Die Süddeutsche hat einen neuen Regionalteil, Katrin Müller-Hohenstein sagt etwas, der Guardian hat eine schöne Idee, und Günther Jauch steht in der Kritik
"Es ist voll bracht: Alisar ist Germany's next Topmodel 2010!", schreibt prosieben.de. Muss es in diesem Kontext nicht "Es ist voll vollbracht" heißen?
Andererseits ist das auch wurscht, GNTM, wie wir Fachleute sagen, ist nämlich längst schlabbriges Gemüse, rausgefallen aus den Twitter-Trending Topics - voll vor bei seit Donnerstagabend. Was ist heute dagegen voll vollbracht? Der neue Regionalteil der Süddeutschen Zeitung. "Aus den drei Teilen, Bayern, München und - in der Region - die jeweilige Landkreisausgabe, ist nun ein einziger Teil geworden", schreibt Ressortleiter Christian Krügel auf Seite 1 des neuen SZ-Buchs. Und die taz schreibt:
"Seit diesem Montag werden sämtliche Regional- und Lokalinhalte zentral produziert, von einem neu geschaffenen Großressort mit über 100 Mitarbeitern. Der seit der Übernahme durch die Südwestdeutsche Medienholding" - die mit 8,6 Prozent Anteil der zweitgrößteTageszeitungsverlag nach Axel Springer ist (siehe Media Perspektiven-PDF, S. 224, Zusammenfassung bei Meedia) - "sonst so sparsame Verlag hat nach Angaben von SZ-Chefredakteur Hans Werner Kilz über 1,5 Millionen Euro in das neue Regionalkonzept gesteckt. Das Ziel: Die größte überregionale Qualitätszeitung des Landes soll endlich auch wieder auf ihrem Heimatmarkt Erfolg haben."
Fragt sich, für wen der neue Regionalteil nun ein innerer Reichsparteitag ist: für die SWMH, die gerne die Provinzklitsche spielt (was sie NATÜRLICH nicht ist!), oder Kilz und Co., der mit dem neuen Konzept - auf welchen verschlungenen Wegen auch immer - verhindert hat, dass die SZ zur Regionalzeitung umgebaut werden kann, eine Befürchtung, die es im schicken urbanen SZ-Hochhaus ja durchaus gab.
Habe ich gerade "innerer Reichsparteitag" gesagt? tschuldigung, das ist die Aufregung. Um Punkt 8 Uhr heute morgen: #reichsparteitag ist Trending Topic bei Twitter, je nach Zählweise auf Platz 5 oder Platz 15.
Katrin Müller-Hohenstein, kurz kmh (Autobahn!), hat in der Halbzeitpause des Männerfußballspiels gegen den Australier am Sonntagabend nach dem Tor des, ausgerechnet!, zuvor heftig kritisierten Stürmers (sic!) Miroslav Klose in der Halbzeitpause kommentiert, das Tor sei für Klose "ein innerer Reichsparteitag" (bei Youtube). Und zack: Aufregung bei 11Freunde, big-time-Zusammenfassung des, let's say, Geschehens bei SpiegelOnline, zweite (Stand 8 Uhr) Meldung bei Welt Online, wo man sich nicht entblödete, zu kommentieren: "Traditionell haben Frauen es im medialen Fußball-Umfeld schwer" und irgendwie auch noch Eva Herman ins Spiel zu bringen. Stefan Niggemeier gebührt das Verdienst, die ganze Aufregung und diese verlogene Durch-die-Gegend-Assoziiererei als erster lächerlich gefunden zu haben. Noch zu erwähnen: Deniz Yücels Bild-Parodie ("Was ist da los beim Opa-Sender ZDF? Nazi-Vergleiche am laufenden Band") bei taz.de.
Womit wir bei der Fußball-Weltmeisterschaft wären. Die hat am Freitag begonnen, und schon jetzt preisverdächtig im Rennen um die gelungenste Abbildung der größten Aufreger der WM: der Guardian mit seiner "Twitter replay"-Funktion (siehe auch Foto) - auf die Art gelangt der Mikrobloggingdienst auch selbst auf einen Höhepunkt, als Erregungsmessmaschine.
