Uwe Wöllner und Jörg Pilawa - wer ist echter? Darauf gibt es keine Antwort. Auf die Frage, wer Rafael Horzons Buch geschrieben hat, aber schon: Helene Hegemann
Jörg Pilawa hat ja nun diese neue Quizshow im ZDF. Was steht heute also so geschrieben über den Medienmann des Tages? In der Berliner Zeitung etwa steht, dieser sei
"Einer, dem man nichts zutraut, und der dennoch alles mitbekommt. Bauernschlau, ein wenig. Ein Dreißigjähriger auf der Entwicklungsstufe eines Teenagers, einer, der seine Tage vor dem Computer verbringt und dabei völlig an den Rand der Gesellschaft gerät. (...) Eine Fratze der vollmedialisierten Wohlstandsgesellschaft."
Es ist natürlich - auch wenn es in einigen Details sicher nicht ganz falsch ist - eine Frechheit, so etwas über Jörg Pilawa zu schreiben, und am Ende wäre es auch noch justiziabel ("Herr Pilawa stellt hiermit fest, dass er seine Tage nicht vor dem Computer verbringt"). Deshalb sollte nicht vergessen werden, anzumerken, dass die Berliner Zeitung Uwe Wöllner meint, die Kunstfigur von Christian Ulmen.
Pilawas Quizshow "Rette die Million!" (komplett in der Mediathek) startete am Mittwoch zur Primetime im ZDF, Wöllners Talk "Wöllner wills wissen" startet heute "Schlag Mitternacht" (FAZ) im RBB, weshalb sich der Mann, den sie Schwiegersohn nennen, und sein Gegenentwurf (Wöllner) heute die Aufmerksamkeit teilen.
Nachdem gestern Senta Krasser, die im ZDF-Studio saß, angemerkt hatte, das die mittwochs gelaufene Premiere von "Rette die Million!" Pilawa, der vor kurzem noch in der ARD alles wegmoderierte, "seinen bisher untadeligen Ruf als Quizmeister gekostet" habe, erklärt Matthias Kalle Pilawas Show heute für den Tagesspiegel:
"Die Grundidee besteht darin, dass ein Kandidatenpaar mit einer Million Euro das Spiel beginnt, acht Fragen bekommt, jeweils Geld auf die richtige Antwort setzt und so versucht, möglichst viel von der Million zu behalten. Das klingt ein wenig, nun ja, überkonstruiert – was es auch ist." Das Konzept sei das Grundproblem, so Kalle, konkret, "dass es sich bei dieser Quizshow weder um ein Quiz noch um eine Show handelt". (... ) So bleibt der große Verlierer des Abends der nette Jörg Pilawa. Der muss jetzt beim ZDF bleiben."
Peter Luley bleibt für die Süddeutsche Zeitung (S. 15) ganz nah an der ersten Sendung:
"Spektakulärer als (die) Spielidee war in der Auftaktfolge (...) die unglaubliche Zeitüberschreitung. Mit 130 Minuten dauerte der nacheinander von drei Teams absolvierte Parcours beinahe eine ganze Fußballhalbzeit, 40 Minuten, länger als geplant. Und doch wurde in voller Länge ausgestrahlt, obwohl die Sendung am Vortag in Köln aufgezeichnet worden war, also die Möglichkeit für Schnitte bestanden hätte. (...) Bis zur nächsten Ausgabe am 10. November soll überlegt werden, an welchen Stellschrauben gedreht werden muss, um das Zeitbudget einzuhalten."
Deutliche Worte wählt Kai-Hinrich-Renner für das Hamburger Abendblatt, der Pilawa "grotesk überschätzt" nennt, sich vor allem aber über die Einschätzung des Formats durch den Sender wundert:
"Bei Channel 4, wo das englische Original 'The Million Pound Drop' läuft, schätzt man die Attraktivität des Formats realistischer ein als beim ZDF. Die Show ist dort nur 65 Minuten lang – übrigens inklusive Werbepausen, die es im Zweiten nicht gibt. Und sie beginnt erst um 22 Uhr und nicht schon um 20.15 Uhr."
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Besser weg kommt Christian Ulmen als Uwe Wöllner - wobei auch hier die Zustimmung Grenzen hat: "Unverkennbar ist Uwe Wöllner eine Art Horst-Schlämmer-Klon, wie Hape Kerkelings Figur trägt er Brille, hat ein Übergebiss und eine eigenartige Sprechweise. Ein weiteres Vorbild dürfte die Figur Ali G. des britischen Komikers Sacha Baron Cohen sein, der im Vorstadtgangster-Stil Politiker in den Wahnsinn treibt", schreibt die FAZ (S. 37), die allerdings auch fehlende Konsequenz moniert: "er fällt manchmal aus seiner Rolle, vergisst sein Nuscheln oder lässt den anderen zu oft ausreden. Ganz so, als wäre Bildungsbürgertum nicht abzustreifen."
Wenn die eigentliche Idee darin besteht, den Gast dazu zu bringen, dass "etwas Unfassbares aus ihm herausbricht", so kritisiert Marc Felix Serrao in der SZ (S. 15) vielleicht nicht ganz zu unrecht den
"Versuch, eine an sich subversive Erfindung wie Uwe Wöllner mit medial geübten, also überraschungsfreien Gästen zu konfrontieren. Und die Plattheit, so etwas als 'außergewöhnlich' (RBB) zu verkaufen. Was wir sehen, sind ein paar fluffige Momente in einem Meer der augenzwinkernden Affirmation. Popkulturelle Verwurstung. Man kennt das. Von den anderen. Bei denen ist es egal. Bei Ulmen und um Uwe ist es schade."
