Ironie allein zu Haus

Ironie allein zu Haus

Mariette Slomka will sich in Afrika nicht nach dem Stand der Gleichstellung in Deutschland fragen lassen, zu KMH muss noch etwas klargestellt werden

"Sie hat es wieder getan", heißt eine Titelzeile auf der SZ-Medienseite von heute (Seite 15). Nein, es geht weder um Katrin Müller-Hohenstein noch um Andrea Kiewel.

Sondern um Marietta Slomka. Die ist im Vorfeld der Fußball-WM in Südafrika nach Afrika gereist, so wie sie im Vorfeld der Olympischen Spiele von Peking vor zwei Jahren nach Asien China gereist ist.

Das ist heute, da der erste Teil der Dokumentation "Afrikas Schätze" ausgestrahlt wird (23.15 Uhr, ZDF, Teil zwei am Donnerstag zur gleichen Zeit), eines der prägenden Themen auf den Medienseiten. Und das wäre hier nicht weiter von Belang, gäbe es nur die Kritiken wie eben die von Claudia Tieschky in der SZ ("Aber die Einordnung des scheinbar Offensichtlichen ist es, die diesen eigentlich sehr sachlichen Film gut und unterscheidbar macht") oder die von Michael Hanfeld in der FAZ (Seite 39) im soignierten Stile eines bürgerlichen Feuilletons:

Bei den Bildern aus Afrika, die wir anlässlich der Fußball-WM dieser Tage sonder Zahl sehen, wäre es interessant, unsere Perspektive zu vergleichen, zum Beispiel mit jener der Chinesen.

Es gibt aber auch ein schönes Interview, das Jan Freitag mit der ZDF-Moderatorin gleich für Berliner Zeitung, Frankfurter Rundschau und KStA geführt hat (bei der Mitteldeutschen Zeitung haben wir nicht nachgeschaut).

Freitag: Ist Ihre Reportage journalistischer Populismus?

Slomka: Wie kommen Sie denn darauf?

Freitag: Weil die Medienkarawane nach Olympia in China nun Richtung WM reist, um Afrika für eine Weile ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken und dann wieder mit seinen Problemen allein zulassen.

Da hat Freitag einen Punkt, den Slomka mit einem nicht ganz überzeugenden Gegenargument auszuräumen versucht:

Und wenn Sie mutmaßen, wir würden es danach allein lassen, ist das eine paternalistische Formulierung.

Mag sein. Aber dann wäre die Frage, wie paternalistisch das ZDF ist. Allein lassen, da können wir Marietta Slomka zustimmen, wird der beliebte Mainzer Sender "Afrika" nach der WM allerdings schon allein deshalb nicht, weil damit ja eine pittoreske Fernsehfilmkulisse und angenehme Dienstreisen flöten gingen.

Wie angenehm die Unterbringung war, ist übrigens auch eine Frage. Irgendwann, auch das sehr reizvoll, geht es um die Geschlechterrepräsentation in der deutschen Medienwelt, was Slomka etwas irritiert zurücklässt.

Ich kenne nicht so viele Intendantinnen und Chefredakteurinnen, da könnten es ruhig noch mehr werden. Wir wären aber einen Schritt weiter, wenn ich zu einer Afrika-Reportage nicht über Frauenbelange im deutschen Fernsehen sprechen müsste.

Warum eigentlich nicht? Mit Spiegel Online spricht Slomka übrigens – und auch nicht uninteressant – allein über gesellschaftliche Fragen. Und natürlich hat sie nicht ganz Unrecht, insofern man einem Mann die Frage nach der Gleichstellung eher selten stellen würde. Vielleicht kann Michael Hanfeld das ja beim nächsten Mal übernehmen, wenn Klaus Bednarz wieder vom Ural zurück ist: "Herr Bednarz, in den Führungspositionen deutscher Medienhäuser sind Frauen nicht sonder Zahl zu sehen. Warum?"

 

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Was das Slomka-Interview lehrt: Es geht darum, die richtigen Fragen zu stellen. Und damit wären wir dann doch noch mal bei Katrin Müller-Hohenstein. Die Aufregung um den "inneren Reichsparteitag" hat sich zwar so schnell und nicht unberechtigt wieder gelegt, wie sie gekommen war, was auch mit maßvollen Sätzen zu tun hat, wie der Vizepräsident des Zentralrats der deutschen Juden, Dieter Graumann, sie dem Handelsblatt diktiert hat:

Eine böse Absicht liegt erkennbar nicht vor. Wir sollten es daher dabei bewenden lassen.

Aber festzuhalten bleibt, dass an das eigentlich Problematische an Müller-Hohensteins "Entgleisung" (ZDF) in der verengten Wahrnehmung von unglaublich viel Mediengetöse (Shitstorm, Facebook-Gruppen und so weiter) einfach nicht ranzukommen ist.

Und dabei reden wir nicht von, mit Verlaub, Knallchargen wie Malte Lehming, die im Tagesspiegel-Blog nichts Besseres zu tun haben, als das zu machen, was sie für Witze halten:

Aber weit gravierender als der sprachliche Lapsus ist doch wohl, dass dieses Klose-Tor, um in der ZDF-Sprache zu bleiben, Deutschlands inneres Auschwitz gewesen sein könnte. Weil dieses Tor den schwachen Klose rehabilitiert, muss er weiter aufgestellt werden, was Deutschland am Ende den Titel kosten wird.

