Welche Themen setzen Journalisten, und wie? Lassen sie sich die Themen von der Regierung setzen? Und was sagt eigentlich der "kleine Mann" dazu?
Die Arbeitsbedingungen für Robert Gibbs und Steffen Seibert miteinander zu vergleichen - keine schlechte Idee.
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hatte sie (S. 35, derzeit nicht frei online), und das Ergebnis des Vergleichs ist: Gibbs (Foto), der Sprecher des Weißen Hauses, begegnet im eigenen Haus alleine und stehend einer "unbarmherzig sich gegen ihn verbündenden Horde Journalisten", die "nach Belieben eine Frage nach der anderen" abfeuert. Seibert, Sprecher der Bundesregierung, dagegen sitzt als Gast der Bundespressekonferenz, also im Haus der Presse, neben den vielen Ministeriumssprechern, in gesunder Entfernung zu den Journalisten, die sich ans Protokoll und an die "deutschen Gebote der Höflichkeit und Förmlichkeit" halten, "um Klärung in bestimmten Punkten der Gesetzgebung" bitten, bei den vorgegebenen Themen bleiben und im Übrigen dazu "neigen (...), sich ihn der Nähe der Ausgänge zu postieren". Im Bistro der Bundespressekonferenz gibt es "Lammkotelett an pikanter Tomaten-Sahne-Sauce zum Schnäppchenpreis von sechs Euro".
Ob wir deutschen Journalisten möglicherweise zu nah an der Agenda sind, die der Regierungsmann im Sitzen vorgibt, bleibt eine nicht abschließend geklärte Frage. Aber wir sind ein bisschen näher an einer Antwort, da die FAS, um einen Blick von außen auf die deutsche Medienlandschaft zu bekommen, einen US-amerikanischen Journalisten mit dem Text beauftragte. Dessen Blick auf deutsche Gepflogenheiten ist auch aufschlussreicher als sein Blick auf US-amerikanische Gepflogenheiten.
"Unterhaltsamer" seien Gibbs' Konferenzen, schreibt er, was wir gerne glauben. Aber der Gedanke, dass gute Unterhaltung auch in der harten Politik selbstverständlich sein sollte, den wir da zwischen den Zeilen zu entdecken glauben, ist in Deutschland etwas schwerer als Selbstverständlichkeit formulierbar. Es kann schließlich leicht ärgerlich werden, wenn harte Fragen anstehen, es aber keinen Konsens darüber gibt, ob es gerade um die Sache oder um Promotion geht.
Thilo Sarrazins Auftritt in Benjamin von Stuckrad-Barres Talk-Pilot für ZDF Neo ist ein Beispiel für das drohende Übergleiten eines politischen Provokateurs in den Pop. Der Ausschnitt aus der Sendung, die schon vor dem Erscheinen von Sarrazins Buch aufgezeichnet wurde, kursierte am Freitag noch als Schnipsel und landete als solcher auch als Abschrift in der Süddeutschen Zeitung und im Altpapier. Nun ist Sarrazins Showauftritt als 26-Minüter bei Youtube zu sehen. Stefan Niggemeier nimmt sich seiner in der, ebenfalls, Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (S. 36, frei online in seinem Blog) an. Er schreibt, unter anderem, folgenden Gedanken zur Causa S. auf: nämlich, dass alle, "die behaupten, die Meinungsfreiheit sei bedroht", wenn man nicht mehr sagen dürfe, was man ja wohl noch sagen dürfe, "in Wahrheit gegen das Recht kämpfen, Sarrazin zu widersprechen".
Der Spiegel hat in dieser Woche einen Integrationstitel gewählt und macht damit mit der Debatte weiter, die anzustoßen er vor drei Wochen, als er Sarrazins Buch vorabdruckte, vorgehabt haben will. Das ist immerhin konsequent. Darüber hinaus bemerkenswert bleibt, wie sich Spiegel und Focus thematisch annähern. Der Focus-Titel handelt diesmal von Zwangsverheiratung (es schreiben, spannend, spannend, Alice Schwarzer und Norbert Bolz).
[listbox:title=Artikel des Tages[Stefan Niggemeier über Sarrazin##Carta über die Parteien##Montgomery tritt ab (Guardian)##Jo Groebel macht das einfach Spaß (BLZ)##Funkkorrespondenz über Abrüstungspläne]]
Das heimliche Medienhauptthema dieser Tage, das lediglich weniger auf den Medienseiten stattfindet, ist die Frage, ob sich Medien (und Parteien) vom sogenannten "kleinen Mann" entfremdet haben.
"Tosend war allein der Applaus im vollen Saal, als der Autor das Podium betrat", schreibt etwa der Tagesspiegel über eine Sarrazin-Lesung. "Etwa die Hälfte des Publikums erhob sich." Und später heißt es: "Vollends hingerissen war man im Saal von der Frage des Moderators, ob mit den Medien im Land etwas nicht stimmt. Da brach beinahe Jubel aus." In der Tat hat die Debatte etwas Verstörendes. Auf welchen Online-Seiten auch immer man sucht, auf jenen von linken, konservativen, alternativen oder Feuilletonseiten: Überall melden sich hartnäckige Verteidiger der These zu Wort, dass man gewisse Dinge, zum Beispiel ziemlich eklige, ja wohl noch wird sagen dürfen. Bleibt die Frage, ob das tatsächlich bedeutet, dass es eine Mehrheit für Sarrazins Thesen gibt - was ein hervorragender Grund wäre, endlich mal diese mehrjährige Weltreise zu machen. Oder ob sich, was auch denkbar wäre, vielleicht nur die lautesten Schreihälse am meisten exponieren.