Der Tagesspiegel wiederum findet die Fortsetzung des Formats nach den sechs nun zu sehenden Folgen "unbedingt notwendig", auch wenn Markus Ehrenberg "Längen" ausmacht und - oder ist es keine Kritik, sondern erst einmal Feststellung? - moniert: "Fernsehen hat einen komplett fiktiven Charakter bekommen, hat Roger Willemsen mal gesagt, das seltsam-subversive Talkwesen Ulmen/Wöllner ist der beste Beweis dafür."
Inwieweit die Urheberschaft Rafael Horzons fiktiven Charakter hat? Robin Meyer-Lucht schreibt bei Carta, Helene Hegemann habe (laut Horzon, den er - auch ne schöne Geschichte - auf der Straße traf) dessen Buch geschrieben. Die Verbindung zwischen Horzon und Hegemann, was sie auch immer tatsächlich umfassen mag, war schon hier und da angedeutet, wie Meyer-Lucht schreibt und verlinkt. Auch im Altpapier wurde Hegemann im August schon mit den Worten zitiert: "Ich grüße Rafael Horzon, in dessen Partnertrennungsagentur ich seit Neuestem ein Praktikum mache."
Doch "(o)ffenbar hat keiner der Journalisten die subtilen Hinweise auf Hegemann so entschlüsselt, wie Horzon es sich erhofft hatte", schreibt Meyer-Lucht. Wenn man nicht weiß (also ahnt), dass die Wirklichkeit interessanter ist (also sein könnte), kann man das Gewöhnliche ja leicht für plausibler halten.
Auf Christian Ulmens/Uwe Wöllners Talk und seine Gästeauswahl gewendet, könnte man also auch sagen: Wenn man weiß, dass das Kostüm ein Kostüm ist, ist es eben nur noch ein Kostüm. Ali G. - von der FAZ plausiblerweise als mögliches Vorbild genannt - hatte so viel Erfolg, weil seine Gegenüber gerade nicht wussten, wie seine Fragen gemeint seien.
Die andere Seite des Kunstfigurwesens ist, dass Wöllner im großen FAZ-Gespräch "am Rande der Realität" mit u.a. Herausgeber Frank Schirrmacher 2009 gerade deshalb eine Wahrheit über Jörg Pilawa aussprechen konnte, weil er Kunstfigur ist:
"Wöllner: Jörg Pilawa – den find’ ich cool! Der ist der Beste, find’ ich. Der sieht abgefahren aus, find’ ich, wie ein langer Lurch. Und der macht die besten Gags im Fernsehen.
FAZ: Also, Jörg Pilawa kommt und sagt: Hör zu Uwe, ich habe dich im Internet gesehen, wir arbeiten jetzt zusammen. Das würden Sie machen?
Wöllner: Klar, Jörg Pilawa! Würd’ ich sofort machen. Mit Jörg Pilawa sollte jeder mal gearbeitet haben im Leben.!
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+++ Die Kalkulation des Skandals ist nichts, was man RTL2 nicht zutrauen sollte. Im Fall der Sendung "Tatort Internet" hält der Kölner Stadt-Anzeiger sie gar für wahrscheinlich. Denkbar wäre freilich auch fehlende Professionalität +++ Die Medienaufsicht prüft nun: "Die für den Privatsender zuständige Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien überprüft, ob bei dem Format medienrechtliche Vorgaben eingehalten werden. Dabei gehe es vor allem um den Jugendschutz sowie um die Persönlichkeitsrechte von Opfern und mutmaßlichen Tätern." (FAZ, S. 37) Das Magazin, das mit der Frau des Verteidigungsministers eine Präsentatorin anbietet, deren Position einen kalkulierten Skandal eigentlich nur schwer vorstellbar macht, will vor Sexualstraftätern warnen - unter anderem mit versteckten Kameras +++ "Nach Ansicht des Direktors der" (für www.programmbeschwerde.de zuständigen) "Saar-Medienanstalt, Gerd Bauer, ist zu bedenken, ob durch so ein Format Hilfe für die Opfer erreicht werden könne oder nur die Sensationsgier von Zuschauern befriedigt werde." (TSP) +++ Auch Spiegel Online berichtet heute über Beschwerden und Prüfungen, im Nachklang zum gestrigen Text über die Prangerwirkung der Sendung +++ Ebenfalls um den Jugendschutz kümmert sich - hier nun auf der prüfenden, nicht wie zu Guttenberg auf der verdächtigten Seite - Unionsfrau und Familienministerin Kristina Schröder (BLZ). Anlass ist die Berichterstattung der FAS über die FSK (siehe Altpapier) +++
+++ "Islamistische Sezessionisten", denen Islamonline politisch nicht radikal genug sei, "starten das Portal Onislam", so die FAZ im Medienseitenaufmacher +++
+++ Rock'n'Roll, endlich neue Auflagezahlen: DWDL hat sie +++
+++ Google macht Gewinn - eine Schnarchmeldung. Interessanter: Google macht sogar erstaunlich viel Gewinn (Kress, FTD) +++
+++ Zugleich droht Google Ungemach: Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner geht steil (TAZ) und will über Löschung von Inhalten diskutieren: Zu einer guten Lösung etwa im Fall Street-View gehöre "auch, persönliche Daten und Bilder mit einer konkreten Halbwertszeit zu versehen, nach deren Ablauf die jeweiligen NutzerInnen entweder regelmäßig neu ihr Okay zur weiteren Onlinepräsenz geben müssten. Geschieht das nicht, hofft Aigner 'auf eine Regelung, dass sich diese Daten und Bilder dann von selber löschen'" +++
+++ Äh, what? Pilawas Zuschauer fühlten sich ihrer Freiheit beraubt, meldet Meedia via WAZ +++
Frisches Altpapier: am Montag.