Situation alles perfekt machen? Viele halten sich dennoch an den negativen Aspekten fest. Das ist das Gegenteil eines resilienten Mindsets. Menschen, die flexibel denken und ihre negativen Emotionen im Griff haben, bleiben resilient. Sie sehen nicht nur die Katastrophen, sondern auch Chancen - unabhängig von ihrem Alter oder ihrer Erfahrung.
Wer hatte denn aus ihrer Perspektive beim Ausbruch der Pandemie besonders gute Ausgangsbedingungen?
Walter: Das waren Menschen mit Krisenvorerfahrungen und einer guten sozialen Vernetzung. Das ist ähnlich wie mit dem Risiko für psychische Erkrankungen. Je besser das soziale Netz, je stabiler die Bildung und die Persönlichkeit, umso geringer das Risiko zu erkranken. Gleichwohl ist die Wahrscheinlichkeit dann umso höher, Erkrankungen und ihre Folgen zu bewältigen. Das gilt bei der Pandemie genauso. Gleichwohl haben Menschen, die normalerweise nicht so gut zurechtkommen, in der Pandemie unerwartete Stärken gezeigt.
Was können wir für den Umgang mit zukünftigen Pandemien und Resilienz lernen?
Walter: Es kommt meistens nicht so schlimm, wie man denkt. Die Katastrophenszenarien, die für die Pandemie an die Wand gemalt wurden, haben sich letztlich nicht bewahrheitet. Weder die ganz hohen Todeszahlen, noch der befürchtete immense Anstieg an Suiziden ist eingetreten. Es hat sich wieder gezeigt: Wir sind alle viel resilienter als wir denken. Wir dürfen ruhig mehr Zutrauen in uns und unsere Gesellschaft haben, dass wir mit Krisen umgehen können. Zuversicht an sich ist ein bedeutender Resilienzfaktor.