Seit dem Ende des Kosovo-Kriegs im Juni 1999 sind Roma, aber auch Aschkali und Kosovo-Ägypter Opfer der schwersten Verfolgung dieser Minderheiten seit dem Zweiten Weltkrieg geworden. Von den 120.000 Menschen, die vor dem Krieg in der Region lebten, sind mehr als 100.000 vertrieben worden. Tausende von Häusern und ganze Dörfer sind von radikalen Albanern systematisch zerstört worden. Die Gesellschaft für bedrohte Völker spricht von 14.000 zerstörten Häusern.
Nachdem dieser Pogrom von der internationalen Öffentlichkeit zunächst kaum zur Kenntnis genommen wurde, werden nun die bevorstehenden Abschiebungen von Flüchtlingen aus Deutschland und anderen Aufnahmeländern zunehmend diskutiert.
Jetzt nach Kosovo zu reisen, ist etwas vollkommen anderes als im Jahr 2000, als ich kurz nach dem Kriegsende und den Vertreibungen versuchte, die Lage von Roma, Aschkali und Ägyptern zu dokumentieren. Die Zahl neu gebauter Häuser ist verblüffend; von Serbien kommend sehen wir kaum ein Haus, das älter wirkt als fünf Jahre. Auch die vielen Autos überraschen, seien es fahrende auf den Straßen, seien es Schrotthaufen am Rand.
Gleichzeitig mit uns hielt sich die Delegation des Innenausschusses des Deutschen Bundestages in Kosovo auf; wir konnten den Ausschuss auf seiner Fahrt nach Mitrovica begleiten und zusammen das Lager Osterode im serbischen Teil der Stadt und das ehemalige Roma-Viertel im kosovarischen Teil besuchen.
Wohnen auf verseuchtem Gelände
Osterode ist nach wie vor ein Brennpunkt: Eigentlich als Übergangslösung für die aus dem Roma-Viertel vertriebenen Roma-Familien in einem vormals von KFOR-Truppen genutzten Gelände gedacht, sind die Familien jetzt seit nahezu zehn Jahren auf einem extrem blei- und schwermetallverseuchtem Gelände untergebracht - mit verheerenden Folgen für die Gesundheit der Menschen. Thomas Hammerberg, Menschenrechtskommissar des Europarates, nennt dieses Lager "das schwerwiegendste humanitäre und umweltpolitische Problem in Europa".
Die Hauptursache für die Verseuchung nicht nur des Lagergeländes in Osterrode und Cesmin Lug, ist nach wie vor die nicht sanierte Halde. Diese Halde vergiftet nicht nur die Familien in den beiden Lagern, sondern alle Bewohner Mitrovicas, Serben ebenso wie Albaner. Mitarbeiter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die für mehrere Monate in Mitrovica arbeiteten, berichten, dass sie trotz vorsichtiger und soweit irgend möglich gesunder Lebensweise in kurzer Zeit erhöhte Bleiwerte im Blut hatten und diese hohen Bleiwerte bis heute nachweisbar sind.
Es ist unbegreiflich, dass die internationale Gemeinschaft zwar die Bleiminen geschlossen hat, nachdem bei KFOR-Truppen erhöhte Bleiwerte festgestellt wurden, jedoch nie eine Sanierung der Abraumhalde durchgeführt wurde. Dies ist zweifellos eine Aufgabe für die internationale Gemeinschaft, und Deutschland sollte hier eine führende Rolle spielen. Dies wäre ein wirklicher Beitrag zur Annäherung der gespaltenen Stadt, denn beide Teile, Serben wie Albaner, müssen hier kooperieren, alle Einwohner Mitrovicas würden profitieren, und schlussendlich ist die Sanierung dieses und weiterer Gelände Voraussetzung für die zukünftige Ansiedlung von neuen Wirtschaftsbetrieben.
Bitte des Bürgermeister: keine weiteren Abschiebungen
Zusammen mit der lokalen Vertreterin der OSZE sahen wir das Roma-Viertel in Mitrovica. Diese Mahala war 1999 von Albanern zerstört worden, die damals 8.000 Bewohner flüchteten, zum Teil in die umliegenden Staaten, zum Teil in den serbischen Teil Mitrovicas. Anschließend wurden die zerstörten Häuser von der KFOR (!) endgültig dem Erdboden gleichgemacht.
Heute sind dort von internationalen Organisationen einige Häuser für einzelne Familien wieder aufgebaut worden, außerdem mehrere Apartment-Blocks. Alle diese Häuser wurden für Vertriebene innerhalb Kosovos und Serbiens errichtet und nicht für eventuelle Rückkehrer aus Drittländern wie Deutschland.
