Das Fernsehen ist schuld

Das Fernsehen ist schuld

Der Fernsehpreis wird zugerichtet, oder war es hingerichtet? Und These des Tages: Wenn das Fernsehen Mut zur Qualität hätte, hätten wir keinen Sarrazin.

Bevor wir zum Deutschen Fernsehpreis kommen, der das Foto von Marcel Reich-Ranicki rechtfertigt, der keinen Bock auf ihn hatte: erstmal zum Zeitungskiosk.

Die Verkäuferin so: "Was isn das eigentlich für ein Heft? Das wollen alle haben, dabei sieht's aus wie vollgeschmiert."

Dies zur neuen Dummy-Ausgabe, die sich der Jugend widmet.

Um das Problem mit dieser Ausgabe zu benennen: Die Poster-Strecke ab S. 54 enthält zwar ein nicht unhochhängenswertes Doppelseitenposter von Angela Merkel aus Jugendtagen, allein, es lässt sich nicht herausnehmen. Is' egal eigentlich, schon klar, aber man hält ja selten ein Magazin in der Hand, bei dem man sich die Frage stellt, hmm, geklebt oder geheftet? Ein Alleinstellungsmerkmal.

Was aber steht so drin? Im Editorial zum Beispiel, online versteckt unter dem gleichermaßen bezeichneten Button, ist zu lesen:

"Wenn sich wie im Sommer 2010 ein paar Jugendliche im Stadtbad Neukölln prügeln, steht in null Komma nix eine Einheit Polizisten am Beckenrand, mit Schutzpanzern und Helmen ausgerüstet wie zu den 1.-Mai-Krawallen, und zieht Teenager in Badehosen aus dem Wasser. Und in den Tagen danach wird in Hetzblättern wie Springers 'B.Z.' oder 'Bild' nach härteren Strafen geschrien."

In diesem Sinne erinnern auch wir an Axel Springer, dessen Todestag sich am Mittwoch zum 25. Mal jährte, was den einen oder anderen Versuch in Springer-Zeitungen zur Folge hatte, an ihn zu erinnern und zu fragen: Was täte er heute, der Mann, den sie Axel nennen?

Bild.de, zum Beispiel, hat eines der profiliertesten Windräder eingekauft, das sich nun dem großen Thema Axel Springers widmet und sich stellvertretend für die 68er entschuldigt. "Natürlich bin auch ich mit der Parole 'Haut dem Springer auf die Finger!' politisiert worden", schreibt er, der aber mittlerweile weise geworden sein will, oder auch doch nicht:

"Ich weiß, ich klinge wie ein alter Reaktionär. Und vermutlich bin ich es auch. Jedenfalls bin ich kein Relativist. Springer war es auch nicht. Er hatte Prinzipien und er versuchte, sie durchzusetzen. Nicht immer sehr geschickt und oft auch mit mehr Druck als nötig. Deswegen (sic!) denke ich jedes Mal, wenn ich am Springer-Haus in der Kochstraße vorbeifahre: 'Sorry Axel, ich hab mich geirrt, und du hast recht gehabt. Nicht immer. Aber immer dann, wenn es wirklich darauf ankam.'"

Kochstraße, das ist übrigens die Straße, an der der Springer-Verlag just in dem Moment mit Handmähern den Rasen vor seinem Hochhaus mähen ließ, als die benachbarte taz die Umbenennung in Rudi-Dutschke-Straße feierte.

Auch das ebenfalls zum Konzern gehörige Hamburger Abendblatt erinnert, über Google trotz Bezahlschranke einsehbar, an Axel Springer - und Springer wäre nicht Springer, wenn nicht der ein oder andere subtile Anknüpfungspunkt an Geschäftsmodelle der Gegenwart im Text enthalten wäre:

"Er (...) konnte die Zukunft lesen, wo andere genug damit zu tun hatten, auf die Anforderungen der Gegenwart zu reagieren. Und das iPad? Er hätte es verstanden: Es ist einfach zu bedienen und so elegant, dass es sogar zu seinem erlesenen Geschmack gepasst hätte. Ihm hätte gefallen, wie gut man damit Zeitung lesen kann, ja, das Zeitunglesen revolutionieren kann. Vermutlich hätte dann auf einem seiner Zettel gestanden: Wenn Nachrichten online gelesen werden, sollten wir zu den besten gehören, bei denen man Onlinenachrichten bekommt."