Susanne Gaschke hat sich schon am Donnerstag im Zeit-Aufmacher mit der Entfremdung auch der (alten) Medien von den Mediennutzern beschäftigt (hier auch online). Sie kritisierte im Zuge dessen:
"Event-Berichterstattung mit inszenierten Konflikten, steilsten Thesen und größter Empörung verschlingt den Raum für die Beobachtung kleinerer, stillerer Veränderungen in der Gesellschaft. Vor allem aber irritiert das Publikum die oft allzu gleiche Tendenz der Blätter und Sender: Da wird ein Parteivorsitzender gemeinsam zur Strecke gebracht; einer Regierung das Versagen praktisch schon vor Amtsantritt bescheinigt; da wird, wie im Fall Sarrazin, erst auf seine Abberufung hingewirkt, um dann sogleich das Abberufungsverfahren als unzulänglich zu kritisieren. Die Erregungsroutine ist so groß, dass der Verlauf fast jeder Debatte vorhersagbar wird."
Das Problem der Parteien skizziert dagegen Carta, und man kann Jürgen Kaubes FAZ.net-Frühkritik von "Anne Will" lesen, um einen Zusammenhang zwischen Medien- und Parteienkritik herstellen zu können. "Das Thema der Runde sollte die Entfremdung zwischen Bürgern und Bundespolitik sein", schreibt er. Aber irgendwie gefällt ihm auch die Entfremdung der Talkshow vom Prinzip der Erkenntnisförderung nicht wirklich.
Altpapierkorb
+++ David Montgomery tritt als Chef der Mediengruppe Mecom zum Jahresende ab, wie dieser Tage gemeldet wurde, etwa vom Guardian. Zur Mecom gehörten bis zu deren Rückzug aus Deutschland etwa die Berliner Zeitung und die Netzeitung - bei jener war das Altpapier vor beinahe zehn Jahren entstanden und schließlich in der Mecom-Zeit aus Kostengründen eingespart worden. Die Kolumne wanderte daraufhin über dnews.de hierher +++
+++ Günther Jauch hat bekanntlich ein Privatleben. Bekanntlich hält er es aber auch aus der Öffentlichkeit heraus. Dass er nun auf der Titelseite der Bild am Sonntag (siehe die Titelbildergalerie von Meedia) prangte, neben der Zeile "Günther Jauch privat", wirft die Frage auf, ob er wirklich wusste, dass er privat mit der Bams sprach, als er über Wein sprach +++ Was Jauch ebenfalls betrifft: Der Tagesspiegel kündigt eine mögliche baldige Entscheidung in Sachen Talkshowschiene bei der ARD an +++
+++ Die Welt am Sonntag lässt sich vom FC Bayern München keine Fragen verbieten und verzichtet daraufhin auf den Interviewabdruck +++ Alice Schwarzers schreibt für Bild vom Kachelmann-Prozess. Bild am Sonntag hat dagegen die Nummer von Thea Dorn +++
+++ Ulrike Simon interviewt für BLZ / FR Jo Groebel, den Experten für Medienexpertenwesen, und hält ihm seine eigenen Expertenbehauptungen vor +++
+++ Die TAZ berichtet über die Zukunft des dänisch-kurdischen Senders Roj-TV, dem es diesmal seitens Dänemark an den Kragen gehen soll +++ Nachzutragen ist der ausführliche und interessante FAZ-Text über die WAZ in Serbien, der frei online steht +++ Die SZ (S. 15) berichtet über die gegenläufigen Versuche der staatlichen US-Entwicklungsagentur USAID und internationaler Organisationen unter Führung des deutschen Botschafters, enen kosovoserbischen Sender zu fördern: "Privat oder öffentlich-rechtlich - der Streit um das richtige Sendermodell ist auch ein Streit um die bessere Entwicklungshilfe" +++
+++ Apropos privat oder öffentlich-rechtlich: Steffen Grimberg dokumentiert in der Funkkorrespondenz Abrüstungspläne seitens der Öffentlich-Rechtlichen und Verleger und zitiert Medienpolitiker Marc Jan Eumann (SPD): "Die ARD sei weiterhin die 'am wenigsten kontrollierte Institution, wenn es um die Verwendung öffentlicher Gelder geht'. Eumann sind auch die Digitalkanäle von ARD und ZDF nicht trennscharf genug von anderen Angeboten positioniert: 'Die Abgrenzung einiger dieser Angebote zu bestehenden Sendern wie 3sat und Phoenix habe ich bislang nicht verstanden', sagte Eumann in Berlin – und schob kess die Frage nach, ob statt der insgesamt sechs Digitalsender von ARD und ZDF nicht auch drei reichen würden." +++
+++ Fernsehrezensionen: Die FAZ bespricht auf der montags stark platzreduzierten Medienseite "Lautlose Morde" mit Jessica Schwarz (20.15 Uhr, ZDF) und findet letztere "brillant"; die TAZ ärgert sich dagegen, dass sowas "Fernsehfilm der Woche" heißt. Die SZ (S. 15) weiß nicht so recht: Sie findet den Film "überhaupt nicht schlecht", aber die "wiederkehrende Optik in matten Farben, vor allem aber die Raster-Ausstattung nach den Klischees der Milieus nervt". Und die Berliner Zeitung findet, dank Jessica Schwarz könne man über "einige Klischees hinwegsehen" +++ Der Tagesspiegel bespricht Dokumentationen über Schule und Klassenzimmerkämpfe. Die SZ (S. 15) beleuchtet den dort zentralen Film "Menschenskinder" (SWR, 23.30 Uhr) unter dem Gesichtspunkt des zehnjährigen "Jungen Dokumentarfilm"-Jubiläums im SWR +++ Die ARD-Dokumentationsreihe "Damals nach der DDR" bespricht die BLZ +++
Frisches Altpapier gibt es wieder am Dienstag gegen 9 Uhr.