Fußball, da geht es natürlich auch um Günther Jauch. Am Freitagabend war er für seinen Arbeitgeber RTL im Einsatz, bot einem Käfer seine Hand zum Krabbeln, und als man gerade dachte: RTL, blöder Laden, ist doch wieder alles gestellt, damit jeder glaubt, dass Südafrika so gefährlich, wild und urständig ist - ha, kam via Google auch schon die Eingebung: Er analysiert die WM ja von Berlin aus. Also: Was haben wir an den ersten WM-Tagen gesehen? Dass es in Berlin gigantische Mistkäfer gibt.
Was noch? Das Duo Netzer/Delling. Und es spaltet auf seine ältesten Tage noch: Im Ersten "liefen Günter Netzer und Gerhard Delling noch mal zu ganz großer Form auf. Hintersinnig, doppelbödig, inspirierend. Famos", findet im Tagesspiegel Markus Ehrenberg, der auch nicht vergisst, der WM die traditionell beim Thema Fußball irgendwo immer hinbiegbaren literarische Bezüge zu geben - vom Käfer ist der Weg nicht weit zu Kafka. Immerhin: Von einem "Drama" wie im Theater sprach an diesem Wochenende nur Netzer live im Ersten - wofür allein ihm ein Langweilerpreis gebührt, den ihm Spiegel Online wohl auch gerne zukommen lassen möchte: Delling und Netzer seien
"ein Duo, über das sich zu beschweren schon genauso langweilig ist wie das Team selbst. Auch beim WM-Auftaktspiel liefern sie ihr Standardprogramm aus semi-zündenden Pointen und gut abgehangenen Spiele-Analysen ab."
[listbox:title=Artikel des Tages[taz über den SZ-Regionalteil##Die Guardian-Twitter-Replay-Funktion##Tagesspiegel über Jauchs Auftrag##Berliner über den Spiegel##Peter Glaser über die Zukunft des Journalismus]]
Wichtiger aber als Netzer/Delling, für oder gegen die zu sein nun ja seit wahnsinnig langer und bald dann vorbeier Zeit jedem freisteht, ist immer noch die Causa Jauch. Weniger in seiner Funktion als Käferhalter, sondern vor allem als das politische Gesicht der ARD ab 2011 (siehe "Altpapier" vom Freitag). Da mit ihm das Programmschema der ARD ein anderes werden soll und bislang prominente Gesichter dann nur noch semiprominent sind, bedeutet sein Wechsel zur ARD gerade auch intern eine Umwälzung. Frank Plasberg etwa sei tendenziell wenig begeistert davon, den Sendestart von "hart aber fair" wegen des nebenbei verkündeten Plans, die "Tagesthemen" täglich um 22.15 Uhr beginnen zu lassen, nach hinten zu schieben, schrieb am Samstag Hans Leyendecker in der Süddeutschen Zeitung (S. 21). Die Frage ist: Wird die Umwälzung auch eine Revolution? Leyendecker:
"Plasberg am Donnerstag um 20.15 Uhr einsetzen, darauf ein politisches Magazin setzen, und dann folgten die Tagesthemen - das wäre eine Revolution. Ein Infotag. Doch will das Publikum wirklich so viel Politisieren? Und: Wäre ein solcher Schritt nicht viel zu mutig für die ARD? Alles kreist bei allen Programmspielen um die Tagesthemen, die Anfang 2006 mit viel Gedöns um eine Viertelstunde vorverlegt wurden. Ist es wirklich das Problem der Sendung, dass der Zuschauer nicht immer genau weiß, wann sie anfängt? Misslich mag das mit den unterschiedlichen Zeiten schon sein, aber es gibt auch noch ein paar andere Probleme: Zu oft ist es Chefredakteursfernsehen mit langweiligen, meinungslosen Kommentaren oder es wird amateurhaft gemenschelt, oder es wird zu Korrespondenten geschaltet, die auch nichts wissen."
