Helmut Schmidt beklagt den Whiskey-Mangel, während sich das Publikum volllaufen lässt: Der Henri-Nannen-Preis wurde verliehen.
Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat, als er dieser Tage den Henri-Nannen-Preis für sein publizistisches Lebenswerk entgegennahm, laut Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung (S. 33) beklagt, dass es in den Konferenzen der Wochenzeitung Die Zeit, zu deren Herausgebern er zählt, keinen Whiskey mehr gebe. Es ist also Krise.
Schmidt ging laut FAS auch auf ihre Konsequenzen ein: "Es ist langweiliger als früher!" Tatsache. Was zum Beispiel sehr langweilig ist, ist, dass Schmidt nicht einfach mal einen Preis nicht bekommt. "Der Preis für das Lebenswerk geht nicht an Helmut Schmidt!" - Damit könnte man heute wirklich mal jemanden umhauen.
Vorbild für einen solchen Überraschungs-Coup könnte Alexander Osang sein, der für seine Angela-Merkel-Reportage im Spiegel den Kisch-, also Nannen-Reportage-Preis nicht bekam. Möglicherweise irgendwie vielleicht doch quasi zu Unrecht, wie man aus Johanna Adorjáns FAS-Preisverleihungstext lesen kann, die sich darin auch um denkwürdige Jury-Kriterien kümmert. Zum Beispiel, frei zusammengefasst: Osang hat ja schon mal den besten Text geschrieben, da kann er ja nicht schon wieder den besten Text schreiben.
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Claudius Seidl blickt - ebenfalls in der FAS (S. 33) - von einer anderen Warte auf die Reportagesektion des Nannen-Preises: Er kritisiert, gerade für Reportagepreise nominierte Journalisten erlägen allzu häufig "den Versuchungen, mit den Mitteln der Sprache zu blenden, zu bluffen, zu tricksen", bis die Welt, die man zeigen wolle, nach einer richtig guten Geschichte klinge. Und dann nennt er Beispiele. Eines davon ist Osangs Merkel-Porträt.
"Toll geschrieben, denkt man sich, (...), es liest sich ja sehr flüssig bis zu dem Moment, in dem es dem Leser auffällt, dass der Autor sich die Freiheit nimmt, in nahezu jeden Kopf, der im Weg herumsteht, hineinzukriechen und von dort drinnen zu berichten, wie es sich so denkt und fühlt in diesem Kopf."
Seidl meint (wie man behaupten kann, wenn man kurz in seinen Kopf hineinkriecht) Sätze wie die folgenden aus Osangs Text, die man allerdings erst findet, wenn man recht lange nach ihnen sucht: "Angela Merkel weiß, dass sich die Dinge verselbständigen können, ist aber grundsätzlich dankbar für einen reibungslosen Ablauf." Oder: "Sie will kein Buch über sich, sie will kein Gemälde, sie will keine großen Reden halten, sie will allein einkaufen gehen."
"Das", schreibt Seidl, "sieht auf den ersten Blick so aus wie echte Literatur. Und ist noch nicht einmal seriöser Journalismus." Die Vermutung muss erlaubt sein, dass die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung dieses unseriöse Stück Journalismus schon auch in einer hinteren Beilage weggedruckt hätte, wenn Osang es nur für sie geschrieben hätte.
Aber wo wir schon bei unseriösem Journalismus sind: Kommen wir zur Berichterstattung über die Wahl in Nordrhein-Westfalen am Sonntag. Wahlabend ist, wenn das ZDF zum SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel schaltet, der im Angesicht des Wahlergebnisses in Nordrhein-Westfalen der CDU eines mitgibt. In der ARD bespricht sich Ulrich Deppendorf vom Ersten wenig später mit der Grünen-Politikerin Claudia Roth, wird aber plötzlich ganz hibbelig, unterbricht sie und sagt sinngemäß: Jetzt aber schnell mal ab nach Berlin, wo Sigmar Gabriel jetzt seinen Senf ausdrücken möchte. Und dann kommt dessen aufgezeichnetes Statement, das im ZDF schon längst zu sehen gewesen war. Hä?
