Das "Deutsche Digital Institut" spuckt in die Hände, der Anti-Digitalismus allerdings auch. Die heißeste Idee fürs Internet kommt mal wieder aus den USA: Userkommentare kostenpflichtig machen.
Es tut sich was, es geht voran, ein Ruck könnte in Sicht sein.
"Das Deutsche Digital Institut ordnet die Medienwelt" (Tagesspiegel), ja, es fordert "eine ganz neue Medienordnung" und eine "Superbehörde", die "über Internet, Rundfunk und Telefondienste wachen" soll (sueddeutsche.de). Zumindest hat es erstmal ein Positionspapier in zwei- sowie fünfseitiger (PDF) Fassung veröffentlicht.
Das Deutsche Was? wird der eine oder andere fragen. Nun, das "Deutsche Digital Institut", das auf seiner Startseite links Aktuelles aus dem März und April vermeldet (Murdoch möchte N24 kaufen!), während es in der rechten Randspalte Termine aus den Jahren 2008 und 2009 Revue passieren lässt.
Wer dieses DDI mit Jo Groebel identifiziert, einem der "fleißigsten Zitatengeber der Republik" (sueddeutsche.de), liegt nicht falsch. Der ist der Direktor, der jedoch (Schaubild) über einem 14-köpfigen Beirat thront, in dem für jeden Geschmack ein paar renommierte Köpfe (von Björn Böhning über Silvana Koch-Mehrin bis Philipp Mißfelder) dabei sein dürften.
Bei der Präsentation performte allerdings offenbar nicht Groebel, sondern Bernd Schiphorst, bekannt durch Posten bei Institutionen wie Bertelsmann und Hertha BSC und derzeit Vorstandsmitglied bei der WMP Eurocom AG. Das ist eines dieser Beratungsunternehmen, die der Öffentlichkeit eigentlich nur dann auffallen, wenn sie weniger gute Arbeit leisten. Siehe z.B. FAZ 2003. Insofern scheint die WMP seit Jahren ganz gut zu arbeiten.
Jetzt aber zu den Positionen des Positionspapiers. Eine "neue geschlossene Medienordnung" wird in der Überschrift gefordert. Im Gegensatz zu einer offenen? Nein, da handelt es sich um die Forderung,
"die hoheitlichen Aufgaben der Landesmedienanstalten und der Bundesnetzagentur länderübergreifend zu vereinheitlichen. Dass Rundfunk Ländersache sei, die Zuständigkeit für Telekommunikation dagegen beim Bund liege, ließe sich z. B. durch einen Bund-Länder-Staatsvertrag überwinden. (...) Eine solche einheitliche Institution sollte auch die Aufsicht über die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten führen. An die Stelle der bisherigen Praxis senderinterner Verwaltungs- und Rundfunkräte würde damit ein externes Kontrollgremium treten."
Also durchaus sinnvolle Argumente, um viele bislang oft überforderte Instanzen abzulösen. Sie wurden auch schon öfters vorgertragen und gehen in Deutschland immer in die Richtung, wir bräuchten statt all unserer Landesmedienanstalten etwas wie die coole britische Ofcom (siehe z.B. epd medien 63/ 08). Sie zu wiederholen, ist sicher nicht falsch, schon weil in der Medienpolitik kaum etwas Chancen auf Realisierung hat, das nicht von jedem wiederholt wurde. So etwas als "Superbehörde" zu beschreiben (was kein DDI-Terminus ist, sondern von sueddeutsche.de so genannt wird), klingt zwar nicht für die Bürger sexy. Aber für Politiker, und die allein könnten es ja in die Tat umsetzen.
Wer die im DDI-Papier wiedergeholt genannten "Autoren" sind, die all das fordern, geht aus dem DDI-Papier nicht hervor. Es handele sich um Schiphorst, den Berliner Landesmedienwächter Hans Hege und den Medienanwalt Christoph Wagner, informiert sueddeutsche.de.
