Ilse Aigner hält dicht wie ein BP-Ölleckverschluss, und Pelzig unterhält sich evtl. bald im ZDF. Da bleibt noch Platz für ein paar Gedanken zur Zukunft eines postobjektiven Journalismus
Bevor wir zu Helmut Markwort als Tod im "Jedermann" (Foto) kommen: Es ist noch nicht geklärt, welche der beiden folgenden wirklich der Knaller des Wochenendes und des Montags ist. Hier wären sie jedenfalls:
a) Zeitung fragt, Politikerin antwortet, keinen juckt's, Spiegel Online macht eigenen Text draus.
Hat sich jemals jemand gefragt, ob die Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner einen Mann hat? Bild am Sonntag hat. Gibt es eigentlich einen Mann in Aigners Leben? Sie weiß natürlich, Privatsphäre muss geschützt werden, das predigt sie doch ständig, also hält sie dicht wie ein BP-Leckverschluss: "Es gibt einen Mann in meinem Leben. Aber das ist mein Privatleben, und das trage ich nicht in die Öffentlichkeit." Ups. Verplappert.
Zum Glück für Aigner hat Bams nicht nach ihrem Kontostand gefragt. "Ich habe erst letztes Jahr wieder was auf die Caimans geschafft, aber das ist mein Privatleben und verrate ich keinem." Wie gesagt: Spiegel Online fand's interessant genug für einen eigenen Text, und wir haben's ja hiermit auch gewürdigt.
b) Schauspieler Claude-Oliver Rudolph beschwert sich im Spiegel über Frank Plasberg u.a. Er, Rudolph, drehe gerade den "St.-Pauli-Film 'Gegengerade' mit Mario Adorf, Dominique Horwitz und Moritz Bleibtreu", nur fehlt ihm jetzt doch irgendwie Geld, weil, das ist wohl die eigentliche Geschichte, die Filmförderung lieber in Unsinn anderes investiere (freie Zusammenfassung). Und jetzt will ihm auch Frank Plasberg nichts geben, obwohl er ihn angemailt hat! "Frank Plasberg tut auch andauernd so, als ob wir befreundet sind. Jetzt macht er auf Produzent mit diesem Clown Eckart von Hirschhausen. Wenn er so einen Kram macht, kann er doch auch Mario Adorf und mich produzieren, habe ich ihm gemailt. Nicht mal ein Nein kam von dem."
Äh. Ging die Mail so? "Lieber Frankie, Alter, wir machen hier gerade irgendso einen Film, geiles Ding, kannste vielleicht 200.000 Euro dazu schießen? Dein C-O."
Die tatsächlich größte Meldung mit einem Nachrichtenwert ist, dass
Frank-Markus Barwasser a.k.a. Erwin Pelzig vom Ersten ("Pelzig unterhält sich") zum ZDF wechsele, wie der Spiegel meldet, während DPA, gedruckt etwa im Tagesspiegel, berichtigt, die Gespräche liefen noch.
So viel zu den Neuigkeiten.
Bleibt also Raum, ein wenig über die Welt nachzudenken; die Toptrends sind derzeit, medial betrachtet, Offlinegehen (Spiegel-Titel) und Bei-Facebook-Sein (Focus-Titel). "Er weiß alles über Sie! Wollen Sie das?", fragt der Focus und spricht von Mark Zuckerberg. Inklusive: Interview mit Hans-Christian Ströbele, der sagt: "Wenn ich mir heute die jungen Leute anschaue, die ihre privaten Daten im Netz preisgeben, dann muss ich gestehen: Wir haben versagt."
Schwer zu sagen, ob das nun noch das Magazin der "Fakten, Fakten, Fakten" Helmut Markworts oder schon das Magazin der "Relevanz, Relevanz, Relevanz" seines Nachfolgers ist; Fakt ist, dass Sueddeutsche.de am Freitagnachmittag schrieb:
"'Fakten, Fakten, Fakten', hatte Helmut Markwort als Parole ausgegeben, doch sein Nachfolger Weimer hatte zum Amtsantritt erklärt: Es müsse eher 'Relevanz! Relevanz! Relevanz!' heißen. 'Da ist Weimer missverstanden worden', kommentiert Markwort das Geschehen. 'Focus muss natürlich ein Faktenmagazin bleiben.'"
Wer solche Vorgänger hat, muss für das Kopfschütteln immerhin selbst nicht mehr sorgen. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist der Text von Focus.de ("Es fehlte etwas an modernem Dreh. Leider gab es auch Längen") über Herausgeber und Publikumsmagnet Markworts Bühnenpremiere als Tod im "Jedermann". Darin kommen Markworts Lebensgefährtin Patricia Riekel und Focus-Kolumnist Harald Schmidt zu Wort. Noch Fakten? Schon Relevanz? Immerhin: Es ist transparent, dass der Text quasi in eigener Sache entsteht.
Fakten gegen Relevanz. Objektivität gegen Postobjektivität/Transparenz. Das ist ungefähr auch die Spannung, die Michalis Pantelouris aufmacht, über dessen Vorhaben namens "Live-Reportage" Stefan Niggemeier im Blog und in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung berichtet.
