Die Fenster sind vernagelt, viele Scheiben blind. In der Brückenstraße in Niederschöneweide weit im Osten Berlins hat sich der Leerstand eingenistet. Bunt glitzert es nur noch aus den Schaufenstern der Nagelstudios, gleich drei Stück sind es auf 500 Metern. Am Vorabend des 1. Mai werden hier Welten aufeinanderprallen, Rechts und Links sich begegnen und diese Straße für sich reklamieren. Noch ist alles ruhig. Auch an einem Morgen in einer Raucherkneipe nahe dem Bahnhof Schöneweide.
Der einjährige David robbt über die Theke der Kneipe. Er greift nach allem, was dort liegt: Zigaretten, Gläser, Feuerzeug. Seine Mutter schaut gedankenverloren in den Kaffeebecher. "Haste jesehen, gestern war allet pink beim Henker", sagt sie so nebenbei. Die Wirtin nickt wissend. Auf dem Weg zum Jobcenter, erzählt ihre Besucherin, habe sie die rosa Farbe an der Fassade der Kneipe "Zum Henker", die ganz in der Nähe liegt, bemerkt. "Dit is doch alles für den 30. April. Damit se auch ja alle wissen, wo se hinsollen", sagt die Wirtin gleichgültig.
Der "Henker" gegenüber von Gysis Wahlkreisbüro
"Se", das sind die Linken. Der 30. April ist Hitlers Todestag. Und weil Neonazis sich gern an diesem Tag versammeln, haben die Antifaschisten in Niederschöneweide zum Protest gegen "Nazi-Kneipen" wie den "Henker" in der Brückenstraße aufgerufen.
Die Kneipe "Zum Henker" gilt seit ihrer Eröffnung Anfang 2009 als einschlägiger Treffpunkt der rechten Szene - in Berlin und darüber hinaus. Besucher trinken dort durchaus nicht nur ihr Feierabendbier: Etwa 60 Vorfälle rassistischer, antisemitischer, schwulenfeindlicher oder rechtsextremer Natur zählte die Opferorganisation "Reachout" im direkten Umfeld des "Henkers" allein 2009, mehrheitlich Propagandadelikte, aber auch tätliche Angriffe.
Das Lokal (Bild links) ist nicht das erste seiner Art hier. Seit Jahren quält sich der Ortsteil mit seinem rechten Image, seit Jahren gibt es am Rande von Aufmärschen und Gegenprotesten Zusammenstöße der Extremen.
Die Brückenstraße selbst spannt sich auch zwischen Gegensätzen, ohne sie zu verbinden: Ganz am Ende der Straße der "Henker" und am Anfang der Straße das Ortsbüro der Linkspartei. Es ist das Wahlkreisbüro von Gregor Gysi. Manchmal gibt es Veranstaltungen, in denen zum Beispiel der Nahost-Konflikt diskutiert wird. Dann steht ein Polizeiwagen in Rufnähe.
"Wir wollen hier solches Gedankengut nicht"
"Solange wir das Geld für das Ortsbüro haben, werden wir den Standort nicht aufgeben", sagt Hans Erxleben von den Linken des Bezirks. Von den regelmäßigen Steinwürfen und Schmierereien auf den Fenstern lasse man sich nicht verschrecken, das sei schließlich auch ein Signal.
Erxleben ist Sprecher des "Bündnisses für Demokratie und Toleranz" in Treptow-Köpenick. Die Initiative von Anwohnern und Politikern will den Bezirk von seinem Image als Nazi-Hort befreien und friedlichen Protest organisieren. Erxleben ist es nicht egal, wenn sich die braune Trostlosigkeit im Alltag von Niederschöneweide breitmacht. Er ruft die Polizei, wenn rechtsextreme Wortführer der Nazis in den "Henker" kommen, um sich dort vor Kameraden schon mal für den 1. Mai "warmzureden".
Die Neonazis haben für diesen Tag einen Aufmarsch durch Prenzlauer Berg angemeldet. Linke Gruppen haben zur Blockade aufgerufen. Der "Henker" ist auch aus Sicht des Verfassungsschutzes eine wichtige Schaltstelle für die rechtsextreme Szene. "Wir wollen hier kein solches Gedankengut, wir wollen diese Kneipe nicht", sagt Erxleben.
In der Straße außerhalb des Linke-Büros scheinen sich die Bewohner an den "Henker" gewöhnt zu haben. Eine Frau trägt ihre Einkaufstüten heim. Seit vier Jahren wohne sie schon hier, wie sie sagt: "gerne". Ob sie sich durch den "Henker" gar nicht gestört fühlt? "Ach, davon kriegt man doch nicht viel mit." Dann muss sie schnell weiter. Sie ist nicht die einzige, die so reagiert. Passanten winken ab, sie wissen, hören, sehen angeblich nichts.
Rotes Licht hinter milchigem Sichtschutz
Die Fenster des "Henkers" sind mit milchigem, stabilem Sichtschutz verklebt, die Leuchtschilder links und rechts neben dem Namenschild in Frakturschrift abmontiert. An einem Zettel auf der ebenfalls blickdichten Tür stehen die Öffnungszeiten sowie der Hinweis: Kneipe über 18, Altersnachweis erforderlich, keine Kinder.
Was tagsüber aussieht wie ein weiteres gescheitertes Geschäft, erwacht am Abend zum Leben, wenn auch nur schwer erkennbar durch ein tiefrotes Licht, das durch Jalousienspalten glimmt. Gedämpfte Stimmen dringen heraus. In dem düsteren Raum stehen Kerzen auf rustikalen Holztischen, ein Tiergeweih hängt an der Wand, Wikinger-Leuchter mit Lampen in Kerzenoptik von der Decke. An einem Holzbalken baumelt der obligatorische Strick. Aus einer Stereoanlage dröhnt Aggro-Metall.
Im Hintergrund rückt ein vierköpfiges Grüppchen zusammen. Die Kahlköpfigen werfen einen abschätzigen Blick auf die Fremde in der Eingangstür und beschließen dann, sie zu ignorieren. Die dunklen Augen des Tresenmanns blicken dagegen gespannt.
Neonazi-Kneipe "eine sehr unangenehme Angelegenheit"
"Vorsicht! Feind hört mit!" steht auf einem Schild und der kahlköpfige Wirt scheint das sehr zu verinnerlichen. Er lässt sich nicht befragen. Da wisse man nie, was hinterher berichtet werde. Er lächelt höflich und faltet die Hände. "Sie können aber auf unserer Internetseite nachlesen, was wir so politisch über dieses und jenes denken."
Der "Henker" ist ein Geist, den der Bezirk nicht recht loswird. Einen Sammelpunkt der Neonaziszene dort zu haben, sei schon "eine sehr unangenehme Angelegenheit", hält sich ein Sprecher des Bezirksamts von Treptow-Köpenick wortkarg. Aber eine Gewerbeerlaubnis sei nicht an politische Gesinnungen gebunden. Und die Demonstration, die vielleicht wieder eskalieren wird, sei eine "polizeiliche Angelegenheit". Man ist also nicht direkt zuständig. Die Bezirksbürgermeisterin, die SPD-Frau Gabriele Schöttler, will sich jedenfalls ganz privat als Bürgerin an der Demo beteiligen.