Der gute Ton

Der gute Ton

Der US-Rolling Stone hat eine hervorragende Reportage im Blatt, und die Zeitungen fragen sich: Wie kann das sein? Zwischen FAZ.net und einem FAZ-Blogger gibt es derweil einen Konflikt, in dem eine Grundsatzfrage zu erkennen ist: Wer hat Autorität?

"Weg mit dem Feuilleton!", empfiehlt heute sueddeutsche.de, aus Gründen, die mit dem derart anmoderierten Text aus dem SZ-Magazin lustigerweise nicht das Geringste zu tun haben: Das Wort "Feuilleton" kommt darin nicht vor. Hat da jemand einen kleinen Komplex?

Wir empfehlen ja immer: Weg mit dem "Geld"-Teil. Aber wo wir jetzt aus gegebenem Anlass schon mal über das Feuilleton nachdenken, bleiben wir doch einfach beim Thema: Was leistet das Feuilleton eigentlich so? Im Idealfall ist es wohl so, dass dort der ganze Quatsch steht, der in Nachrichtensendungen hinten runter fällt: Kontext. Tiefe. Der angemessene Ton. Im schlechten Fall versteht es kein Mensch, weil sich die Autoren im Herumhubern überbieten. Nehmen wir aus gegebenem Anlass heute den US-Rolling Stone als potenzielles Vorbild im Sinn von: Gesellschaftsentwurf. Pop und Politik. Richtiger Ton.

"Seit seiner Gründung durch den Jazzkritiker Ralph Gleason und den noch heute amtierenden Herausgeber Jann Wenner fühlt sich der Rolling Stone der Gegenkultur verpflichtet - der romantischen Idee, aus Pop und Politik könne dereinst ein alternativer Gesellschaftsentwurf erblühen", schreibt Arno Frank in der taz.

Der Anlass ist die schon jetzt, am Tag ihres eigentlichen Erscheinens (rechts das Cover, darauf links unten klein die Ankündigung), berühmte Reportage "The Runaway General" über General Stanley McChrystal von Michael Hastings im US-Rolling Stone, die nach dem Wirbel, den sie verursacht hat, mittlerweile auch online steht.

Die Frage, die die New York Times sich und schließich auch Hastings schon vor einigen Tagen stellte, fasst die FAZ (S. 41) zusammen: "Warum nur hatte der amerikanische General McChrystal, der bis zum Mittwoch die internationalen Truppen in Afghanistan kommandierte, dem Reporter so tiefe Einsichten in sein Innenleben und das seines Stabs gewährt? Der 'ausgerissene General', den Hastings (...) porträtierte, wurde von einem wütenden Präsidenten Obama gefeuert." Hastings Antwort: "At times I asked myself that question: Why are they giving me all this access?"

Die Erklärungen hierzulande, etwa die von Spiegel Online, sind: "Offenbar hielt McChrystal sein Gegenüber für den Vertreter eines lockeren, seichten Musikblättchens, über den er sich bei der jüngeren Generation einschmeicheln könnte." Arno Frank empfiehlt jedoch, frei zusammengefasst, nicht von der deutschen auf die US-amerikanische Ausgabe zu schließen, und vermutet als McChrystals Beweggründe anderes, nämlich dass er "mit seinen saloppen Bemerkungen bei genau den liberalen und autoritätskritischen Lesern reüssieren wollte, die einen Obama ins Amt gewählt haben, die hierzulande als Alt-68er bezeichnet werden und seit 1967 den Rolling Stone lesen."

Und er beklagt sich auch über die Verfälschung des Tons in deutschen Übersetzungen:

"Der Ton macht die Musik, und diese Musik ist dem Publikum hierzulande offenbar nicht zuzumuten. So stand im Rolling Stone, McChrystal führe einen 'fucking war'. In der ARD-Tagesschau wurde daraus 'einer der wichtigsten Kriege'."

Christoph Ehrhardt in der FAZ (S. 41) hebt ebenfalls die Relevanz des Sounds hervor:

"So, wie man aus Tourbusreportagen erfuhr, wie Rockstars reden, was sie so tun und zu sich nehmen, erfährt man, wie Militärs reden, dass sie gerne Bier trinken, fluchen und sich auch mal den Mittelfinger zeigen. Nur dass ein solcher Einblick einen Militär den Job kosten kann."

Und auch Kai Müller pflichtet bei tagesspiegel.de bei: Es sei gerade der Ton,

"der Stanley McChrystal, Karriereoffizier, Nato-Oberbefehlshaber in Afghanistan, sein Amt gekostet hat. 'Wie bin ich nur so verarscht worden, dass ich zu diesem Dinner gehen muss', sagt er und fügt hinzu, dass er sich lieber in den Hintern treten lasse, als dort hinzugehen. Sein Gastgeber? 'Ein französischer Minister', erklärt ein Mitarbeiter, 'it's fucking gay.'"

In der deutschen Übersetzung der (dort deutlich gekürzten) Reportage im deutschen Rolling Stone wird aus "fucking gay" übrigens "Alles so verdammt etepetete." Die Currywurst ab jetzt dann nur noch mit Messer und Gabel, ja?

Der Freitag trägt die Geschichte auf die Ebene des digitalen Zeitalters und fragt sich, wie es kommen konnte, "dass einige Stunden lang der einzige Ort im Netz, an dem man nichts über das Rolling-Stone-Sück lesen konnte, die Webseite des Rolling Stone war." Und: "Wie konnte der Rolling Stone im digitalen Zeitalter auch nur darüber nachdenken, eine so wichtige, die Agenda bestimmende Geschichte nur gedruckt zu veröffentlichen?"

