Google, RTL und ProsiebenSat.1 sowie Jörg Kachelmann unter jeweils völlig anderen Vorzeichen im Visier der deutschen Justiz. Außerdem: Gratuliere, "Berliner Zeitung"!
Ups. Gestern an dieser Stelle waren wir so aufs ferne Koblenz bzw. lobofixiert, dass uns ein wahres Fest für Freunde bedruckten Papiers durchgerutscht ist. Die Berliner Zeitung beging am Mittwoch ihren auf den morgigen Freitag datierten 65. Geburtstag mit einer 88(!)-seitigen Extrabeilage. Herzlichen Glückwunsch nachträglich bzw. im Voraus.
Dieser Beilage entstammte auch der gestern hier erwähnte, ebenfalls in Köln und Frankf urt (und, wenn wir schon dabei sind: redaktionspool-halber bis hinein ins Naumburger Tageblatt) gereichte Konstantin Neven DuMont-Artikel über die aus den Fugen geratende Medienlandschaft.
Prominenter platziert aber war natürlich: Alfred Neven DuMont. Das zweiseitige Interview mit ihm zieren zwei Fotos von ihm (das eindrucksvollere davon zeigt unser Foto). Von einem ausgesprochen guten Verhältnis zwischen Verleger und Redaktion zeugt das Gespräch. Feuilletonchef Harald Jähner fragt zum Beispiel: "Neven DuMont ist ein ziemlich extravaganter Name, verglichen mit Jähner zumindest. Wo kommt der Name her?", und stellt ganz am Ende folgende Frage, die viel über die Berliner Zeitung verrät: "Sie haben kürzlich für unsere Zeitung ein Interview geführt mit Joachim Wissler, 3-Sterne-Koch im Grandhotel Schloss Bensberg. Aus diesem Interview will ich Ihnen eine Frage klauen und als letzte stellen: 'Wenn Sie morgens wach werden, an was denken Sie dann zuerst?'"
Neven DuMont antwortet:
"Damit stürzen Sie mich in Konflikte. Wenn ich Ihnen jetzt die Wahrheit sagen würde, dann wären alle Redakteure meiner Zeitungen zutiefst enttäuscht. Nein, ich möchte die Antwort auf diese Frage verweigern."
Man darf also schon jetzt gespannt sein auf das Special zum 70. Geburtstag der BLZ, in dem das hoffentlich aufgelöst wird. "Man darf gespannt sein" lautet auch der letzte Satz des Artikels zur Internet-Zukunft der Berliner Zeitung ("ab Herbst noch informativer und mit vielen multimedialen Elementen").
Nun aber rasch zum Tagesgeschäft: Den roten Faden im heutigen Mediengeschehen bildet eindeutig die deutsche Justiz, die derzeit gegen Google, weiterhin gegen Jörg Kachelmann und (wenn man das Bundeskartellamt der Sphäre der Justiz zurechnet) auch gegen die großen privaten Fernsehsender vorgeht. Immerhin kann das Kartellamt ja echte Razzien veranlassen.
Was steckt hinter der gestrigen Razzia bei ProsiebenSat.1 und RTL? Die erste Meldung brachte focus.de. "Es gehe um den Verdacht, die Sender hätten sich abgesprochen, digitale Free-TV-Programme nur noch verschlüsselt und gegen zusätzliches Entgelt zugänglich zu machen" sowie um "technische Maßnahmen, die die Nutzung des Programms beschränken", hieß es dort in aller Kürze.
Während sich der KStA vom RTL-Standort Köln mit der DPA-Meldung begnügt, versuchte die Süddeutsche vom Quasi-P7S1-Standort München mit eigenem Reporterteam mehr herauszufinden. Und hörte immerhin, dass es Gerüchte gegeben habe, "es seien Sendermanager verhaftet worden", die aber auch wieder dementiert wurden.
Inhaltlich am relativ informativsten ist derzeit die FTD. Sie mutmaßt, dass es dem Kartellamt um Pläne zur künftig kostenpflichtigen Verschlüsselung von den neuen HD-Programmen gehe.
Gegen Google ermitteln seit gestern Hamburger Staatsanwälte. So groß wie der Suchmaschinenkonzern und seine Marktmacht, so groß sind die Zahlen seiner Gegner und Aficionados. Tendenziell zu letzteren zählen Spiegel Online und die TAZ, die unter Berufung auf den bloggenden Berliner Informatiker Kristian Köhntopp Google in diesem Fall für ziemlich unschuldig halten.
"Amtsträgern von der CSU-Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner bis zum grünen Justizsenator Hamburgs Till Steffen (fällt) seit Monaten zum Thema Datenschutz und Internet nichts anderes ein, als immer wieder zu betonen, wie gefährlich die Unternehmen Google und Facebook sind",
schreibt Konrad Lischka bei SPON und schließt horstköhlerhaft: "Es wäre an der Zeit, die Vorteile und Nachteile, die Chancen und Risiken neuer Technik abzuwägen und zu überlegen, welche Regeln da in Deutschland gelten sollen."
Googles "gewisse Philosophie der Offenheit" ist doch schön, zitiert die TAZ den Social-Media-Experten Jens Best: "Ein x-beliebiger deutscher Konzern hätte dafür gesorgt, dass die Festplatten klammheimlich verschwinden."
