Angesichts der Hintern

Angesichts der Hintern

Beim Focus wird über die Relevanz des Nutzwerts für die Auflage gestritten, in und um das ZDF dagegen über ein Parfüm im Zeichen der Akazie.

Das Tollste am Artikel "Die hundert tollsten Ideen", in dem sich die Medienseite der Süddeutschen (S. 13, derzeit nicht frei online) heute des Münchener Montagsmagazins Focus annimmt, ist der "runde, gut gebräunte Frauenhintern". Silbern gerahmt, vermutlich als Teil einer Ganzkörperansicht, soll er "im vierten Stock der Focus-Redaktion im Münchner Arabellapark" so hängen, dass der Gründungschefredakteur und jetzige Herausgeber des Focus, Helmut Markwort, ihn beim Betreten und Verlassen seines Büros gut anschauen kann. Dieser Hintern bildet Ein- und Ausstieg des Texts von Marc Felix Serrao, der bei der SZ inzwischen der Mann für mehr oder weniger investigative, weniger oder mehr süffisante Geschichten über Konkurrenzverlage ist.

Der Hintern ist vermutlich jedoch nicht mit diesem frisch am Kiosk erschienenen, ansehnlichen Hintern identisch. Obwohl die renommierte Illustrierte Stern, die ihn heute publiziert, natürlich ebenso in Serraos Artikel vorkommt ("Der 'Stern' lässt grüßen", weil der neue Focus-Chefredakteur Wolfram Weimer angeblich so, wie es zumindst früher Stern-Chefredakteure taten, "deutlich mehr Texte einfordert, als ins Blatt passen" und also viele von denen gar nicht erscheinen) wie auch der Spiegel (gegen den der Focus immer montags "antritt oder, besser, gerne antreten würde").

Das ist natürlich der Fokus des SZ-Artikels: die sinkende, oder vielleicht, wenn man der seit einem halben Jahr amtierende Weimer ist oder es aus anderen Gründen positiv betrachten muss: trotz Preiserhöhung auf niedrigem Niveau inzwischen vielleicht stabile Auflagenentwicklung des Focus. Darüber kann man sich bei den Kollegen von meedia.de gut informieren, die z.B. auch dokumentierten, dass selbst Julian Assange, der dem Spiegel als Exklusivkooperations-Partner zu solch tollen Auflagenzuwächsen verholfen hat, auf dem Focus-Cover nicht funktionierte (ähnlich wie der vermutlich teuer eingekaufte Papst).

Aufgrund dieser Entwicklung seien "sie" beim Focus bzw. im Burda-Verlag, in dem es seit dem Rückzug des Verlegers Hubert Burda aus dem operativen Geschäft und dem Machtzuwachs für den Manager Philipp Welte vielleicht noch knallhärter als früher gerechnet wird, jetzt gespalten. Damit zum investigativen Teil des SZ-Artikels:

"Es gibt zwei Fraktionen, und wenn es stimmt, was sie im Verlag sagen, dann reichen sie bis an die Spitze", schreibt Serrao. Worüber "sie" sich streiten, sei die alte Frage, ob der "alte, hemdsärmelige 'Nutzwert'", der zumindest früher das Top-Markenversprechen des Focus bildete, ein Comeback zu Lasten der von Weimer propagierten "Relevanz" erleben soll.

Falls ja, könnte sich der Focus eine Scheibe vom Stern abschneiden. "Wie negative Emotionen dick machen - und wie Sie trotzdem schlank werden" - so etwas könnte man doch wissen wollen am Jahresanfang.

Medienjournalistisch jedenfalls schön, wenn konkurrierende Verlage wieder süffisant-investigative Geschichte übereinander erzählen. Sofern die Nutzwert-Fraktion nicht schnell einen totalen Sieg landet, revanchiert sich der Focus vielleicht mit einer über die SZ. Steilvorlagen liefert immer gern sueddeutsche.de, das z.B. heute die gestrige "Nacht der Süddeutschen Zeitung in Berlin" als kleine Klickstrecke dokumentiert ("Die Kanzlerin schnappt sich sogleich ein Glas Champagner und ist wenig später mit den SZ-Chefredakteuren Kurt Kister (rechts) und Wolfgang Krach (links) ins Gespräch vertieft").

[listbox:title=Artikel des Tages[Das Parfüm-Problem des ZDF (SZ)##Das Parfüm-Problem des ZDF (BLZ)##Zahlen rund um Myspace (Tsp.)##BLZ über die Udo-Lindenberg-Doku]]

Die erste von zwei weiteren größeren Mediengeschichten dieses Donnerstags findet u.a. ebenfalls in der Süddeutschen statt, in der sie am Dienstag begann. Dann von der Bild-Zeitung titelgroß aufgeblasen, wird das Parfüm-Platzierungs-Problem im ZDF-Sonntagsfilm "Familiengeheimnisse" (online durchklick- und für hartgesottene Investigatoren bis zum kommenden Sonntag auch anschaubar - hier; achten Sie auch auf das Logo des Baumes und vergleichen es dann mit dem Akazienlogo des real existierenden Parfüms auf dessen Hersteller-Webseite) in FAZ und Berliner Zeitung heute nachbehandelt.

In dem Film also "präsentierte die aus Äthiopien stammende Dennenesch Zoudé nämlich ein Parfüm, dessen Logo in ganz frappierender Weise dem ihrer als Privatperson ins Leben gerufenen Kosmetikserie ähnelt", und zwar unter der Regie ihres Ehemanns Carlo Rola, formuliert es Ulrike Simon amtlich. Und findet ferner "kurios", dass der Parfümhersteller verlautbart: "Uns war nicht bekannt, dass ein Akazienbaum im Film zu sehen ist". Wobei das Gegenteil sicher ähnlich kurios wäre.