Der Tagesspiegel wiederum bringt ein kämpferisches Schiphorst-Originalzitat: "Wir verkämpfen uns in den Schlachten von gestern und vorgestern, statt an der europäischen Antwort auf den Vorsprung der Amerikaner im Internet zu arbeiten“.
[listbox:title=Artikel des Tages[Das DDI fordert##sueddeutsche.de darüber##Tagesspiegel darüber##TAZ über die Sun Chronicle-Idee##Justiz-Skandal in Dresden? (TAZ)##Was wäre, wenn 14-49 nicht mehr gülte (dwdl.de)##Cris Cosmo: "Scheiß auf Facebook" (Musikvideo)]]
In der Tat. Die frischeste Idee zum leidigen Thema Journalismusfinanzierung stammt aus dem "schönen Attleboro, einer 40.000-Einwohner-Stadt im Bundesstaat Massachusetts" (TAZ), wo der Sun Chronicle erscheint. 40.000-Einwohner-Städte mit eigener Papierzeitung, das ist in den USA alles andere als selbstverständlich. Um entweder Einnahmen aus dem Netz zu generieren oder zumindest den offenbar erheblichen Ärger mit anonymen Kommentatoren loszuwerden, ersann Chronicle-Verleger Oreste D'Arconte folgende Idee:
"Wer im Internet-Forum der Zeitung mitdiskutieren und beispielsweise Artikel kommentieren will, muss ab sofort dafür zahlen. Noch fällt der Betrag recht moderat aus: 99 US-Cent werden einmalig fällig, zahlbar per Visa, American Express oder Mastercard."
Wer nun aktuelle Artikel des Sun Chronicle überfliegt, z.B. "Eat hot dogs to aid church", findet keinerlei Kommentare. "Selbst die Ankündigung des Registrierungszwangs durch den Verleger wird mit keinem Nutzerwort bedacht." (TAZ) Als Einnahmequelle taugt die Idee vielleicht doch nicht. Vielleicht muss sie sich erst durchsetzen. Jedenfalls hat das US-Blättchen selbst im deutschen Sprachraum schon eine Diskussion angezettelt, auch wenn es so etwas daheim zumindest gerade nicht will.
"KOMMT NICHT MAL AUF DIE IDEE.... :-)", lautet der erste Kommentar unter dem Tagesspiegel-Bericht dazu. Der österreichische Standard weiß (aus seinen eigenen Kommentarspalten) von Anregungen, dass umgekehrt die "UserInnen ... bezahlt werden (sollten), weil Sie die Seite mit Inhalt beliefern", meedia.de vom ähnlich gelagerten Versuch, bei "World of Warcraft" "einen Klarnamen-Zwang durchzudrücken", der nach Nutzerprotesten allerdings schon wieder aufgegeben wurde.
Kommen solche innovativen Ideen mal aus Deutschland? Nein, Schland groovet schon wieder mit "Reggae-Disco-Skapunk"-Schlagern wie "Sch*** auf Facebook". Diesen "Anti-Digitalismus-Song" des Sängers Cris Cosmo stellte kress.de gestern vor, tatsächlich ein kleiner Ohrwurm:
"Scheiß auf Myspace und auf Facebook, auf Outlook und all den andern Kram. Lass uns ausgehen, lass uns feiern, wir treffen Menschen und wir fassen uns an".