Oder von unterkomplexen Exegeten wie Malte Welding.

Nein, die insuffiziente, aber automatisierte Nazi-Vergleichs-Logik eines Johannes "Autobahn geht nicht" B. Kerner, die nicht in der Lage ist, heiklen Fragen argumentativ zu begegnen und deswegen alles, was nicht geht, aus dem Studio schickt, führt auf Seiten derer, die – völlig berechtigt – KMH nicht mit überflüssigen Forderungen nach Rücktritt konfrontiert sehen wollen, leider auch nur zu einer Form der Verteidigung, die am Kern des Problems vorbeigeht.

Und so verkennt selbst Stefan Niggemeier, der Anwalt eines sehr gesunden Menschenverstandes, dass in KMHs unbewusster Äußerung mehr steckt, was einer Auseinandersetzung harrte, als der – wie gesagt in vielen Teilen berechtigte – verfasste Entschuldigungszettel wahrhaben will.

Für mich ist das eine alltägliche Redewendung, um einen besonderen Triumph zu beschreiben, ein Gefühl von Schadenfreude oder die Genugtuung, es allen gezeigt zu haben.

Nur kommt man leider nicht weiter mit all den Ichs, die in privater Runde von "inneren Reichsparteitagen" sprechen und sich sicher sind, dass daran nichts problematisch ist, weil sie selbst von ihrem Standort auf dem Boden der FDGO wissen. Über solche Ichs kann man schwer diskutieren, weil es dann ratzfatz persönlich wird. Man kommt deshalb nur weiter, wenn man schaut, wann wer was wo wie sagt.

Und wenn wir Tilmann Krause glauben dürfen, der in der Welt die Genese des "inneren Reichsparteitags" als Witz von unten in der Nazizeit erklärt (was plausibel klingt, auch wenn Krause das auch wieder nur zur Brachialverteidigung nutzt), dann ist der ironische Gehalt der Äußerung schnell erkennbar.

Was aber geschieht mit dieser Ironie, wenn das, wogegen sie sich schelmisch wehrt, nämlich die real existierende bombastischen Naziparteitagspropaganda, nicht mehr existiert? Wenn der Kontext verloren gegangen ist, in dem dieser Witz als Witz erkennbar war? Kann Ironie weiterleben auch wenn das, was sie ironisiert, nicht mehr da ist?

Das sind so Fragen, die man sich stellen kann, ohne KMH verdammen zu müssen. Ging in dem Fall aber offenbar nicht.


Altpapierkorb

+++ Was macht eigentlich Andrea "Kiwi" Kiewel? Defätisten würden sagen, dass was sie immer gemacht hat: Es gibt neue Vorwürfe, die auf Schleichwerbung. (Sueddeutsche.de) +++ Was macht Bodo Hombach? Ärger kriegen wegen des Aust-Magazin-Projekts, das die WAZ Geld gekostet hat und Aust Rechte eingebracht (FTD). +++ Was macht das iPad? Gab's schon früher als Zukunftsentwurf (NZZ). +++ Und was macht eigentlich der Feind? +++

+++ Frankreich ist eine arme Sau. Hat nicht nur seit Jahren eine Nationalmannschaft, die unter Wert spielt. Sondern kann diese auch nur im Privatfernsehen sehen: Jürg Altwegg informiert in der FAZ (Seite 39) über den begleitenden Ärger und andere Verwicklungen: "Bei M6 herrscht Domenechs Partnerin Estelle Denis über den Fußball. Ihr hatte er nach dem Ausscheiden bei der Europameisterschaft live einen Heiratsantrag gemacht." +++ Hat außerdem einen Präsidenten, der aktiv Medienpolitik macht und sich beim Le Monde-Verkauf einmischt (BLZ, TAZ). +++

+++ Schweden hat es nicht besser: Hochzeit der Prinzessin scheint nicht so der Burner zu werden (TAZ). +++ Joseph Croitoru sichtet neues Filmmaterial über die Enterung der "Mavi Marmara" (FAZ). +++ Aus Frankreich immerhin kommt die berückende Nachricht, dass der öffentliche-rechtliche Sender dem heillosen Israel-Palästina-Konflikt mit den Mitteln des Reality-TV zu Leibe rücken will: "Er will sechs junge Palästinenser und sechs Israeli in einem Haus einschliessen, wo sie einen Friedensvertrag aushandeln sollen." (NZZ) +++

+++ dpa launcht dpa.news, das ein wenig wie Spiegel Online aussieht (TAZ, SZ, Seite 15). +++ Carta hat der Rede von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zum Leistungsschutzrecht gelauscht: "... suchte mit ihrer Berliner Rede am Montagabend den Spagat zwischen einem liberal verstandenen wettbewerbsneutralen Urheberrecht, dem Schutz der Urheber und der Nutzer." +++ In der SZ macht sich Wolfgang Janisch angesichts des Falls Kachelmann Gedanken zum Persönlichkeitsschutz. +++ Wolfgang Michal befasst sich auf Carta weiter mit der "Abmahnrepublik" an. +++ Die NZZ konfrontiert uns mit dem Genre des "War Porn". +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder ab 9 Uhr.
 

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