Auf in die Zukunft: Mathias Döpfner freut sich über bezahlte Inhalte. Rückblick in die Vergangenheit: Peter Sloterdijk erklärt das Postwesen. Sensationelle Gegenwart: "I've got a feeling about this"
Das also sind sie schon gewesen, die schönen Tage, ja Wochen, in denen die Arbeit hier an Prominenz outgesourcet war – was ja, man darf es nicht unterschätzen, auch bedeutete, einmal ausschlafen zu können.
Das Ausschlafen muss erstmal wieder verlernt werden (9:42 Uhr, damn!). Gelernt haben wir indes einiges – Stichwort: Verlinkungsdichte (watch out den ersten Satz, Christoph <strike></strike> Schultheis), und verpasst nicht zu viel: der Kachelmann-Prozess wird uns wohl ins nächste Jahr begleiten, ein halbes Dutzend Geliebte sind durch, aktuell sind wir bei der medienerfahrenen Försterin aus Norddeutschland, deren Alter Sueddeutsche.de mit 23, Welt-Online dagegen mit 29 Jahren angibt. Wie auch immer. Letzterem Text verdanken wir auch das schöne Fazit:
"So unterschiedlich sie in Alter, Haarfarbe, Wohnort oder Beruf auch sein mögen, eins haben alle gemeinsam: Alle Ex-Geliebten von Jörg Kachelmann sind sehr schlank, fast schon schmal gebaut, ohne ausladende, weibliche Kurven. Viele von ihnen wirkten zudem selbstbewusst und eigenwillig."
Welt-Online hält auch, gerade rechtzeitig, die "Sensation" des Tages parat – eine Frau löst beim Glücksrad, das in Amerika noch läuft (man hatte ja ganz vergessen, dass in dieser neoliberalsten aller Gewinnshows die Kandidaten auch immer noch die ganze Zeit selber klatschen müssen), nach nur einem Buchstaben. Hammer! Und ein Weltklasse-Motto für dieses zweite Altpapier of the new decenium: "I've got a good feeling about this."
Der graue Alltag hat uns wieder. Aber wegen des guten Feelings sagen wir's nüchterner: die Normalität kehrt zurück.
Auf diese hoffen auch die Interviewer (Gabor Steingart, Hans-Peter Siebenhaar) von Springers Chef Mathias Döpfner im Handelsblatt gleich in der ersten Frage:
"Herr Döpfner, immer mehr Verleger, in England und Amerika Rupert Murdoch, in Deutschland Sie und Ihr Axel-Springer-Verlag, melden rasant steigende Leserzahlen für bezahlte Inhalte im Internet. Kehrt nun die Normalität im Mediengeschäft zurück?"
Was für ein dezidiertes Wirtschaftsblatt naturgemäß eine rührende Frage ist: Was sollte das denn sein, die Normalität? Kommt einem fast ein bisschen albern vor, ausgerechnet dem Handelsblatt in Abwandlung des alten Dramaturgenweisheitenspenders Heiner Müller sagen zu dürfen: Kapitalismus ist Krise.
Döpfners direkte Antwort ist zwar nicht umgehend befriedigend:
"Es beginnt eine neue Phase, in der alle sich auf eines besinnen: Inhalte sind der entscheidende Erfolgsfaktor. Gute Inhalte bedeuten einen Aufwand. Sie stellen einen Wert dar und müssen daher bezahlt werden."
Aber die in Verlegerkreisen gern zur Distanzierung bemühten Vergleiche mit anderen Industrien wendet das einzige europäische Mitglied im Aufsichtsrat von Time Warner immerhin lakonisch:
"Andere Branchen wie Banken, Stahl, Telekommunikation oder Touristik haben einen gewaltigen Strukturwandel hinter sich gebracht. Das passiert ab und zu in der Wirtschaft."
Sonst gibt es neben lighten Öffentlichen-Rechtlichen-Häme und Erfolgsmeldungen von der Bezahlschranke Korrekturen am euphorischen Steve-Jobs-Kniefall-Zitat (Ironie) und neue Vorschläge zur Reichweitenmessung.
