Annette Milz wirft in ihrem Geschenkpapier zum Altpapier-Geburtstag einen Blick auf die Befindlichkeiten der Branche zwischen Tages- und Tagungsgeschäft, zwischen Hirsesuppe, Beef und Digestif.
Auch Journalisten sind nur Menschen. Ach! werden Sie jetzt denken. Klar, Sie als langjährige "Altpapier"-Leser wissen das schon längst. Aber wissen das auch andere? Höchste Zeit also, einen Blick auf die aktuellen Befindlichkeiten der Branche zu werfen. Ein Streifzug:
"Deutsche Journalisten sind wie die katholische Kirche: fehlerfrei." Das sagt Lukas Heinser - und als Chef des Bildblog muss er ja wissen, wovon er da spricht. Passenderweise äußerte er das vergangene Woche im Schatten des Petersdoms - während einer Tagung in Rom zu den deutsch-italienischen Medienverhältnissen, bei der viel von Klischees, Herausforderungen, schlechtem Image und guten Vorsätzen von Journalisten die Rede war. So mancher deutsche Teilnehmer fuhr zwar beruhigt wieder ab angesichts der "italienischen Anomalie" in der berlusconisierten Medienlandschaft - für die der italienische Ministerpräsident gerade erst wieder einen tiefschlagenden Beweis geliefert hat: Öffentlich rief er sogar zum Zeitungsboykott auf: "Die betrügen Euch nur". Dem gegenüber erscheinen trotz allerlei fragwürdigem Verlegergebarden die Verhältnisse hierzulande doch noch immer etwas geordneter.
Allerdings müssen wir feststellen, dass sich die Unfehlbarkeit der deutschen Journalisten bedauerlicherweise noch nicht überall rumgesprochen hat. Davon kann man sich beispielsweise am 16. November in Berlin überzeugen, wenn u.a. Spiegel-Mann Dirk Kurbjuweit und ZDF-Frau Bettina Schausten über die "Hassliebe - von der Politikerverachtung zum Journalistenbashing" diskutieren werden. Die Einladung zu diesem Mediendisput des Veranstalters netzwerks recherche dürfte den Masochisten unter den Kollegen so richtig Freude machen:
"Der Ruf der Journalisten wird bei Bürgern und Politikern zunehmend schlechter. Der Vorwurf: Die Medien drehen die Aktualitätsspirale immer schneller, Journalisten sind heute ahnungs- und haltungsloser als je zuvor."
Nun ja, das ist vielleicht ein bißchen zugespitzt formuliert. Ganz so schlimm ist es nun doch nicht, glaubt man der Umfrage, die sich die Hamburger Akademie für Publizistik kürzlich zu ihrem 30jährigen Geburtstag geschenkt hat. Rund 1000 Befragte gaben da den Meinungsforschern von Forsa zu Protokoll, was sie von Medien im allgemeinen und Journalisten im besonderen halten. Immerhin: Jeweils 81 Prozent der Befragten halten Politiker bzw. Journalisten fu?r (sehr) wichtig fu?r das Funktionieren der Demokratie in Deutschland.
Die beruhigenden Urteile: „gebildet“ (81 %), „hartnäckig“ (79 %), „gut informiert“ (74 %). Doch die Befragten sparten auch nicht mit kritischen Attributen: "manipulativ" (62%), "unpräzise" (35%) und nur 59% waren der Meinung, dass Journalisten "sorgfältig" arbeiten, nur 54% halten sie fu?r "glaubwu?rdig", und 42 % für „unabhängig“.
Das ist zwar noch weit von der "italienischen Anomalie" entfernt, aber das sollte kein Trost, vielmehr ein Alarmsignal sein, es erst gar nicht so weit kommen zu lassen.
Dazu empfiehlt sich einen Moment innezuhalten - was zugegeben in der Hektik des Tagesgeschäfts schwer fällt. Genau darin liegt aber ein wesentliches Problem der Branche - treffend beschrieben im Columbia Journalism Review, und gültig keineswegs nur für amerikanische Medien. Autor Dean Starkman beschäftigt sich dort mit den Arbeitsbedingungen von Journalisten im Multimedia-Zeitalter. Er vergleicht deren Situation mit einem Rennen im Hamsterrad, warnt eindringlich vor der zunehmenden Atemlosigkeit der Journalisten und appelliert für einen Moment des bewussten Innehaltens, um die Wirkungen der dramatischen Beschleunigung im Nachrichtengeschäft zu reflektieren:
"...the implications of the do-more-with-less meme that is sweeping the news business. I call it the Hamster Wheel. The Hamster Wheel isn’t speed; it’s motion for motion’s sake. The Hamster Wheel is volume without thought. It is news panic, a lack of discipline, an inability to say no."
Der lesenswerte Beitrag umfasst 21.500 Zeichen - allein das zwingt schon mal zum Innehalten.
Übrigens: In der Einladung zur Podiumsdiskussion über die "Hassliebe" (s.o.) wird freundlicherweise angeboten, dass die Panel-Teilnehmer anschließend "bei einem guten Glas Wein und einem Imbiss ("repressionsfreie Hirsesuppe") zu vertiefenden Gesprächen zur Verfügung" stehen.
[listbox:title=Geschenkpapier-Container[Nr. 1 von Perlentaucher-Medientickerer Rüdiger Dingemann##Nr. 2 von sueddeutsche.de-Chefredakteur Hans-Jürgen Jakobs##Nr. 3 von Blogger Sascha Lobo##Nr. 4 von Stefan Niggemeier##Nr. 5 von "journalist"-Chefredakteur Matthias Daniel##Nr. 6 von "tagesschau"-Chefredakteur Kai Gniffke##Nr. 7 von Teresa Bücker##Nr. 8 von Kriegsreporterin Silke Burmester]]
Wem all das aber auf den Magen schlägt, dem sei die Lektüre von "beef" empfohlen, dass heute frisch am Kiosk liegt. Das Magazin für "Männer mit Geschmack" ist ein Produkt des internen Kreativwettbewerbs 2009 von Gruner+Jahr, der ansonsten gerne die Flagge des hehren Journalismus mit dem Henri-Nannen-Preis hochhält. In der aktuellen "beef"-Ausgabe es unter anderem um die durchaus menschliche Frage, ob ein Digestif nach dem Essen wirklich hilft. Die ernüchternde Empfehlung eines Mediziners: Ein Schluck Wasser ist genauso wirksam. Noch wirksamer sei allerdings: "Machen Sie einen kleinen Spaziergang. Das regt die Verdauung tatsächlich an". Das wiederum hat bekanntlich auch nachhaltige Auswirkungen auf einen kreativen Gedankenfluss.
Also, worauf warten Sie? Raus an die frische Luft. Raus aus dem Hamsterrad. Gönnen Sie sich mal eine Pause. Wie gesagt,auch Journalisten sind nur Menschen.
Annette Milz ist Chefredakteurin des medium magazins. Am Freitag kommt das Geschenkpapier von Konstantin Neven DuMont.