Das letzte Interview gab Christoph Schlingensief der Spex. Weitere Themen: Die FR soll sparen, und irgendwas mit Rolf Töpperwien.
Es gibt diese Geschichten, die nicht nur von dem handeln, von dem sie augenscheinlich handeln. Der Text der Frankfurter Rundschau über die Bremer Nachrichten (BN), zum Beispiel, handelt nicht nur von den Bremer Nachrichten. Er handelt auch von der Frankfurter Rundschau (FR).
Die Bremer Nachrichten ist eine der ältesten Zeitungen Deutschlands. Unter ihrem Titelkopf erscheint aber im Grunde nichts Eigenes mehr. Die Bremer Nachrichten sind der Weser-Kurier mit anderem Titel; auch bremer-nachrichten.de wird direkt zu weser-kurier.de weitergeleitet.
"Mogelpackungen gibt es nicht nur bei Cornflakes, sondern manchmal auch bei der sie begleitenden Frühstückslektüre: Die angeblich drittälteste noch bestehende Zeitung Deutschlands, die Bremer Nachrichten (BN), existiert nur noch zum Schein",
schreibt die FR.
"In den vergangenen Jahren wurden die BN immer stärker dem im selben Verlag erscheinenden Weser-Kurier (WK) angeglichen. Was viele treue Abonnenten wahrscheinlich noch gar nicht bemerkt haben: Inzwischen sind beide Blätter identisch – abgesehen von den Farben auf der Titelseite."
Ersetzt man im FR-Artikel nun "BN" durch "FR", sind Befürchtungen, die es in der Frankfurter Redaktion gibt, gut illustriert. Die Frankfurter Rundschau, die zum Verlag M. DuMont Schauberg gehört, soll "nach Vorstellungen der Geschäftsführung" 30 bis 50 Stellen streichen. Es ist, falls es so kommt, nicht die erste Sparrunde, die die FR trifft. Die Fragen sind, erstens, welche Sparrunde die bizarre Kostensenkerei endlich mal beendet, und zweitens, was das für die FR bedeutet?
Der Spiegel schreibt: "Manche Redakteure sehen die Befürchtungen bestätigt, dass das Blatt weiter an Eigenständigkeit verliert." Die Medienseite der FR wird bereits von der ebenfalls mehrheitlich DuMont gehörenden Berliner Zeitung mit Inhalt gefüllt (umgekehrt kommt die Wissenschaft der BLZ von der FR).
Es ist eher keine Frage, wie man das bezeichnen muss: Copy and Paste? Remix? Raubkopie? Contentklau? Nee, es heißt Verringerung von Vielfalt - was aber nicht in die Köpfe der weltgrößten Gemeinwohltäter zu gehen scheint.
Das Fass mit den anderen Begriffen rund um die Neuerfindung des Rads macht die Musikzeitschrift Spex auf: Inspiration, Genie, Klauen - wo ist der Punkt? Die Spex hat am Freitag eine gute Ausgabe vorgelegt, die nicht nur wegen der Namen gut ist, die darin prominent auftauchen. Sondern vor allem liegt es daran, dass sie es geschafft hat, laufende Debatten auf einem Niveau weiterzudrehen, das weder insiderisch noch banal ist. Es gibt darin etwa große Interviews mit, u.a., Helene Hegemann und Christoph Schlingensief.
Abgesehen von vereinzelten biographischen Faktenhubereien, die dem Interview mit Schriftstellerin Hegemann ("Axolotl Roadkill") so etwas Ähnliches wie einen Nachrichtenwert verleihen ("Ich bin doch nicht im Theater aufgewachsen" und "Ich grüße Rafael Horzon, in dessen Partnertrennungsagentur ich seit Neuestem ein Praktikum mache") handeln die Interviews vom Schreiben. Hegemann ist diejenige, die durch Aneignungspraktiken bekannt wurde - die Debatte darüber, ob sie nun für ihren Roman Passagen klaute oder ob es eher Inspiration oder sonstwie heiße, füllte ja dereinst tagelang die Feuilletons.