[listbox:title=Artikel des Tages["The Runaway General", Originaltext##Deutsche Fassung##mspro über sein FAZ-Blog##Constanze Kurz über de Maizières Rede (FAZ)##Der Guardian-Tennisticker##Gelernter über das Netz (Welt)]]

Womit wir beim nächsten Thema wären: Einen "Clash der publizistischen Kulturen" vermutet Robin Meyer-Lucht bei Carta zwischen faz.net und dem FAZ-Blogger Michael Seemann, der dort das Blog Ctrl-Verlust führt. Vielleicht auch führte. Denn das Blog ist weg. Carta:

"Es geht um den Konflikt zwischen einer klassisch hierarchisch ausgerichteten Redaktion einer Qualitätstageszeitung und der Autonomie dezentral organisierter Blog-Publizität. Es geht darum, wie viel Freiheiten man sich als Autor herausnehmen darf, bevor die Redaktion beschließt intervenieren zu müssen. Es geht also um Macht, Hierarchie und Tradition."

Über die Hintergründe berichtet Seemann aus seiner Sicht in seinem eigenen, anderen Blog. Es habe, schreibt er, ein Problem mit Bildrechten gegeben, er, der Fehler einräumt, habe sich über eine Anweisung hinweggesetzt und den Blogtext noch einmal ohne Fotos veröffentlicht, und wenn es stimmt, was er schreibt, werde es nun in der FAZ, die ja mittlerweile weniger ein kulturpessimistisches Organ als, auch dank der Blogs und Autoren wie Constanze Kurz vom Chaos Computer Club, die sich im Feuilleton noch einmal ausführlich zur Innenministerrede äußert, ein Ort der vielstimmigen Debatte über Netzkultur geworden ist, "innerhalb der Redaktion eine Diskussion darüber geben, wie mit dem ganzen Blogprojekt weiter verfahren wird. Unter anderem auch mit meinem." Was, falls das zu dessen Ende führen würde (was aber freilich nirgends angedeutet wird), bedauerlich wäre.

Kurz schreibt über Thomas de Maizières Rede vom Mittwoch (siehe Altpapier): "die Zeit der technischen Missverständnisse und der Politiker-Netzalphabetisierung (ist) vorbei, nun geht es um politische Grundüberzeugungen." Man muss hinzufügen: und um kulturelle.


Altpapierkorb

+++ Zum Internet: Mehr aus Kurz' o.g. FAZ-Text: "Ob nun das Vorzeigen des elektronischen Personalausweises hierzulande nur zur virtuellen Kontoeröffnung oder beim Online-Kauf eines Autos obligatorisch wird oder schon beim Anmelden beim Flirtportal, mag manchem gleichgültig sein. Doch hier prallen Überzeugungen aufeinander, die mit vorgefassten Leitbildern von Freiheit und Kontrolle zu tun haben." +++ Die Welt spricht mit David Gelernter, sonst Interviewpartner der FAZ, ebenfalls über die Netzkultur, wobei hier Kultur enger als Feuilletonkulturbegriff zu verstehen ist: "Leute, die Maschinen lieben, sind wichtig für die Welt. Aber Leute, die viel über Maschinen wissen, wissen meistens wenig über Menschen. Es ist Zeit für die Techniker, wieder im Keller zu verschwinden. Sie sollen ihr Gehalt bekommen und neue Dinge austüfteln. Aber sie sollten im Hintergrund bleiben, genau wie in Hollywood oder am Broadway. Die Show müssen andere schmeißen." +++ Und die Burda-Leitung kündigt dem Manager Magazin gegenüber an, "die Internetaktivitäten seiner Verlage deutlich reduzieren zu wollen", so etwa, frei online verfügbar, DWDL +++

+++ Zum Fernsehen: Der DuMont-Verbund aus Berliner / Frankfurter und Kölner heute gemeinsam mit einem Interview mit den neuen N24-Käufern Torsten Rossmann und Stefan Aust +++ Das Wimbledon-Spiel zwischen diesen zwei Spielern, die vorher kein Mensch kannte, und das 70:68 im fünften Satz endete, beschert uns nicht nur das Titelfoto der FAZ, sondern auch einen großartigen Live-Ticker des Guardian: "Let it end, let it end, it's 46-all. It was funny when it was 16-all and it was creepy when it was 26-all. ... What happens if we steal their rackets? ... "We want more! We want more!" chant the survivors on Court 18. I'm taking this as proof that they have gone insane." +++ Das FAZ-Fernsehblog über eine Show aus Großbritannien: "Schafft es unser Publikum, eine Milliarde Pfund zu sparen - bevor es 9 Uhr ist?" +++

+++ Zum Print: Die WAZ beschäftigt taz und FAZ (S. 41), bei beiden geht es um den Rückzug aus Serbien +++ In der FTD dagegen Neues zum Krone-WAZ-Arrangement +++ Christiane Kohl in der SZ (S. 17) über zwei Leipziger Reporter, die vor Gericht stehen, nachdem sie u.a. für den Spiegel im sog. Sachsensumpf recherchierten. Der Deutsche Journalisten-Verband wertet den Prozess als "versuchte Einschüchterung" und machte "n einer Podiumsdiskussion in Leipzig (...) deutlich, dass derlei Versuche, einzelne Reporter mundtot zu machen, nicht hinnehmbar seien." +++ Der Tagesspiegel analysiert die britische Boulevardpresse vor dem Fußballspiel England-Deutschland und findet keinen Weltkrieg +++

+++ Nachrufe auf den Schauspieler Frank Giering u.a. in der FAZ +++

 

Frisches Altpapier gibt es wieder am Montag gegen 9 Uhr.

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