Zoudé und Rola seien wegen Urlaubs nicht zu erreichen. Bei ihrer Rückkehr könnte sie eine für sie schlechte Nachricht erwarten, berichtet die Süddeutsche am Ende ihres heutigen Artikels:

"Nach SZ-Informationen wird intern diskutiert, die Zusammenarbeit mit Regisseur Rola (er inszeniert die Krimi-Reihe Rosa Roth) und Zoudé für eine Weile ruhen zu lassen."

Im Hinblick auf den Regisseur könnte das quasi die größte Programmreform im Fiction-Bereich des öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehens seit Jahren oder Jahrzehnten sein. Denn Rola dreht verdammt viele Filme, darunter spektakulär teuer-schlechte ("Krupp - Eine deutsche Familie"), deren gemeinsamer Nenner überwiegend darin besteht, dass fast immer Iris Berben mitwirkt, die sich aus den "Familiengeheimnissen" allerdings rausgehalten hat.

Auch da wären wir auf süffisante Investigationen durchaus gespannt.


Altpapierkorb

+++ Die andere größere Mediengeschichte dieses Donnerstags bewegt die Berliner Tagespresse. In der Hauptstadt wurde gerade die deutsche Abteilung des früher einmal ziemlich bedeutenden Netzwerks Myspace dichtgemacht, das seit 2005 zu Rupert Murdochs Medienimperium gehört. Der Tagesspiegel nennt viele Zahlen, und erfährt dann vom befragten Experten Klaus Goldhammer: "The winner takes it all", so sei das halt in der Digitalökonomie. +++ In der BLZ stellt Marin Majica aus irgendeinem Grund zunächst die Frage, ob denn Facebook das gleiche Schicksal drohe und beruhigt sich dann selber: Nein, das nicht, denn "mittlerweile ist es Facebook ... gelungen, zu so etwas wie einer Standard-Infrastruktur" zu werden. +++ Außerdem, während beim deutschen Myspace immerhin 30 Arbeitsplätze entfallen, müsste Facebook Germany seinen Personalbestand ungefähr verzehnfachen, um auch nur in den zweistelligen Bereich vorzustoßen. +++ "Trotz der Schließungen soll MySpace in deutscher Sprache verfügbar bleiben" (TAZ ganz knapp). +++

+++ An "die Zukunft des Bezahlfernsehens in Deutschland" und an sein eigenes Unternehmen in diesem Segment, Sky, glaubt Murdoch jedoch, so das Handelsblatt, das auch darauf hinweist, dass der künftige Hauptkonkurrent die Deutsche Telekom sein wird. +++

+++ Udo Lindenberg hat noch kein Parfüm kreiiert, ist aber ab heute endlich musicalisiert. Und er "nutzt nuschelnd die Chance der kostenlosen Promotion", schreibt Torsten Wahl (BLZ) über die heutige ARD-Doku um 23.30 Uhr, "Die Akte Lindenberg", dreht dennoch keinem einem Strick daraus. +++ Weitere Stimmen zum Film über Lindenbergs Ostberliner Konzert anno 1983 u.a. von Reinhold Beckmann, der als Tontechniker dabei war: Tsp., TAZ ("...zeigt, wie paranoid die DDR-Granden schon 1983 waren, als im Westen noch keiner an den Mauerfall dachte"), Süddeutsche. +++ Auf der FAZ-Medienseite schreibt Tobias Rüther ein großes Feuilleton dazu ("Der Film beginnt freundlich, fast unpolitisch, ein Sänger mit einer fixen Idee, die offenbar Erfolg hat – und wird nach und nach unbehaglicher und dramatischer"). +++

+++ Die ARD-Reportage "Der Drückerkönig und die Politik" von gestern über Carsten Maschmeyer (siehe Altpapier) ist nun hier in der Mediahek zu sehen. Und nachdem sich der unfreiwillige Protagonist dem Sender als Gesprächspartner verweigerte, stellt er sich heute der Bild-Zeitung (deren "Herz für Kinder"-Aktion er eine Millionenspende zukommen ließ) zum freundlichen "Verhör". +++

+++ Wie war Steffen Hallaschka, der neue Stern-Jauch bei RTL gestern abend? "Wie Jauch – nur ohne Schlips" (Antje Hildebrandt bei welt.de). +++ "Nur manchmal gestikuliert er etwas heftiger" (kress.de). +++ "Hallaschka kann das!" (Martin Weber bei ksta.de). +++

+++ Die FAZ befasst sich ferner mit der Aussage des Fox News-Chefs Roger Ailes nach dem Attentat in Tucson: "Ich habe all unseren Leuten gesagt, haltet die Klappe, dämpft den Tonfall – und ich hoffe, dass die andere Seite das auch tut." +++ Der Tsp. befasst sich angesichts der gemessenen Einschaltquoten der ZDF-Doku-Fiktion "2030 - Aufstand der Jungen" mit dem geringen Erfolg dieses Genres: "Die Deutschen wollen von der Zukunft nichts wissen, die Zukunft stört sie immens bei der Gegenwartsbewältigung." +++

+++ Und der Fernsehsender Tele 5, dessen Sendungen praktisch niemals Zeitungsrezensionen gewidmet werden, bekommt heute anlässlich der Filmreihe "Asia Action" doch mal eine. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.

 

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