Erhellendes zur Skandalisierung des sogenannten Abschreibens trägt vor allem der am Samstag 49-jährig gestorbene Regisseur Christoph Schlingensief bei. Das Interview steht auch auf Schlingensiefs Blog. Er sagt an einer Stelle über ein Remake des Films "Opfergang":
"Ich fühlte mich gezwungen, mich beim Klauen nicht erwischen zu lassen. Ich hatte Angst, mit unserem Vorgehen Urheberrechte zu verletzen. Also habe ich Originaldialoge geklaut, aber wir montierten sie bis zur Unkenntlichkeit neu – was im Umkehrschluss bedeutete, dass von der ursprünglichen Filmdramaturgie von 'Opfergang' nichts mehr übrigblieb. Heute wundere ich mich über mich selbst, dass ich damals so gehemmt war. Heute, in meiner Arbeit am Theater, verwurste ich hemmungslos Originalquellen und füge sie zu Neuem zusammen. Das ist im Theater einfach Praxis. Von daher sind für mich die Diskussionen um Helene Hegemanns Buch 'Axolotl Roadkill' auch so absurd. Im Theater wird permanent auf Texte und Zitate zurückgegriffen, aus denen dann Handlungen oder Pseudo-Handlungen konstruiert werden. Das ist gut und legal, und ich bin schwer erstaunt, dass in anderen Kunstformen, allen voran der Literatur und auch der Oper, ein anachronistischer Purismus gelebt wird, der letztlich den alten Geniebegriff und die Unantastbarkeit der Originale beschwört."
Dass den ganzen Sonntag hindurch Menschen in Cafés alle immer nur lange Artikel über Schlingensief zu lesen schienen, ist nur angemessen.
Ganz anderes Thema: Auch den Fußballreporter Rolf Töpperwien treiben die Begriffe um. Zum Beispiel diese: Ist er Sportjournalist oder Fußballreporter? Fußballreporter, sagt Töpperwien - "ein Riesenunterschied".
Holger Gertz, Redakteur der Seite 3 der Süddeutschen, hat ihn getroffen und für die Samstagsausgabe ein Porträt geschrieben. Töpperwien wird bald 60 und geht dann in den Ruhestand. "Töpperwien, der seinen Gesprächspartnern im Fernsehen grundsätzlich wohlwollend gegenübertritt und diese Haltung durch ständiges Kopfnicken während seiner Interviews illustriert, war vor Jahren von dieser Zeitung" (womit nicht die FAZ, sondern die SZ selbst gemeint ist) "als 'Putzerfischchen' bezeichnet worden. Das hat er nicht vergessen. Und er hat sich deshalb eine Strategie zurechtgelegt, oder er hat die Strategie übernommen von Heck und Bohlen und Heino und all den anderen, die sich von den Zeitungen verkannt fühlen. Als Reaktion auf diese Ablehnung behaupten sie, die Zeitungen seien ihnen egal."
[listbox:title=Artikel des Tages[Die FR über die BN und irgendwie auch die FR##Christoph Schlingensief im Spex-Interview##Strategische Leserverarschung (taz)##Putzerfischchen (SZ von 2004)]]
Es gibt weitere zitierenswerte Passagen in Gertz' Reportage, etwa diese:
"Er kannte die Heimatvereine aller Bundesliga-Schiedsrichter. 'Referee Markus Dingelmann von der DJK Blau Weiß Sülze pfiff die Partie pünktlich um 18 Uhr an', das wäre ein klassischer Töpperwien-Satz. Aber sein Wissen war nicht effektiv. Als die Schiedsrichter-Affäre aufzuhellen gewesen wäre, hörte man nichts von Töpperwien."
Was Gertz aber vor allem umtreibt, sind die Konfliktlinien "des gesamten öffentlich-rechtlichen Systems: (...) Wollen wir das Gebührengeld in eigene, gute Geschichten stecken? Oder wollen wir unterhalten und von dem Gebührengeld die Ränder der Löcher in der Torwand mit Blattgold bekleben lassen? Dass Rolf Töpperwien seinen Stammplatz im Programm all die Jahre behaupten konnte, ist eine Antwort auf die Frage, wofür sich sein Sender entschieden hat. Gegen Journalismus, für Verkaufe."
Wir würden den Text, ehrlich gesagt, gerne ganz abschreiben, aber dass er bei sueddeutsche.de nicht online steht, wird wohl den Grund haben, dass das unerwünscht ist.
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