[listbox:title=Artikel des Tages[Razzia bei Privatsendern (FTD)##Allgemeine Google-Verwirrung (SPON)##Inside Google (consumerwatchdog.org)##Kachelmanns Medienunternehmen (sueddeutsche.de)## 65 Jahre Berliner Zeitung]]
Anders lässt sich das natürlich auch betrachten, Jordan Mejias zitiert in der FAZ (S. 37) consumerwatchdog.org aus den USA zum deutschen Fall ("Google habe immer wieder die Grenzen des Legalen gestreift, nur um sich zu entschuldigen, sobald die Firma dabei erwischt wurde"), wie auch Google-Chef Eric Schmidt. "Wer trug Schaden davon? Nennen Sie die Person" sagte er im liebenswert bärbeißigen Tonfall, der wieder ans legendäre "If you have something that you don't want anyone to know, maybe you shouldn't be doing it in the first place" erinnert.
Noch viel schwerer ist, sich eine Meinung zum Fall Kachelmann zu bilden, in dem die Mannheimer Staatsanwaltschaft nun Anklage erhoben hat. Darüber berichten weiter recht ausgewogen die vermischten Seiten. Nur sueddeutsche.de ist dem Aspekt nachgegangen, dass Kachelmann nicht bloß Fernsehstar ist oder war, sondern auch Medienunternehmer, also Chef der Firma Meteomedia "mit etwa hundert Angestellten" und diversen ARD-Verträgen.
Diese Firma soll eine andere namens Brainworx (bei der es sich sicher nicht um ein Joint Venture der Erfolgsunternehmen Brainpool und Teamworx handelt) mit Kommunikationsdingen beauftragt haben, welche nun aber "offenbar Sprechverbot bekommen" habe. Dieser Fall macht sehr umfassend sprachlos.
Altpapierkorb
+++ Mal wieder eine (ziemlich) neue Zeitschrift: "Alley Cat" (online mit "Miki"!?) ist da, nun von Burda publiziert. "Erstaunlich am Erotikmagazin für Frauen ist die hohe Dichte an nackten Brüsten und geblümten Popos, die der libidinös interessierten Leserin entgegenblicken. Schon der Titel des Heftes legt nahe, dass 'Alley Cat' am Ende vielleicht doch eher ein erotischer Männertraum sein könnte" (Süddeutsche). Bzw.: "Für den ersten Männerkörper muss man bis zur Seite 28 blättern" (Berliner). +++ So verwirrend, wie Frauen aber auch sein wollen, meint der Tagesspiegel. +++
+++ Internationales: Stimmen zu Roger de Wecks Aufstieg zum Chef des schweizerischen Fernsehen sammeln die FAZ (Jürg Altwegg, S. 37: "Von de Weck darf man auch erwarten, dass er dem unsäglichen Vormarsch der Mundart in den öffentlich-rechtlichen Sendern Einhalt gebietet") und die Süddeutsche, die bei de Wecks Zeit-Nachnachfolger Giovanni di Lorenzo ("Ohne Roger de Weck hätten es seine Nachfolger... sehr viel schwerer gehabt"), aber auch bei Roger Köppel ("de Weck hat starken politischen Linksdrall, ist ein glühender EU-Befürworter und vertritt damit eine Minderheit") nachhorchte +++ "Wie viel Berlusconi steckt in Sarkozy?" fragt ebenfalls die SZ, da Sarko nun vor der Frage steht, ob er Patrick de Carolis auf dem France Télévisions-Chefsessel belässt. +++ Aus dem echten "Berlusconien" berichtet (wg. Michele Santoro) die TAZ. +++ Die mutige "Jyllands-Posten"-Korrespondentin Puk Damsgård Andersen wird aus Pakistan ausgewiesen (ebd.). +++ "Den realen Krieg verliert aus dem Blick, wer die Medien für 'die' Realität hält" sagt Rudolf Walther (Freitag) in noch viel größeren Zusammenhängen.
+++ Veranstaltungen: "Insgesamt bot die Veranstaltung einen sehr guten Einblick in die aktuelle Stimmungslage und das Denken in Teilen der Medienwelt", dennoch oder deshalb war sie "eher trocken und uninspirierend" - die Frankfurter “Future Face of Media”-Diskussion mit Arthur Sulzberger Jr. u.a., schreibt der neue Carta-Co-Herausgeber Matthias Schwenk. +++ Von der Verleihung den Gerd-Bucerius-Förderpreis an die georgische Journalistin Schorena Schawerdaschwili berichtet die BLZ. +++ Impression von der Eröffnungssoiree der gemeinsamen Geschäftsstelle der deutschen Landesmedienanstalten bietet meedia.de.
+++ Deutscher Rundfunk: Die "seit einem halben Jahrzehnt zementierte" Vormachtstellung von US-Serien im deutschen Privatfernsehen könnte, Sat.1 sei Dank, sich dem Ende zuneigen, freut sich Michael Hanfeld (FAZ). +++ Aber "kann man den beliebten deutschen TV-Sendungen noch vertrauen?" (Bild-Zeitung). +++ Besser als Kallwass & Rach: deutsches Radio von 1956 (Freitag).
+++ Mediensport: RTL schiene nicht uneingeschränkt begeistert, wenn sich ihm der zur Fußball-WM frisch frei gewordene Michael Ballack als Experte zur Verfügung stellen würde? Dies und mehr um den Knöchel der Nation trug der Tagesspiegel zusammen. +++ Das Bildblog gegen faz.net und FAS (wegen der Hansa Rostock-Berichterstattung). +++
+++Und wer von Sascha Lobo nicht genug bekommt: meedia.de hat ihn zu seinem Koblenzer Abenteuer interviewt. +++ Die Rhein-Zeitung selbst hat natürlich auch allerlei Reaktionen zusammengestellt.