Wahlabend ist aber vor allem auch, wenn Frank Plasberg "Hart aber fair" nun auch noch in der "Tagesschau" spielen darf. Der Tagesspiegel protokolliert das Frage-Antwort-Spiel, dessen Kern wie immer bei Plasberg die Fragen sind:
"'Werden Sie nun fürs Rumeiern belohnt, Frau Kraft', fragte er die SPD-Spitzenkandidaten, wollte von der Grünen-Politikerin Sylvia Löhrmann wissen, ob 'Schwarz-Gelb sexy ist', und ließ bei Andreas Pinkwart von der FDP auch bei der dritten ausweichenden Antwort zum Thema Westerwelle-Malus nicht locker."
Kann man sicher so machen - wenn die "Tagesschau" in Zukunft nicht mehr über Wahlen informieren will, sondern darüber, welche frechen Formulierungen sich Frank Plasberg wieder ausgedacht hat
Ähnlich quälend sind nur manche Interviewpassagen mit - Helmut Schmidt. Nicht nur beim Nannen-Preis las er den "Journalisten die Leviten" (Welt Online). Die WAMS gibt es sich gleich verschärft und interviewt ihn gleich nochmal (interessanter WAMS-Titelkopf übrigens: "Zwei große Deutsche exklusiv: Helmut Kohl über Europa, Helmut Schmidt über Homosexualität"). Im Drüberrauchen korrigiert er dort mal eben diesen und natürlich auch jenen gravierenden historischen Irrtum, antwortet aber vor allem auch auf die Frage, ob er "ab und zu ins Internet" gehe. Er sagt:
Nein. Das machen meine Mitarbeiter. Wenn es um etwas Unwichtiges geht, kann man das auch verwenden. Aber wenn etwas wichtig ist, dann verlange ich, dass es woanders nachgeprüft wird. Es steht so viel Falsches in Wikipedia oder sonst wo online, da bin ich sehr zurückhaltend. Aber das ist natürlich die altmodische Attitüde eines älteren Mannes. (...)Welt am Sonntag: Aber es steht auch viel Quatsch in gedruckten Zeitungen. Schmidt: Das kann man wohl sagen. Welt am Sonntag: Vielleicht ist der Quatsch das Problem und weniger das Medium.Schmidt: Es steht nicht so viel Quatsch in den gedruckten Zeitungen wie in deren Online-Kanälen.
Usw., was Schmidt ja nun eigentlich nicht wissen kann, wenn er gar nicht ins Internet geht. Vorschlag daher: Könnte das seltsam substanzlose Grundsatz-Bashing des Internets einfach mal aufhören, bitte? Dirk von Gehlen wünscht sich das auch, wie man behaupten kann, wenn man einfach mal in seinen Kopf kriecht und schaut, was er so denkt: Der Redaktionsleiter von jetzt.de, dem Onlinejugendmagazin der Süddeutschen Zeitung, hat sich für die Sueddeutsche.de-Serie "Wozu noch Journalismus?" aufs Mothership begeben und schreibt: "Dass Amateure in ihrer Branche auftauchen, (...) verändert die Bedingungen, aber es stellt das System nicht in Frage."
Also doch: Umbruch, nicht Krise. Das kann man zu guter letzt auch dem Nannen-Preis-Text auf der Medienseite der Süddeutschen (S. 15) entnehmen:
Es geht also aufwärts. Es gibt wieder was zu saufen."Zum Schluss - also nicht ganz zum Schluss, da musste der tapfere Party-Pianist Götz Östlind einer Horde so sangesunfähiger wie angetrunkener Gäste gegen Protest erklären, dass "My Way" wirklich sein letztes Lied sei."
