28. Mai 2010: Das iPad is in the house. 29. Mai 2010: Lena singt in Oslo. Zwischen Bloomsdays und Service-Tipps.
"Lange hat es gedauert, am Donnerstag war es endlich soweit."
So lautet der Auftakt zum Roman dieses Tages, dem 28. Mai 2010. Dass etwas Großes geschehen sein muss, lässt sich schon daran erkennen, dass man an Stefan Winterbauers Satz auf Meedia.de unschwer das literarische Vorbild erkennen kann, auf das er anspielt: Marcel Proust ("Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen").
Was also ist geschehen?
"Das erste TNT-Auto fuhr noch vorbei. Das zweite hat angehalten. Endlich klingelte der Paketbote."
Lesen wir weiter in Winterbauers, ja, literarischem Dokument einer sich erfüllenden Sehnsucht. Einer Sehnsucht, die sich erfüllen kann nur im sprachlichen Gewand der allerkühnsten Menschheitsträume, dem Griff nach den Sternen, dem Traum vom Weltall.
"Das iPad ist gelandet."
Und?
"Hektisch die Packung aufgerissen, Bedienungsanleitung gibt's es ja zum Glück keine und los. Bei Apple kennen sie offenbar ihre zu Hysterie neigende Kundschaft und verschicken das iPad dankenswerter Weise gleich in fast voll aufgeladenem Zustand. Das Gerät überzeugt vom ersten Anfassen. Es 'toucht', könnte man sagen."
Ja, es toucht. Mehr muss man nicht mehr sagen. Eigentlich könnten wir an dieser Stelle schlafen gehen.
Wir scrollen aber weiter zum furiosen, sich über zwei Seiten ziehenden FAZ-Feuilletonmacher (Seite 31). Uwe Ebbinghaus liest darin quasi die komplette Weltliteratur hinsichtlich ihrer iPad-Untauglichkeit.
Das Paradigma für diesen Tag, diesen 28. Mai 2010, bildet dabei der bekannteste Tagesroman der Literaturgeschichte. James Joyce' "Ulysses". Es ist Bloomsday.
"Der Roman erzählt vom 16. Juni 1904. An diesem Morgen hatte Leopold Bloom seiner Frau Molly noch das Frühstück ans Bett gebracht, bevor er sich auf den Weg in die Stadt machte – ein zeitluxuriöser Auftakt, der heute auch noch denkbar wäre, mit dem Blooms rein analoge Existenz an diesem Tag aber wohl ihr Ende fände. Gegen neun Uhr müsste er seine SMS-Nachrichten abrufen und das E-Mail-Konto durchforsten. In jedem Fall könnte er sich gegen zehn den Weg zum mehr als zwei Kilometer entfernten Westland Row Post Office sparen, wo er im Roman eine Nachricht seiner heimlichen Brieffreundin Martha Clifford abholt."
Ebbinghaus begnügt sich nicht damit, die heutige Unmöglichkeit einer Prä-iPad-Literatur ob der Möglichkeiten des neuen Geräts melancholisch zu konstatieren. Sein mediales Interesse an der Kunst gilt auch neueren Hervorbringungen. "Harry Potter" etwa.
"Man kann 'Harry Potter' als großangelegte Analogie auf das Internet lesen. Die anfängliche Briefflut, mit der die Dursleys gezwungen werden, den Zögling nach Hogwarts ziehen zu lassen, kann nur mit einer massiven Mailschwemme verglichen werden; die Kommunikation mit Tom Riddle im zweiten Teil der Reihe entspricht einem Chat, und die 'Karte des Herumtreibers' korrespondiert mit aktuellen Formen der Navigation."
Nun aber hinab aus den lichten Höhen der Literatur. Auf die Couch.
"Das iPad ist ein Laptop, der seine Tastatur verschluckt hat. Man kann sich damit aufs Sofa legen, ohne dass einem der Bildschirm auf die Finger klappt. Politisch ist das bedenklich, denn die Revolution fällt aus, wenn die Leute zu faul sind aufzustehen. Aber kaum etwas kann einem so schön beim Dagegensein helfen wie ein solches Gerät."
Schreibt Peter Glaser im Freitag. Marin Majica befallen in seinem Überblicksartikel in der Berliner ebendort gewisse Zweifel:
"Sieht man Filme wirklich gerne auf dem etwa DIN-A4-großen Gerät, wenn unweit der Couch ein Fernseher steht?"
[listbox:title=Die Artikel des Tages[iPad auf der Couch (Berliner)##iPad auf der Couch (Freitag)##Lena in ihrer Lenahaftigkeit (SZ)##Heimatfilm wie immer (Berliner)]]
Womit übergeleitet wäre zum Ratgeber Tagesspiegel, der mit dem iPad weder von Marcel Proust noch von Leopold Bloom träumen will, sondern unbestechlich uns, den Kunden im Blick behält.
