Es geht um Zähne. Der Deutsche Radiopreis wurde vergeben. Die Freischreiber hatten ihren Kongress. Und der katholische Rheinische Merkur soll eventuell verkauft werden.
Es gibt sicher Wichtigeres als den Schmuck der Kanzlerin, aber es gibt wenig, was so gute Laune macht: Die Bundeskanzlerin trägt ein kaputtes Gebiss um den Hals. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat ein Foto aus der Zeit der Bundespräsidentenwahl bei DPA ausgegraben, und es zeigt besagtes Gebiss.
In Wahrheit ist es natürlich kein Gebiss, sondern der dunkle Verschluss einer Kette inmitten weißer Kettenelemente. Aber man soll sich bekanntlich nicht allzu sehr mit Genauigkeiten aufhalten, man nennt das im Berufsjargon Totrecherchieren.
Mit dem schlechten Gebiss also rein in die Berichterstattung über Medien in den Zeitungen des Tages und des Wochenends.
Das Foto führt zunächst einmal hinein in die (bei einigen Medien, v.a. FAS und Spiegel) weiter laufende Diskussion um diesen ehemaligen Bundesbanker, der mit Nachnamen heißt wie ein Bundestagsabgeordneter der Grünen.
Jan Fleischhauer, Spiegel-Redakteur und bekennend konservativ, schreibt im Zuge der Sarrazin-Debatte nicht nur einigermaßen entsetzt über die Sarrazin-Fans, die vor kurzem in Berlin bei einer Lesung zusammengekommen seien, und über die Mischung aus Rasierwasser und Eau de Toilette, Zischen, Klatschen und Johlen. Er schreibt - Stichwort Gebiss - auch über die Zukunft der Qualität der Zahnbehandlung (S. 182 f.), weshalb man sagen kann, dass die FAS an diesem Wochenende einen Spiegel-Text treffend bebildert hat.
Fleischhauer schreibt, dass deutschtürkische Zahnmedizinstudentinnen wie die 21-jährige Selcuk "jederzeit ihre vom deutschen Steuerzahler mit rund 150000 Euro finanzierte Ausbildung nehmen und sich irgendwo niederlassen kann, wo es den Leuten egal ist, wo sie herkommt, Hauptsache, sie weiß, wie man Zähne richtet". Einwanderer fühlten sich dank Sarrazin in ihrer Opferrolle bestärkt. Das ist seine These.
Eine andere These könnte lauten: Die Opferrolle ist dem deutschen Steuerzahler gänzlich fremd.
Klassischer Medienseitencontent steht im Spiegel auf Seite 123 - dort geht es anlässlich des Falls Sarrazin um "einen heftigen Ansturm verbaler Exzesse" in den Meinungsforen großer Onlineportale. Martin U. Müller ist aufgefallen, dass Onlineportale, wann immer es um Sarrazin gehe, mit den verbalen Ausfällen von Usern zu kämpfen hätten: "Über Web-Seiten und Blogs aus dem rechten Spektrum wird derzeit gezielt zu Kommentarattacken auf die Foren größerer Medien aufgerufen." Was auch bedeutet: Das Spektrum der Meinungen als repräsentativ für was auch immer zu nehmen, wäre nun vielleicht nicht der richtige Weg.
[listbox:title=Artikel des Tages[Der Freischreiber-Kongress (taz)##Verkauf des Rheinischen Merkurs? (FR)]]
Auf der Suche nach Wegen, wie freie Journalisten lustig bleiben können, sind die Freischreiber, der vor etwa zwei Jahren gegründete Berufsverband freier Journalisten, die am Wochenende ihren ersten Kongress (hier die Freischreiber-Seite dazu), abhielten. Die taz (die zeitgleich dazu ihre Genossenschaftsversammlung abhielt, die wiederum zeitgleich zur Berliner Anti-Atom-Demonstration stattfand) schreibt darüber, und sie hält Diskutierenswertes für den ganzen Berufsstand des Journalisten fest:
"Dass das einst eiserne Gebot 'Journalisten machen keine PR' längst nicht mehr haltbar ist, war der hochpragmatische Konsens am Samstag. Voraussetzung dafür sei laut Bernhard Pörksen allerdings 'eine Ideologie der Transparenz.' Und eine klare Trennung der Arbeitssphären.
Eine - unpraktischerweise recht arrogant vorgetragene - Widerrede des Netzwerk-Recherche-Vorstands Markus Grill wurde vom Publikum denn auch fast einhellig zurückgepfiffen: Aus dem 'Elfenbeinturm' eines fest angestellten Spiegel-Redakteurs hätte er leicht reden. Und überhaupt sollten 'auch die Verlage erst mal klären, dass sie keine Reiseunternehmen oder Handtuchverkäufer sind', erwiderte Freischreiber-Vorstandsmitglied Benno Stieber."
Im Meedia-Interview antwortet der Freischreiber-Vorsitzende Kai Schächtele auf die Frage, wie er es mit der Forderung von Netzwerk Recherche halte, dass Journalisten keine PR machten:
"Die ist grundsätzlich richtig. Aber viele freie Journalisten sind nun mal auf die PR-Jobs angewiesen. Das sind die Jobs, die ihnen die Miete und die Kita-Plätze bezahlen. Und es ist nicht in Ordnung, dass die Verantwortung dafür immer auf die freien Journalisten abgewälzt wird. Die Verantwortung dafür liegt bei den Leuten, die Honorare festsetzen mit den Argumenten, dass der Markt das regele oder dass man nicht mehr bezahlen könne."
