Wo ist Sven, fragt sich JBK besorgt. Wo das Paradies, Norbert Schneider nicht minder. Nur "Tagesschau"-Sprecherin Judith Rakers hat Grund, sich zu freuen und tut das auch.
Nachricht des Tages: Ulrich Wickert, den man in manchen Kreisen noch als "Mister Tagesthemen" kennt, wird keine Talkshow in der ARD übernehmen.
Sueddeutsche.de hatte den beliebten Fernsehmann gefragt:
"Die ARD hat gerade Günther Jauch für eine Talkshow eingekauft - würde Sie so eine Sendung nicht auch reizen?"
Wickerts Antwort:
"Mich nicht!"
In diesem Moment, es war eine Laune, haben wir aufgehört zu lesen, obwohl erst danach die Äußerung kam, aus der der beliebte Medien-News-Aggregator Meedia.de seine Meldung aggregierte:
"Wickert kritisiert ARD-Nachwuchsarbeit."
Soll er machen. Anders als Wickert reizt es Judith Rakers, die Nachrichten in der Tagesschau präsentiert, durchaus, eine Talkshow zu moderieren – wenn auch nicht in der ARD, sondern bei Radio Bremen. Sie wird die Nachfolgerin Charlotte Roche an der Seite von Zeit-Chefredakteur und Tagesspiegel-Herausgeber Giovanni di Lorenzo bei "3 nach 9" – eine Sendung, bei der wiederum Sueddeutsche.de Wickert durchaus schon mal als reizvollen Aushilfsmoderator erlebt hatte, als eigentlich Sarah Wiener Aushilfsmoderatorin sein sollte. Nach der Trennung von Roche hatte di Lorenzo sechs Mal mit wechselnden so genannten Freundinnen moderiert, darunter Rakers.
"Doch führte sie die Gespräche mit Gästen wie Ex-Winnetou-Darsteller Pierre Brice und Rapper Sido so charmant und schlagfertig, dass die 'Tagesschau'-Sprecherin nun länger bleiben darf."
Schreibt Sonja Pohlmann im Tagesspiegel. Einen Eindruck von Rakers' Schlagfertigkeit verschafft uns Hans Hoff in der SZ (Seite 15). In ihrer Aushilfssendung war Rapper Sido zu Gast:
"Und der sabbelte gleich zum Start etwas vom Arschwasser, das sich aufgrund der Hitze im Studio bei ihm angesammelt habe. Außerdem spüre er da vorne bei sich auch noch ein Feuchtgebiet, klagte der Berliner, woraufhin Rakers ganz ohne Süffisanz die deutsche Sprache um einen Begriff erweiterte. Ob 'Sackwasser' es in den Duden schafft, ist offen, dass Rakers es vom 3. September an bei 3 nach 9 schaffen könnte, dagegen sehr wahrscheinlich."
Klingt tatsächlich ganz überzeugend, weshalb uns Eckhard Stengels Erklärung im KSTA, Rakers bekomme nach ihrer Aushilfssendung den Posten, "obwohl sie eher schlechte Kritiken bekommen hat", etwas spanisch vorkommt.
Für Rakers selbst ist das Engagement jedenfalls ein "Ritterschlag". Ein weiteres, unsere Begeisterung für lazy Judith noch steigernde Zitat, überliefert der Tagesspiegel:
„Eine Talkshow läuft für mich dann perfekt, wenn die Gäste viel untereinander agieren. Da muss ich dann auch nicht ständig mit Fragen dazwischengrätschen."
Ja, wenn die Welt doch nur so vornehm und bescheiden wie Judith Rakers wäre, dann müsste sich Peer Schader beim RTL2-Gucken nicht die Haare raufen für die Berliner:
"Im Vorabendprogramm zeigt der Sender seit dieser Woche täglich, wie die Deutschen seiner Auffassung nach am liebsten ihre Ferien verbringen: mit Streiten, Saufen und Fremdgehen. Die Tatorte heißen Mallorca, Ibiza und Rimini, die Sendung nennt sich 'X-Diaries – love, sun & fun' – obwohl 'Po, Busen und Komasaufen' deutlich besser gepasst hätte."
Die "Dokunovela" kommt als Tatsachenbericht daher, ist aber geschrieben und mit Laiendarstellern besetzt – und liest sich zumindest recht unterhaltsam:
"Eigentlich geht es aber nur darum, die Protagonistinnen beim Ablegen ihres Leopardenbikinis zu filmen, grölende Betrunkene in Stripclubs zu begleiten und dabei zu sein, wenn der ganz große Zoff mit den Mitreisenden ausbricht. 'Ich bin Single und verdammt scharf', sagt einer der Urlauber. Ein anderer erklärt, er habe sich vorgenommen, 'auf jeden Fall' die Reisepartnerin 'wegzugrätschen'."
Will man das wissen? Vielleicht. In jedem Fall ist es doch gut zu wissen, dass für das, was da so für Urlaub gehalten wird, keine unschuldigen Familien belästigt werden, die zum ersten Mal in ihrem Leben einer Kamera begegnen.
Da leidet man auch nicht unter der Form von Desillusionierung, die Peter Praschl in der Welt befällt. Seine Facebook-Kontakte zu Lady Gaga, Katy Perry oder Demi Moore versorgen ihn mit Infos, auf die er auch verzichten könnte. Deshalb erinnert sich Praschl an die Frauen, die sich vor dem Älterwerden noch zurückgezogen haben statt es mit Botox zu bekämpfen:
"Marlene Dietrich verbrachte das letzte Jahrzehnt ihres Lebens zurückgezogen in ihrer Wohnung in der Pariser Avenue Montaigne, und als Maximilian Schell einen Film mit ihr drehen wollte, sagte sie ihm nur unter der Bedingung zu, dass er seine Fragen vom Nebenzimmer aus stellte und sie mit Kamerablicken verschonte."