"(I)n Wahrheit springt der Journalismus längst nicht mehr auf Fragen an, sondern nur noch auf Antworten", schreibt Pantelouris in seinem Blog. Bei neon.de will er über den Fall einer jungen Berlinerin berichten, die in Griechenland unter ungeklärten Umständen gestorben ist; ihre Mutter hat ihn seinem Blog zufolge auf den Fall aufmerksam gemacht.
"(A)nders als sonst werde ich nicht nur berichten, sondern möglichst alles, was ich finde, hier zugänglich machen: die Gespräche, die Akten, die Bilder und alles, was ich möglicherweise finde - oder auch nicht. Denn diese Reportage ist tatsächlich live und echt. Es kann sein, dass ich von einer verschlossenen Tür zur nächsten laufe und nichts Neues erfahre. Das ist nicht einmal unwahrscheinlich. Aber es ist auf eine deprimierende Art wahrscheinlich ehrlich".
Es geht um Nachprüfbarkeit, darum, Sichtweisen auch mal zu korrigieren. Ein Beispiel dafür, dass die Idee im Kern gut ist, sind auch Niggemeiers zwei Texte zum Thema: Im Blog hat er seinen FAS-Text, der vor allem Pantelouris Motivation spiegelt und die Chancen eines solchen Vorhabens skizziert, deutlich mit Skepsis angereichert, nachdem sich neon.de-User zu Wort gemeldet hatten, die die Idee für waghalsig halten; es fällt etwa der Vorwurf, das sehe nach einer "RTL-Reportage" aus. Oder dieser: "Ist es nicht sogar fahrlässig, jede Information an die Öffentlichkeit weiterzugeben ohne das große Ganze mit all seinen Hintergründen zu kennen?"
Niggemeier schreibt im Blog: "Ich glaube auch, dass fehlende Transparenz, oder viel grundlegender noch: fehlende Wahrhaftigkeit ein Hauptproblem des Journalismus heute ist. Aber ich habe, wie viele Kommentatoren auf neon.de, meine Zweifel, dass ein solches persönliches Schicksal, ein solcher Kriminalfall das richtige Thema für ein solches Experiment ist."
[listbox:title=Artikel des Tages[Michael Pantelouris Live-Reportage-Vorhaben##Die Kommentare der Neon.de-User dazu##Wikileaks-Chef im SZ-Interview (bei jetzt.de)##Jochen Voit, Mystery Detective, aber Historiker (TSP)]]
Immerhin: Es ist eine Idee. Wenn Redaktionen Texte nicht mehr zu Bürgerkriegs-Geschichten hochjazzen, wenn lediglich bei einem Arbeiterstreik ein Autoreifen brennt; wenn sie nicht Islamkritik wahllos in Texte aus Pakistan hineinredigieren, weil sie gerade en vogue ist; das wären andere Ideen. Das Ende der alltäglichen Thesenhuberei.
Altpapierkorb
+++ Mehr zu diesem Ding namens Internet: Ein Reset-Knopf im Internet, ach ja, weil, es sei so gefährlich wie eine Atombombe und die Summe der Fälle von Cyberkriminalität usw.. Spiegel Online hat das wesentliche Kopfschütteln darüber zusammengestellt +++ Den Delete-Button betätigt man bei den Öffentlich-Rechtlichen derzeit. Das wesentliche Kopfschütteln darüber hat die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in ihren "Bericht aus einem absurden System" geschrieben. Wiederum Stefan Niggemeier schreibt darin über die medienpolitisch erzwungenen Löschungen von zahllosen Inhalte aus den Onlinearchiven öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten. "ob gerade diese Art der Beschränkung öffentlich-rechtlichen Aktivitäten im Netz sinnvoll ist", sei die Frage, schreibt er. Die ist berechtigt. Vielleicht hat sein FAZ-Kollege Michael Hanfeld ja eine Antwort +++ Oder SWR-Mann Thomas Leif, der "Chefposaunist des Damenorchesters Salome" (pdf). Irgendwie kann man doch das Gefühl bekommen, wenn man das gefakte alternative Programm der "Netzwerk Recherche"-Tagung vom vergangenen Wochenende liest, dass da jemand sich einen Spaß gemacht haben könnte. Meedia schreibt von der Schippe +++ Und Wikileaks-Chef Julian Assange im SZ-Poolinterview (S. 15) +++
+++ Fernsehen? Gibt es auch. Gaby Papenburg, bekannt von Sat.1, im Gespräch mit Ulrike Simon für FR / BLZ und KSTA. Anlass ist, das ist das Ungewöhnliche, nicht ein Karrieresprung, auch nicht das Karriereende, sondern das Abkühlen ihrer Beziehung zum Sender +++ Der N24-Verkauf an das Duo Aust/Rossmann ist kartellrechtlich abgesegnet, schreiben SZ und FR +++ Und Altpapier-Autor Christian Bartels im Tagesspiegel über die Ernst-Busch-Biographie Jochen Voits, v.a. aber über Jochen Voit selbst, der dem ProSieben-"Mystery Detective" sein Gesicht geliehen hat, obwohl er Historiker ist ++
+++ Und Presse: Die TAZ über den Umgang der WAZ mit einem DPA-Interview mit einem WAZ-Geschäftsführer +++
Neues Altpapier: am Dienstag gegen 9 Uhr.