Euphorisches erreicht uns dagegen aus Oberstaufen. Nachdem das Google-Street-View-Vorzeigedorf in den letzten Tagen Schauplatz einer Debatte über Verpixelung und Peinlichkeit wurde, die Wolfgang Michal mit einem erratischen Text auf Carta beschließt, schwärmt die zuständige Tourismusmanagerin von den Vorteilen der Social-Media-Affinität des "digitalsten Kurorts Deutschlands":
"Als wir noch keine sozialen Netzwerke hatten, war die beliebteste und häufigste Frage: Wann findet der Almabtrieb statt? Da bekamen wir zu bestimmten Zeiten 100 Anrufe mit dieser Frage oder E-Mails. Heute kriegen wir noch 30 oder 50, weil diese Frage einmal im sozialen Netzwerk gestellt und darin beantwortet wird."
Solche praktischen Fragen berührt das neue Buch des Kunsthistorikers Hubert Burda ("In medias res. Zehn Kapitel zum Iconic Turn") nicht. Da geht es, etwa im Gespräch mit dem Fiskalphilosophen Peter Sloterdijk, das die FAZ freundlicherweise vorabdruckt (Seite 35), um größere Zusammenhänge, wenn dieser erklärt:
"Weswegen es sehr wichtig ist, dass man Medientheorie immer auch als Transporttheorie entwickelt. Die Post ist eine Erfindung des Imperiums. Der Kurier ist ein Abgesandter des Kaisers."
[listbox:title=Die Artikel des Tages[Mathias Döpfner über den Strukturwandel (HB)##Die Massenmedien unterhalb ihrer Möglichkeiten (FAZ)##Wolfgang Michal über Katholizismus und Verpixelung (Carta)##Der Thomas-Walde-Moment (SZ)##]]
Medientheorie als Transporttheorie? Da fällt einem dieser Tage sofort das protestierende Wendland ein, aus dem die TAZ eine Bildergalerie weltonlineskester Epik liefert.
In der FAZ denkt Jürgen Kaube, angeregt durch eine kluge Anruferin, derweil über die Bürgerferne der Politik in den Zeiten der Massenmedien nach:
"Dass der Streit um 'Stuttgart 21' zu einem neuen Sendeformat geführt hat, der öffentlichen Anhörung nach Abschluss des Verfahrens nämlich, unterstreicht, dass auch die Medien unterhalb ihrer demokratischen Möglichkeiten leben."
Kommt einem irgendwie auch normal vor.
Altpapierkorb
+++ In dieselbe Kerbe wie Kaube haut Max Steinbeis, dessen "Zehn Thesen zum Problem intransparenter Gesetzgebung" auf Carta sich stilistisch bedingt (Thesen!) allerdings nicht so hübsch lesen. +++ Rudolf Balmer sammelt in der TAZ derweil Reaktionen aus Frankreich, die von den Reaktionen auf den Castor-Transport doch stärker beeindruckt sind. +++
+++ Auch das Fernsehen hat die letzten beiden Wochen überlebt: Stefan Klein hat für die SZ in der ZDF-Sendung "Berlin direkt" einen fast historischen Moment erlebt. Moderator Thomas Walde fragte Umweltminister Norbert Röttgen viermal nach einer Antwort, die er nicht bekam. Der Rekord des Insistierens kommt aus England und liegt bei zwölf Nachfragen. +++ Peer Schader erfreut sich in der FAZ (Seite 35) an der Sendung "X-Factor", die ebenfalls aus England kommt. +++ Joachim Huber bringt im Tagesspiegel gegenüber dem Los von Ingrid Steeger (Hartz IV) irgendwie nur wenig Empathie auf, während Rainer Tittelbach sich ebenda mit Drehbuchautor Christian Jeltsch vor allem über Krimis unterhält ("Es ist ja ungewöhnlich, wenn ein Kommissar mit seinem Tumor spricht"). +++ Antje Hildebrandt portraitiert in der Berliner Joachim "Joko" Winterscheidt, der mit Klaas Heufer-Umlauf das hochhält, was das Musikfernsehen einmal ausgezeichnet hat – nun auf ProSieben. (den Text kann man auch in der FR lesen). +++ Mit dem vielseitigen Schauspieler Anatole Taubman hat die SZ gesprochen (Seite 15). +++
+++ Bei Spiegel TV wird entlassen (TSP). +++ In Marokko ist Protest medial nicht so leicht einzufangen wie im Wendland (TAZ). +++
Neues Altpapier gibt's morgen wieder ab 9 Uhr.