Um Botox geht es auch bei Norbert Schneider, dem Direktor der Landesmedienstalt NRW, der in der FAZ (Seite 33) drei lange Spalten mit kulturkritischen Bemerkungen füllen darf, die ihren stilistischen Anspruch nicht verhehlen müssen und mit klugen Zitaten und Anspielungen aufgepimpt sind (Deleuze, Coy, Kantorowicz):
"Man kann verschiedene Geschichten von der Digitalisierung erzählen. Besonders beliebt ist die Version vom großen Erfolg. Die Belege reichen vom Handy bis HD. Von der Navigation bis zu MRT. Und es ist ja auch keine Frage: Auf viele Kummerfalten der analogen Kommunikation und der alltäglichen Rechnerei wirkt die Digitalisierung wie Botox."
[listbox:title=Die Artikel des Tages[Süddeutsche liest Focus genau (SZ)##Auf du und du mit dem Star (Welt)##Kein echtes Leben im falschen Fernsehen (Berliner)##Judith Rakers wird Talkshowhost (TSP)##]]
Ja, kann man. Leider nur entscheidet sich Schneider für die einfachste Version der "Geschichte der Digitalisierung": die Schmähung des Neuen. Das Datensammeln durch Maschinen führt zum Ende des Menschen, wie wir ihn kannten. Nicht, dass uns ein kluger Text über Grenzen und Gefahren des Datensammelns nicht interessiert hätte. Aber was nützt einem die Beschwörung einer Idylle, die es so nie gegeben hat?
"Wichtige analoge Menschenleser sind Ärzte und Psychologen, Lehrer und Pfarrer. Sie finden heraus, woran man krankt, was man fühlt, wovon man träumt, was man weiß, wann man sündigt. Aus ihren Lesefrüchten, die meist unter einem Schweigegebot stehen, definieren sie den analogen Menschen – um ihn dann, mit Blick auf seine Schwächen, zu disziplinieren."
Vor dem Hintergrund der zahlreichen Missbrauchgeschichten in der katholischen Kirche liest sich das: wie ein Parodie.
Zum Glück haben wir Johannes B. Kerner. Der wird sich des Themas Überwachung, Stichwort: Datensammeln, Stichwort: elektronische Spur annehmen. Indem er seinen Reporter Sven drei Wochen durch Deutschland schickt, der überall Spuren hinterlassen und dauernd zugeschaltet sein, nebenher von einer aufmerksamen Bevölkerung aber auch noch entdeckt werden soll – wenn wir das jetzt richtig verstanden haben bei Meedia.de:
"Wird Sven mit den Worten 'Du bist Sven' und einem Beweisfoto entlarvt, gewinnt der Finder 10.000 Euro."
Altpapierkorb
+++ Im Fernsehen läuft heute abend in der ARD (22.45 Uhr) Niko von Glasows Dokumentarfilmprojekt "NoBody's Perfect" über die Arbeit von Contergan-Geschädigten an einem Kalender, der sie zeigt. Empfehlen alle. Allein im Tagesspiegel wird der Regisseur im Text konsequent Viktor von Glasow genannt, während – womit haben wir es hier zu tun, Stefan Niggemeier? – in der Unterzeile richtigerweise Niko steht. +++
+++ Nach 30 Jahren Giftschrank theoretisch erstmals sendbar: WDR hebt Sperrvermerk für Wallraff-Film über "Bild" auf, weil "Bild" keinen Rabatz machen will, weil "Bild" überhaupt nie Rabatz gemacht hätte, weil das ja ein "Zeitdokument" ist und heute, wie Kurt Sagatzens Text im Tagesspiegel eindrucksvoll betont, alles anders: "'Bild' sei damals anders gemacht worden, räumt Edda Fels, Sprecherin des Verlages, ein. 'Wir hatten eine andere Zeit mit einem anderen Deutschland, einer anderen Politik und einer anderen Befindlichkeit in der Bevölkerung', sagte Fels dem Tagesspiegel. Heute gebe es ein anderes Verständnis davon, wie guter Boulevard gemacht werde." Und weil das noch nicht reicht: "Man sei auch viel entspannter damit, eigene Fehler einzugestehen." +++ So weit ist Bertelsmann noch nicht, und deshalb kann die TAZ vermelden, dass Gütersloh "ungewöhnlich scharfe Kritik" am Thomas-Schuler-Buch über Wirken und Wesen der Bertelsmann-Stiftung geübt habe – der Text klingt zwar moderat, aber der Wahrnehmung des Buches wird's helfen. +++
+++ Der Focus unterstreicht eindrucksvoll sein Comeback als relevantestes Nachrichtenmagazin mit der Super-Enthüllungsstory "Hummer und Sichel: Die Linke diskutiert über das Luxusleben ihrer Führungsspitze", wie die Sueddeutsche.de nachrecherchiert hat. +++ Steffen Seibert hat Rückkehrrecht, hatten auch andere, hat aber keiner von Gebrauch gemacht. Das ist der Stand am Tag 1 vor dem seinem Amtsantritt als Regierungssprecher, wie die SZ informiert. Wir sind alle so aufgeregt und fiebern mit. +++
Neues Altpapier gibt es morgen wieder gegen 9 Uhr.