Denkbar ist ja immer vieles, und das gehört möglicherweise dazu.

Die Onlinenachrichten sind auch Thema bei Stefan Niggemeier, der sich, nicht unkokett, aber quasi notgedrungen, aus Anlass zweier Reden im Rahmen einer Geburtstagsfeier einer Journalisten-Akademie wieder einmal mit seinem Leib- und Magenthema beschäftigt:

"Ich kann nicht glauben, dass man das im Jahr 2010 immer noch hinschreiben muss: Der Print-Journalismus ist dem Online-Journalismus nur insofern überlegen, als der Print-Journalismus jahrzehntelang ein lukratives Geschäftsmodell hatte, das dafür sorgte, dass Redaktionen gut ausgestattet wurden und sich relative hohe Standards entwickeln konnten."

Über die Standards kommen wir zu den Öffentlich-Rechtlichen - die sind, wie der Tagesspiegel informiert, führend im Nominiertwerden, konkret für den Deutschen Fernsehpreis: "Bei den Sendern führt das ZDF mit 13 Nennungen, dahinter ARD und RTL je acht Nennungen, Sat 1 vier, Pro 7, Vox und KI.KA zwei und Sky mit einer Nennung" (Fettung im Original).

[listbox:title=Artikel des Tages[Ernst Elitz und die Standards (BLZ)##Joachim Huber wird gefoltert (TSP)##Der Wind, den der Spiegel macht (BLZ)]]

Joachim Huber vom Tagesspiegel äußert allerdings erhebliche Zweifel, ob der Fernsehpreis ein Qualitätsausweis sei - eine Erkenntnis, über die vor zwei Jahren schon mal diskutiert wurde. Aus dieser Zeit stammt auch der oben gezeigte Screenshot. Huber allerdings befasst sich nun noch einmal mit der Reform des Preises, der in diesem Jahr in der ARD ausgestrahlt wird, und stellt geradezu ranickiesk fest:

"Der 'Deutsche Fernsehpreis' wird zugerichtet, abgerichtet auf seine Gängigkeit beim Fernsehpublikum. Die härtesten Kritiker nennen das nicht Zurichtung, sie sprechen von Hinrichtung."

Die Berliner Zeitung sorgt sich ebenfalls um die Qualität der Öffentlich-Rechtlichen. Ernst Elitz, ehemaliger Intendant des Deutschlandradios, schlägt zunächst einmal eine neue Vorbildpublikation für die Fernsehkritiker der Medienseiten vor - Carl von Ossietzkys Weltbühne, aus der er zitiert:

"Warum nimmt man sich für die Abendunterhaltungen die dürftigsten Bockbierfeste zum Vorbild? Warum verwendet man für die Konzerte eine Bums-Musik, die selbst abgehärtete Sterndampfer zum Kentern brächte?"

Acht Jahrzehnte sind seitdem vergangen, doch "die Fragen, die an die elektronischen Medien gestellt werden, sind immer noch die gleichen", so Elitz, was man ja auch so interpretieren könnte, dass vielleicht alles so schlimm gar nicht ist, aber damit wollen wir nicht zitiert werden.

Was will Elitz aber? Er bringt einen Vorschlag von Norbert Schneider wieder ins Gespräch, dem Direktor der nordrhein-westfälischen Landesmedienanstalt, der auch lange hier beim Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik tätig war und der heute offiziell verabschiedet wird (weshalb die SZ dem dort so genannten "Intellektuellen vom Dienst" auf S. 15 eine Spalte widmet). Schneiders Vorschlag lautete: Gründung einer unabhängigen "Stiftung Medientest". Elitz:

"Eine unabhängige Beurteilungsinstitution, eine Stiftung Medientest, könnte ARD und ZDF ermutigen, diese Stärken im Programm wie in der Öffentlichkeit stärker herauszustellen. Und sie könnte den Sendern Mut machen, jenseits der heute vorherrschenden Gremienbetulichkeit provokante Themen wie das politische Versagen bei der Integration und der Sicherheit auf den Straßen um 20.15 Uhr zu präsentieren und sie nicht wie das Neukölln-Drama "Knallhart" oder "Hart aber herzlich - eine türkische Lehrerin gibt auf" kurz vor der Geisterstunde zu versenken. Hätten die quotenstarken Massenprogramme diesen Aufklärungsauftrag erfüllt, wäre Thilo Sarrazin uns erspart geblieben."