Altpapierkorb+++ Ach, das ist ja interessant: Die Medienkolumne "Altpapier" ist wieder da - schrieben vergangene Woche der Tagesspiegel, Kress, Meedia oder das PDF-Mag ViSdP, wo es in der Rubrik "Der Tipp" hieß: "Noch keinen Urlaub gebucht? Fahren Sie nach Griechenland! Wunderschön dort, nette Menschen, blaues Meer. Außerdem könnten die ja auch mal nette Deutsche kennenlernen. Yassas! +++ Das Altpapier ist zurück. Ab Montag erscheint die Medienkolumne von Christian Bartels, Matthias Dell, Klaus Raab und Henrik Schmitz nach zwei Monaten Pause nun bei EVANGELISCH.DE." Womit wir uns hiermit wohl vorgestellt hätten. +++ DWDL veröffentlichte übrigens ebenfalls einen schönen Beitrag zum Themenfeld Medienkritik und Griechenland: In Athen brannte ein Auto von RTL +++
+++ Die Medienkrise ist kein Unterhaltungsprogramm - außer bei Jon Stewart, in dessen "Daily Show" vergangene Woche der Newsweek-Mann Jon Meacham zu Gast war (im Video etwa ab Minute 14), der sich als Medienkrisenversteher zu jener Medienkrise äußerte, die soeben seine Publikation verspeist. +++ Der Spiegel befragt "Washington Post"-Chef Marcus Brauchli zur Medienkrise (S. 140 ff.) ++++++ Politisches - also z.T. eher im weiteren Sinn: Wird Ulrich Reitz von er WAZ neuer Regierungssprecher? Die taz +++ Die Frankfurter Rundschau über einen Journalisten, der in Texas bei Hinrichtungen schreibt +++ Und die verschwesterte Berliner Zeitung online über Crowdpark.de - ein Wahlausgangwettportal ++++++ Im Fernsehen: der Amphibienfilm "Anonyma" (TAZ), "Der Bulle und das Landei" (FAZ, nur gedruckt, S. 31), eine Afrikareise dreier ZDF-Journalisten (Tagesspiegel) und "Überall nur nicht hier" (ebenfalls im Tagesspiegel). Und vom Wochenende: Eckhard von Hirschhausens "Frag doch mal die Maus"-Premiere im Ersten besprechen die SZ (S. 15) und Spiegel Online ++++++ Der letzte Bundesligaspieltag bedeutete am Wochenende Fußball auch auf den Medienseiten: Die FAZ ließ einen Fußballreporter ans Thema Radioreportage, die Berliner Zeitung widmete sich der ARD-Bundesliga-Hörfunkkonferenz, die Süddeutsche interviewte Günter Netzer zu seiner Vergangenheit als Fußballfernsehpartner von Gerhard Delling, die TAZ traf Stadionreporterin Sabine Töpperwien und "raufte sich" an anderer Stelle über ihr Wirken "den Kopf", und der Tagesspiegel blickte zurück auf eine Saison voller Bundesliga im Fernsehen. Und auch Talkshowmoderatorin Anne Will ("Anne Will"), die ehemalige "Sportschau"-Moderatorin, kam zum Thema Fußball zu Wort: Im Interview mit u.a. SZ-Chefredakteur Hans-Werner Kilz, etwas vergraben tief im Sportteil, während den prominenten Interviewplatz auf der letzten Seite des "SZ Wochenende" die andere große Frau des Politikergequatsches bekam: Angela Merkel. ++++++ Kilz? Kilz? Kilz? Der Typ aus dem Fernsehen? Als SZ-Chefredakteur scheidet er demnächst aus, ist aber als Moderator einer politischen Talkshow bei Sat.1 im Gespräch. Spiegel Online schreibt: "Für den 66-jährigen Chefredakteur der 'SZ' heißt es nun: TV-Studio statt Ruhestand." Quelle: Der Spiegel. Der schreibt allerdings eigentlich etwas anderes (hier die Vorabmeldung): "Kilz, 66, sei derzeit in Gesprächen mit ProSiebenSat.1-Chef Thomas Ebeling". Diese seien "ganz am Anfang". Also eher... mit Fragezeichen +++ Und weil sonst ja offenbar keiner was zu sagen hat - noch eine Talkerin: Maybrit Illner sagt im Interview mit der Welt am Sonntag, dass zu schnippisch über Talkshows gesprochen werde +++ Ups. +++
Das Altpapier stapelt sich am Dienstag wieder um - oder gegen - 9 Uhr.