In der Kritik steht nun besonders die ARD, der die Verpflichtung Jauchs ein innerer Reichsparteitag war, auch aus anderen Gründen. Erstens, bei Nils Minkmar in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, dafür, dass Anne Will erst im Urlaub von ihrer Verlegung erfuhr. Und zweitens bei Joachim Huber vom Tagesspiegel, der im Zusammenhang mit Jauch an den sogenannten Programmauftrag der Öffentlich-Rechtlichen erinnert:
"ARD und ZDF haben für einen dreistelligen Millionenbetrag die TV-Rechte an 55 der 64 Spiele der Fußball-WM eingekauft. 550 Mitarbeiter wurden nach Südafrika geflogen, wo der Pay-TV-Sender Sky, der alle 64 Spiele live zeigt, mit 70 Mann Personal auskommt. Der Privatsender RTL begnügt sich mit neun Partien, aber kann er deswegen schlechter übertragen? Die WM-Rechte sind schlicht und allein eine Frage des Geldes, der Gebühren. Teil der Grundversorgung sind sie nicht."
Und auch Jauch selbst wird kritisiert, im Spiegel (S. 151), dafür, dass er seine RTL-Shows nun nicht einfach aufgibt: "warum trennt er sich nicht von den übrigen RTL-Shows? Aus Trägheit? Angst? Geld- gier? Er könnte Klarheit beweisen. Eine Position. Haltung. Macht er aber nicht."
Wer hoch hängt, kann schon auch tief fallen. Das gilt auch für die ARD: Weniger als die beste Politgesprächssendung der Welt wäre nach dem vielen Selbstlob kaum angemessen.
Altpapierkorb
+++ Die großen Fragen des Journalismus: Wo kommt das Geld her? Wie ist die Berichterstattung? Wo geht es hin? Hier, wie immer, die Antworten: Die Berliner Zeitung/Frankfurter Rundschau lobt den Spiegel für die anachronistisch wirkenden Geldbeschaffungsstrategien von Geschäftsführer Ove Saffe +++ Die BLZ berichtet auch über die Studie "Die China-Berichterstattung in den deutschen Medien", die heute vorgestellt wird +++ Und bei sueddeutsche.de geht es wieder um die Zukunft des Journalismus, über die diesmal Peter Glaser schreibt: "Wenn ich es auf einen Satz reduzieren müsste, würde ich sagen: Die Zukunft des Journalismus besteht darin, herauszufinden, was die vernetzte Maschine nicht kann (und es zu nutzen)." +++
+++ Fernsehen: Die FAZ über das "Debüt im Ersten" (S. 31, nicht frei online) +++ Selbiges im Kölner Stadt-Anzeiger +++ Der Tagesspiegel über die Marktanteile der deutschen Serien +++
+++ Mehr ARD: "In der Summe gebricht es der ARD an einer Strategie, wie dieses sinnvolle öffentlich-rechtliche Projekt, das sich von der privaten Konkurrenz strukturell und substanziell unterscheidet, durch Weiterentwicklung und Reformen erhalten werden kann", schreibt Dietrich Leder in der Funkkorrespondenz +++ Eine Strategie, die, speziell für den Polittalk, die FAS fordert: "Nach all den formatierten Jahren erwarten wir nun das Unerwartete!" +++ Nicht noch nie gedachte Gedanken über die Verfasstheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bei Carta +++ "Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) hat die Entscheidung der Länderchefs verteidigt, vorerst doch kein Werbeverbot für ARD und ZDF zu beschließen", so Der Spiegel +++ Neue Rundfunkfinanzierung und Werbeverbotsdebatte zusammengefasst bei der Funkkorrespondenz +++
+++ Zum Themenbereich Einfluss nehmen: Wie die Telekom Journalisteninformanten aus dem Konzern identifizieren wollte, schreibt die Süddeutsche (S. 17) +++ In der es auch (ebd.) um eine Art User-Bewertungssystem für Nachrichtenagenturen geht, die damit die Wünsche der Kunden identifizieren wollten: "'Wir wollen, dass die Kunden auf unsere Planung Einfluss nehmen', erklärt Cord Dreyer, Chefredakteur und Geschäftsführer der Gruppe ddp/DAPD." +++Nicolas Sarkozy mischt sich in die Welt von Le Monde ein (TSP) +++
Frisches Altpapier gibt es wieder am Dienstag gegen 9 Uhr.