Ein ganz neuer Twist in der Diskussion über die Rolle der Medien in der Sarrazin-Debatte.



Altpapierkorb

+++ Die katholische Wochenzeitung Rheinischer Merkur werde nicht von der Zeit gekauft, meldet der Tagesspiegel, der wie die Zeit zu Holtzbrinck gehört. "Es handele sich lediglich um eine Kooperation, sagte eine Verlagssprecherin der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die 'Zeit' werde weder die Erstellung des neuen Produkts übernehmen, noch die journalistische Verantwortung für das Produkt tragen" +++ Die Süddeutsche (S. 11) widmet dem Merkur ihren Feuilletonaufmacher: "Hier sollte eine dezidiert katholische Sicht auf Staat und Gesellschaft in die Öffentlichkeit getragen werden, und die relative Stabilität des Rheinischen Merkur in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik zeugt umgekehrt davon, dass es diese katholische Öffentlichkeit auch gab. Die späteren Auflagenverluste mit der sinkenden Zahl der Kirchgänger zu verknüpfen, liegt nahe. Doch müsste es nicht immer noch genug kirchlich orientierte Deutsche für eine christliche Wochenzeitung geben?" Stephan Speicher, der Autor des Textes, hat eine These: "Vermutlich liegt das Problem der kirchlichen Presse darin, dass katholisch oder evangelisch zu sein nicht mehr heißt, einen ganzen Satz von Werten und Überzeugungen zu teilen, von dem aus man sich die Gegenwart deutet. Und auch, dass Glaubensfragen zunehmend zu Privatangelegenheiten geworden sind. Ethische Debatten lassen sich auch woanders führen, zum Beispiel in der Zeit." +++ Dass auch der Bayernkurier in seiner Existenz bedroht sei, vermeldet heute auch die taz +++

+++ Windräder auf dem Spiegel-Titel - wir berichteten am Montag. Die Berliner hat sich nun mit den Thesen des Aufmachers und einer von Kritikern unterstellten Klimaskepsis des Magazins beschäftigt: "Deutschlands prominentester Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber sagt, dass es eine 'breite Kampagne' gebe, an der sich das Hamburger Nachrichtenmagazin beteilige. In Hamburg sieht man die Vorwürfe der Wissenschaftler gelassen" +++

+++ Die SZ vermeldet einen kleinen Aussetzer der "Sportschau" am Dienstag: Die vorgelesenen Zweitligaergebnisse stimmten weder hinten noch vorne. Am Mittwoch entschuldigte sich Gerhard Delling in der "Sportschau", verlas die richtigen Ergebnisse, machte allerdings aus dem 1. FC Union Berlin den 1. FC Nürnberg. Hey, kann passieren, so is' Fußball +++

+++ Neben Oskar Roehlers "Jud Süß - Film ohne Gewissen", der an diesem Donnerstag in den Kinos anläuft, gibt es auch eine Fernsehdokumentation, die heute im WDR (23.15 Uhr) läuft: "Harlan - Im Schatten von Jud Süß", der von den Kritikern gelobt wird: Ein "beeindruckender Filmessay zu Schuld und Schuldfortschreibung", schreibt die FAZ (S. 37). +++ "Im Schatten des berüchtigten Propagandafilms", also "Jud Süß", "lebte nicht nur sein Regisseur Veit Harlan bis zu seinem Tod 1964, sondern mit ihm lebt bis heute auch seine ganze weitläufige Familie. Die Nachwirkungen von Jud Süß breiten sich über die Jahre in der Familie aus wie Wasserkreise um einen in den See geworfenen Stein", so die SZ (S. 11), die einen "vielschichtigen Film" gesehen hat +++ Der Tagesspiegel schreibt: "In der Polyphonie der Stimmen scheint Wahrheit auf. Eine Ahnung davon, wie das Erbe sich verteilt, die Schuld sich ausdifferenziert in Sühne, Skrupel, Entlastung und Verdrängung, wie sie Schönfärberei hervorbringt oder auch eine besondere moralische Sensibilität." +++ Und die taz hofft auf eine Einladung zu einem Familientreffen der Nachkommen Harlans: "Es ginge sicher hoch her" +++

Frisches Altpapier gibt es am Freitag.

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