Auch wenn jetzt durch die United States Agency for International Development (USAID, Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung) und mithilfe der Europäischen Union weitere Häuser gebaut werden, sind diese ausschließlich für die Bewohner in den Lagern Osterode und Cesim Lug geplant. Nicht zuletzt deshalb hat der Oberbürgermeister von Mitrovica gegenüber der deutschen Delegation erklärt, man solle von weiteren Abschiebungen Abstand nehmen, denn die Stadt könne die bestehenden Probleme nur sehr schwer lösen und auf keinen Fall weitere Rückkehrer aufnehmen.
Kilometerlanger Schulweg
Obwohl in der Mahala gebaut wird, bleibt festzuhalten, dass nur ein kleiner Teil der ursprünglichen Nachbarschaft überhaupt wieder hergestellt wird. Die ursprüngliche Fläche dieses Stadtviertels war um fast zwei Drittel größer – heute zieht sich ein Park entlang dem Fluss Ibar, das Parkgelände war zuvor Teil des Roma-Viertels. Andere Teile sind Brachland, das nicht in die Planungen für den Wiederaufbau des Viertels einbezogen wurde.
Eine albanische Schule ist in der Nähe, die meisten Kinder jedoch sollten in die Schule im serbischen Teil Mitrovicas gehen, die einige Kilometer entfernt ist. Das bedeutet, dass die Kinder einerseits von Albanern diskriminiert werden, weil sie die serbische Schule besuchen wollen, und andererseits auch im serbischen Teil nicht willkommen sind, weil sie aus dem albanischen Teil der Stadt kommen. Im Ergebnis gehen kaum Kinder zur Schule, der Zugang zu Bildung ist bis auf Weiteres versperrt.
Unicef und andere Institutionen schätzen, dass nur ein sehr geringer Teil der Kinder sich überhaupt binnen eines Jahres in das kosovarische Schulsystem eingliedert. Die desolate Lage, in der sich die abgeschobenen Familien befinden, führt außerdem dazu, dass innerhalb von wenigen Wochen die meisten von ihnen - man schätzt mindestens 70 Prozent - den Kosovo wieder verlassen, zunächst in Richtung Serbien oder Mazedonien, um dann wieder nach Westeuropa zurückzukehren.
Ohne Kleinkind kein Anspruch auf Hilfe
In Plementina, in Fushkosove (Kosovo Polje) und anderen Orten trafen wir eine Reihe von Familien, die aus Deutschland abgeschoben wurden. In der Regel haben sie bei Verwandten unterkommen können, oft nur für eine befristete Zeit. Wenn in den Familien kein Kind unter fünf Jahren ist, besteht für die gesamte Familie kein Anspruch auf soziale Hilfen.
Bei vielen Familien sind Armut und Elend unmittelbar zu sehen. Auch die Rückkehrprojekte, die von einigen Bundesländern, dem Diakonischen Werk Trier oder der Arbeiterwohlfahrt angeboten werden, können kaum eine nachhaltige Re-Integration bewirken. Die Hilfen sind auf sechs Monate befristet, und wer in dieser Zeit keine Arbeit findet, bleibt völlig mittellos auf sich gestellt.
Alle Rückkehrer aus Deutschland, vor allem die Kinder und Jugendlichen, befinden sich noch nach Wochen und Monaten in einer Art Schockzustand. Die Vorstellung, aus ihrer Heimat Deutschland in ein Land abgeschoben zu sein, in dem sie weder willkommen sind noch mit dem sie irgendetwas verbindet, ist für sie kaum zu ertragen.
Jugendliche mit hessischem Akzent
Hinzu kommt, dass viele Familienangehörige von den Verfolgungen schwer traumatisiert sind oder unter chronischen Krankheiten leiden. Beides kann schnell zur existenziellen Belastung für die Familien werden, wenn etwa Insulin gekauft werden muss, die Familien aber über kein regelmäßiges Einkommen verfügen. Wenn dann die Erwachsenen nicht Arbeit als Tagelöhner finden können - und im Winter brauchte sie niemand -, dann muss am Essen gespart werden, um die Medikamente kaufen zu können.
Wirklich schlimm aber ist es, Kinder und Jugendliche zu treffen, die in Deutschland zur Schule gegangen sind, die mit dem Akzent ihrer Heimatorte in Niedersachsen oder Hessen Deutsch sprechen, und die für sich keine Chance in Kosovo sehen. Wer die in Deutschland lebenden Menschen jetzt in den Kosovo abschieben will, sollte nur eines tun: diesen Kindern in die Augen sehen.
Herbert Heuss ist Politikwissenschaftler und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Gesellschaft für Antiziganismusforschung e.V.