Altpapierkorb
+++ Falls Sie sich jetzt ganz gespannt fragen, was denn aus dem gestern an dieser Stelle avisierten wegweisenden BGH-Urteil zur Causa FAZ gegen Perlentaucher wurde - verschoben wurde es, auf den 30. September. Was dann herauskommen dürfte, fasste die TAZ schon mal in Worte (auch wenn ihr, des frühen Redaktionsschlusses wegen, der Termin noch fehlt): "Der Perlentaucher-Prozess dürfte in eine neue Runde gehen. Der BGH deutete an, dass er die bisher für das Kulturportal positiven Urteile aufheben und eine neue Verhandlung beim Oberlandesgericht Frankfurt anordnen wird. Ganz am Ende dürften die Kläger, Süddeutsche Zeitung und FAZ, den Prozess aber doch überwiegend verlieren." Wobei ganz an diesem Ende vermutlich schon ein die Rechtslage dramatisch weiter verkomplizierendes Leistungsschutzrecht existieren dürfte. +++
+++ "Keine Flötentöne mehr vor dem 'Tatort', kein gurgelndes Biereinschenken" mehr und kein Sky du Mont mehr, dessen Stimme souverän klarstellt, dass ein gewisses Bier "fassfrisch" und nicht etwa "fast frisch" ist: Das Verbot gesponsorter Nicht-Sportereignisse im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (siehe Altpapier: "Tschüß, Krombacher-Tatort") stimmt die werbetreibende Industrie nicht froh. Von Protest gegen die ab 2013 geltende Regelung berichtet Harald Keller (FR/ BLZ). +++
+++Nachtrag am Vormittag: "Was sich da in Dresden ohne größere Anteilnahme einer kritischen Öffentlichkeit abspielt, ist ein Skandal", kommentiert Steffen Grimberg (TAZ) unter Pressefreiheits-Aspekten den derzeit in Dresden laufenden Prozess gegen die Journalisten Arndt Ginzel und Thomas Datt (mehr dazu auch heute in der TAZ). +++
+++ Eine wichtige Personalie in der Sphäre des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wurde gerecht aufgeteilt zwischen den Online-Sphären von FAZ und SZ: Bei Studio Hamburg, der NDR-Tochter, die sehr viel Fernsehen produziert ("Anne Will", "Doctor's Diary", "Tatorte"...) geht Martin Willich 2011 in den Ruhestand. Nachfolger wird der derzeitige SWR-Fernsehfilmchef Carl Bergengruen. +++
+++ Den Artikel über die Sat.1-Abendshow der "letzten Nachmittagstalkerin" Britt Hagedorn hat die BLZ mit dem KStA gemeinsam. +++ Das Gedankenspiel, was aus den TV-Sendern würde, wenn man die werberelevante Zielgruppe nicht mehr auf 14 bis 49 festlegen würde, rechnete dwdl.de einfach mal in die Tat um. +++
+++ Mit Steffen Seiberts Vorgängern, den ehemaligen Regierungssprechern Peter Hausmann und Klaus Bölling sprach ViSdP (PDF) über Unterschiede zwischen Journalismus und für die Regierung sprechen. Etwas betrübt klingen sie, kommen ja aber auch aus einer Zeit, in der Grenzen unüberwindlicher waren. +++
+++ Auf der Medienseite der SZ aus der "Zeitungshauptstadt" München (KStA via meedia.de): Wie sich bei Yuno, dem neuesten G+J-Heft "vergleichsweise erwachsene Menschen in die spätkindliche Gefühlswelt eingrooven", dass der Brite Piers Morgan ("Piers Morgan Life Stories") bei CNN Larry King-Nachfolger werden könnte, sowie ein skurriler Prozess in Duisburg, in dem der Betreiber einer Erotik-Website wegen des Jugendschutzes bei Vollerotik Sky verklagt. +++
+++ Vorbildlich heterogen und global, die FAZ-Medienseite heute. Es geht um die Kosten, die hulu.com künftig erheben will ("rund zehn Dollar im Monat für die umfassende Nutzung seiner Inhalte"), eine vielleicht niedriger als befürchtet ausfallende Haftstrafe für den Wikileaks-Informanten Bradley Manning ("weil das Material nicht so brisant wie angenommen sei", hörte Detlev Borchers auf der "Netzwerk Recherche"-Tagung). +++ Sowie: "China debattiert lebhaft eine deutsche Pressestudie", die hierzulande nicht zu lebhaft diskutierte der Böll-Stiftung (siehe z.B. Tsp.). "Wenn sich die Deutschen schon so tiefsinnig mit den Problemen ihrer Medien auseinandersetzen, weshalb können wir das dann nicht auch?“, fragt Zhan Jiang, Professor für internationale Presse an der Pekinger Fremdsprachenuniversität. +++ Und einiges andere mehr, darunter auch 17 Zeilen für das DDI. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.