"Einhändig lässt sich die PC-Tafel nur für kurze Zeit halten, danach beginnt der Daumen zu erlahmen, was vor allem die Freude an der gemütlichen Bettlektüre mit dem iPad trübt."
Der Tagesspiegel-Service umfasst dazu Hinweise auf Konkurrenz-Modelle sowie eine Orientierung über den Stand der Apps aus den Verlagen.
Was sich auch fügt in die Erzählung dieses Tages, sind die Wirtschaftsberichte im Handelsblatt und in der FTD, die sich mal historisch, mal börsianisch dem iPad-Fabrikanten Apple widmen.
"Erstmals seit 1989 ist Apple mehr wert als Microsoft."
Nur Sueddeutsche.de hat das Weltumspannend-Epochale dieses 28. Mai 2010 (auf unserem Bild: aufs iPad wartende Japaner) nicht geschaut. Dort wird Service heruntergebrochen auf sauertöpfische Fragen wie:
"Wer braucht überhaupt ein solches Gerät?"
Das wird sich schon noch herausstellen, sagen wir mit dem Medienwissenschaftler Mathias Mertens. Und wiegen uns in den Schlaf mit the real Proust:
"Manchmal fielen mir die Augen, wenn kaum die Kerze ausgelöscht war, so schnell zu, daß ich keine Zeit mehr hatte zu denken: Jetzt schlafe ich ein."
Altpapierkorb
+++ Morgen wird auch wieder ein großer Tag: Lena Meyer-Landrut singt endlich in Oslo. Christopher Schmidt geht in der SZ die ganze Geschichte noch einmal durch: "Mit derselben Gründlichkeit wurde, nachdem Lena Meyer-Landrut sich in der letzten Casting-Runde durchgesetzt hatte, das 'Phänomen' Lena diskutiert und analysiert." Um selbst mitzudiskutieren: "Lena geht es nicht um Textverständlichkeit, sondern darum, Worte in Ausdrucksgebärden umzuschmelzen, und deshalb ist auch ihre Sprachbehandlung ein Beispiel für die Fähigkeit, sich ihre Lieder anzuverwandeln... Sie imitiert eben nicht, sie interpretiert." +++ Was Lena alles möglich macht: Für die FAZ berichtet Sonderkorrespondent Peter-Philipp Schmitt im Tagebuch aus Oslo. +++ Und die Welt featuret das NDR-Blog von TAZ-Redakteur Jan Feddersen – wenn das old Springer noch erlebt hätte. +++
+++ Die Süddeutsche hackt auf Horst Köhler rum ("Schwadroneur"), weil der im nachträglich gekürzten Deutschlandfunk-Interview (Altpapier vom Dienstag) den Afghanistan-Einsatz in Zusammenhang mit deutschen Arbeitsplätzen bringen wollte. +++ Nicht überrascht sind darüber die TAZ und das Tagesschau-Blog. +++
+++ Die kritische Lage bei der vorm Verkauf stehenden "Le Monde" erläutert detailliert Jürg Altwegg in der FAZ (Seite 37). +++ Die SZ (Seite 15) vermeldet die Einstellung von Verfahren im Rahmen von "Stern" vs. "Bunte", in denen es um Politikerüberwachung ging, durch den Beschwerdeausschuss des Presserats. +++ Die Berliner hat eine Studie gelesen über junge Menschen, die ihre Privatsphäre im Netz durchaus zu schützen wissen. +++ Die TAZ darf nicht zur Innenministerkonferenz, ohne vorher Daten bei der Polizei abzugeben. +++ Auf Carta berührt Robin Meyer-Lucht in seiner Replik auf Felix Neumanns Vorstellungen zum Urheberrecht die großen Fragen: "Ist es naturrechtlich eigentlich in Ordnung, dass der Fisch, den die Fischer aus dem Meer holen, den Fischern und nicht der Allgemeinheit gehört?" +++
+++ Außerdem ein paar Programmtipps: Nicht mehr geguckt werden muss Larry King. Das machen die anderen auch nicht (SZ). +++ Gehört werden sollte Lorenz Rollhäusers ARD-Radio-Feature über Doping und Fußball, meint die TAZ. +++ Hoffentlich bald zu sehen ist Bernd Eichingers Kampusch-Verfilmung (Welt-Online). +++ Die SZ hat einen langen Atem (Altpapier vom Mittwoch) und fragt Urban Priol, was aus ihm ohne Georg Schramm im ZDF wird (Seite 15). +++ Nicht verzichtet werden muss auf den Heimatfilm, wie wir ihn seit über einem halben Jahrhundert kennen, beruhigt uns Jan Freitag in der Berliner. +++ In die Röhre guckt dagegen die Disney-Sekretärin, die am großen Rad des Insiderhandels drehen wollte, wie die FTD berichtet. +++
Neues Altpapier gibt's Montag wieder ab 9 Uhr.