Auffällig an der Berichterstattung über den Freischreiber-Kongress ist jedoch vor allem, dass die anderen Zeitungen, soweit wir das am Morgen überblicken, sie ausfallen lassen. Das ist, da es dem Verband durchaus auch darum geht, die freien Journalisten gegen die Verlage zu verteidigen, irgendwie vielleicht nicht allzu verwunderlich. Schön, dass wenigstens jede Verlegerverbandsblähung die verdiente Öffentlichkeit bekommt.
Am heutigen Montag beginnt in Essen der Kongress "Die digitale Revolution und die Zeitung" des Bunds Deutscher Zeitungs-Verleger (BDZV). Es wird, wie der Tagesspiegel ankündigt, unter anderem um den Konflikt um die Internetpräsenz der Öffentlich-Rechtlichen zwischen diesen und den Verlagen gehen.
Dass die Podiumsdiskussion "Der Preis des Internets" besonderes Interesse findet, dürfte als ausgemacht gelten. Der Tagesspiegel: "Neben Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner und 'FAZ'-Herausgeber Frank Schirrmacher nimmt daran der ARD-Vorsitzende Peter Boudgoust teil. 'Hart aber fair"-Mann Frank Plasberg hat die Moderation übernommen."
Altpapierkorb
+++ Der Deutsche Radio-Preis wurde vergeben, und die Öffentlich-Rechtlichen dominierten in acht von elf Kategorien, so die SZ im Medienseitenaufmacher (S. 15): "Die unabhängige Jury des Grimme-Instituts konnte eigentlich nur alles falsch machen: Würde eines der Systeme deutlich besser abschneiden, könnte das andere womöglich schnell sein Interesse verlieren am neuen Wettbewerbs. Wäre andererseits ein übermächtiger Wille zum Konsens augenfällig geworden, hätte das die Relevanz des Preises beschädigt. Die Grimme-Jury hat insofern den richtigen Weg gewählt: Kleinkariertes Lagerdenken darf bei der notwendigen Anstrengung, dem Radio zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen, keinen Platz haben." +++ Auch der KSTA berichtet +++ Die Preisträger stehen auch auf der Seite des Radiopreises +++
+++ Der aktuelle Spiegel-Titel handelt von Windkraftdingern. "Bis zum Jahr 2050 sollen Wind und Sonne, Wasser und Biomasse das gesamte Land mit Energie versorgen. Doch die Politik in Berlin verschweigt bislang die Risiken des Umbaus - und vor allem die gewaltigen Kosten." Spiegel. Windkraft. War da nicht schon mal was Kritisches mit Windkraftdingern? Vielleicht weiß ja z.B. die Süddeutsche vom 31. März 2004 zufällig was +++
+++ Der Spiegel hat Steffen Seibert bei der Arbeit begleitet (S. 188 f.) - und das Bild des deutschen Regierungssprechers, das die FAS vergangene Woche zeichnete (vgl. Altpapier), um weitere Facetten ergänzt. War der Eindruck des außenstehenden US-Beobachters dort, dass deutsche Journalisten sich nah an der Agenda des Sprechers aufhielten, beschreibt der Teilnehmer hier, wie Journalisten bei der Regierungspressekonferenz, einer Veranstaltung, bei der die 14 Ministeriumssprecher und Seibert, nebeneinander sitzend, "die Fragen der Hauptstadtjournalisten parieren sollen. In der Regel wollen die Journalisten die Regierungs überführen, dass sie sich untereinander nicht einig ist. Das hieße dann Streit, und aus Streit lassen sich Schlagzeilen gewinnen" +++
+++ Das oben erwähnte Gebissfoto bebildert übrigens FAZ-Herausgeber Frank Schirrmachers Feuilletonaufmacher der FAS (S. 25), und er kritisiert darin die Kanzlerin für ihr Geständnis, Sarrazins Buch nicht gelesen zu haben, das er aus der Samstagsausgabe der FAZ (S. 3) zitiert: "Die Vorabpublikationen sind vollkommen ausreichend und überaus aussagekräftig, um These, Kern und Intention seiner Argumentation zu erfassen" +++ Angela Merkel hatte via Regierungssprecher gesagt, sie finde Sarrazins Äußerungen "äußerst verletzend, diffamierend und sehr polemisch zugespitzt". Sie seien "überhaupt nicht hilfreich" für die Integration von Ausländern in Deutschland. "Da müsste ein ganz anderer Ton angeschlagen werden" +++ Carta hat vor einigen Tagen Merkels Rede dokumentiert, bei der sie sich dazu äußerte, warum ihre Kritik an Sarrazin ihrer Meinung nach nicht mit dessen Meinungsfreiheit kollidiere +++
+++ Die katholische Wochenzeitung Rheinischer Merkur steht womöglich vor einem Verkauf an Die Zeit (Frankfurter Rundschau): "Nach Rundschau-Informationen wollen die deutschen Bischöfe das 1946 gegründete Blatt, das seit längerem in wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist, nicht mehr weiter finanzieren." +++
+++ Der Spiegel hat eine sechsstellige Zahl von Einsprüchen gegen Google Street View gezählt +++
+++ Die FAZ (S. 31), die BLZ / FR, die taz, der Tagesspiegel und die SZ (S. 15) besprechen den ZDF-Zweiteiler "Der Doc und die Hexe" (Teil 1 heute, 20.15 Uhr) mit Christiane Paul und Dominic Raacke. In Vertretung aller Else Buschheuer in der SZ: "pointiert geschrieben (...), klug inszeniert (...), rasant gespielt (...), leider unnötig zum Zweiteiler aufgeblasen" +++
Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag gegen 9 Uhr.