Dieser Tage bei einer hochkarätigen Podiumsdiskussion der "Frankfurter Rundschau". Es ging um die Zukunft der Stadt Frankfurt, es waren kluge Männer eingeladen, der Stadtplaner Albert Speer, der Chef des Variétés "Tigerpalast", Johnny Klinke, der Stadtkämmerer. Und es waren fast 100 engagierte Frankfurter Bürger gekommen, die darüber reden wollten, ob ihre Torten-Grundstücke am Mainufer wirklich nur an reiche Yuppies gehen sollen oder ob es - O-Ton Speer - wirklich "Frankfurt für alle" geben kann.
100 Gäste – super, oder? Fand der Moderator auch, aber andererseits: "Es wundert mich, dass so viele gekommen sind, wo doch heute abend Champions League ist." Und ließ sich per iPhone ständig die Spielergebnisse durch geben, so dass der ganze Abend in Fußballrhetorik vor sich hin schwitzte.
Wird nicht mehr Erste Liga, diese Stadt, und damals 1959, als die Eintracht Deutscher Meister wurde... Ne, war nicht Frankfurt für alle. Mehr so: Fußball für Loser. Denn die Angesagten, die saßen ja daheim vorm Fernseher. Man kam sich ungefähr so doof vor, wie wenn der Pfarrer sonntags sagt, das sei ja toll, dass bei dem schönen Wetter überhaupt einer kommt.
Die Themen der Macht: Autos, Bundeswehr und Fußball
Leute, das nervt! Erstens: Wer Fußball gucken will, soll Fußball gucken – aber bitte, auch während der WM: Es gibt tatsächlich noch andere Menschen, die sich für andere Themen interessieren. Zweitens: Fußball-Metaphern aller Art sind das langweiligste, was es gibt. Und dennoch werden wir sie in den nächsten Wochen hören bis zum Abwinken.
Zwar sind ein paar der ganz harten Fußball-Senioren in der Politik unlängst ausgewechselt worden. Franz Müntefering zum Beispiel: "Schießen, nicht reden". Oder Peter Struck, der in seinem letzten großen Interview noch mal betonte, dass er Angela Merkel nun mal "nicht leiden" könne. Wohingegen er Ex-Finanzminister Waigel, ebenfalls aus dem Unionslager, immer geschätzt habe: "Wir haben zusammen Fußball gespielt, Bier getrunken und uns geduzt." So ist es halt, wenn man nicht Fußball spielt. Dann wird man nicht geduzt und nicht gemocht. Das muss man dann aushalten. Oder man paukt, wie eine Hamburger Karriere-Trainerin namens "Sheboss" allen Ernstes rät, Fußball wie Englisch-Vokabeln. Denn sie weiß: "Fußball, Autos, Bundeswehr – das sind die Themen der Macht."
Da ist schon was dran. Als letzten Herbst der neue amerikanische Botschafter in Berlin vorgestellt wurde, wusste der Deutschlandfunk voller Ehrfurcht zu berichten, der Kerl besitze nicht nur einen eigenen Fußballclub. Nein, er könne sogar auf deutsch das passive Abseits erklären. Wow. Zwar hätte mich als Staatsbürgerin eher beruhigt, wenn er das passive Wahlrecht und die Fünfprozentklausel hätte erklären können. Aber klar, mit der Abseitsregel wird man was in Berlin.
Frauen in die Tippgemeinschaften?
Und jetzt frage ich mich ernsthaft: Soll ich meine wertvolle Lebenszeit damit verbringen, Karteikarten mit Spiel-Ergebnissen auswendig zu lernen wie Englisch-Vokabeln? Oder, wie die neue "Freundin" im Editorial empfiehlt, Mannschafts-Aufstellungen pauken? Finden meine Chefs mich dann toll, werde ich in 20 Jahren Bundeskanzlerin? Oder halte ich mich lieber an meinen netten Kollegen, der auch keine Ahnung von Fußball hat, sich aber für antike Armbanduhren interessiert? Oder an meine Büro-Nachbarin, die montags nicht von der Bundesliga erzählt, sondern von dem Sportboot-Führerschein, für den sie gerade lernt? Mit denen kann ich locker plaudern, ohne vorher Karteikarten auswendig zu lernen. Dann werde halt weder ich noch he noch she jemals Boss. Dafür haben wir nette Gespräche.
Für die Fußball-WM, riet die "Sheboss"-Trainerin, sollten Frauen sich beizeiten in die Tippgemeinschaft eintragen, auch wenn sie nix davon verstehen. Verschafft Ansehen im Betrieb. Das werd ich dann mal machen, beim Tippen schadet komplette Ignoranz ja eh nichts, wie man aus dem Bereich der Aktien-Spekulation weiß. Da liegen bekanntlich Weißkopfkapuzineraffen um 30 Prozent besser als studierte Broker.
Aber das mit den Karteikarten lass ich mal schön bleiben, das hat schon beim Englisch-Lernen nicht richtig funktioniert. Drum werde ich ja auch keine US-Botschafterin, ob mit oder ohne Fußball-Kenntnisse. Ich habe auch zu wenig Geld, um mir einen Fußball-Club zu kaufen. Und dass Herr Struck mich in diesem Leben nicht mehr duzen wird – da lege ich ganz besonderen Wert drauf.
Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von "chrismon", Chefredakteurin von evangelisch.de und Mutter von zwei Kindern. www.ursulaott.de.
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