Gesundheitskosten: Kleine Zahlen übersieht man leicht

Gesundheitskosten: Kleine Zahlen übersieht man leicht
Gesundheit ist teuer, heißt es pauschal. Doch wer kennt schon die wahren Ausgabenverhältnisse? Bereiche wie die häusliche Krankenpflege kommen in den Statistiken gar nicht vor und bei der Verteilung von Geldern meistens zu kurz.
19.04.2010
Von Katharina Weyandt

Die Zahl ist so klein, dass sie in den meisten Schaubildern zum Gesundheitswesen gar nicht vorkommt: Die Kosten für die häusliche Krankenpflege in Deutschland. Das ist die Leistung, die der Arzt verschreibt, damit zum Beispiel eine Krankenschwester in der Wohnung des Patienten Spritzen setzt, Medikamente stellt und Verbände wechselt. Das ist viel billiger als in der Klinik: Nur 1,81 Prozent ihres Budgets gaben die gesetzlichen Krankenkassen dafür im vergangen Jahr aus. Bei den Privaten wird die Zahl gleich in "Sonstiges" versteckt.

Beide Kassenarten zusammengerechnet, betrugen die Ausgaben dafür etwa 3 Milliarden Euro. Noch einmal etwa die gleiche Summe floss aus der Pflegeversicherung in die ambulante Pflege. Also dafür, dass alten Menschen, die als "pflegebedürftig" eingestuft sind, zum Beispiel bei der Körperpflege und beim Anziehen geholfen wird. Dem gegenüber stehen Kassenleistungen allein für Medikamente in Höhe von rund 33 Milliarden Euro. Um mehr als 1,5 Milliarden Euro sind sie binnen Jahresfrist gestiegen.

Fünfmal mehr Geld für Medikamente als für Pflegedienste

Während also ein Euro an einen Pflegedienst überwiesen wurde, wanderten mehr als fünf Euro in die Apotheke. "Das wusste ich nicht!" sagt Andreas Conzendorf. Er ist verblüfft. Der Pastor und Superintendent im sächsischen Chemnitz beteiligt sich an der "Woche für das Leben", der Aktion der Evangelischen und Katholischen Kirche, welche in diesem Jahr in zahlreichen Veranstaltungen "Gesunde Verhältnisse" thematisiert. "Wie gerecht ist unser Gesundheitssystem?" fragt in Chemnitz am 20. April eine Podiumsdiskussion. "Medikamentös gibt es eine Überversorgung", ist Conzendorf sich spontan sicher: "Was allein von dem Zeug weggeschmissen wird!" Ambulante Pflege, die er an seinem Schwiegervater erlebt, findet er großartig, "sonst wäre er schon Jahre tot".

Das Zahlenverhältnis, das den Pastor erstaunt, ist für Imme Lanz in Berlin Alltag. Sie führt die Geschäfte des Deutschen Evangelischen Verbands für Altenarbeit und Pflege, der Heime und Pflegedienste mit über 100.000 Mitarbeitenden vertritt. Sie sagt: "Dass die Kosten für Medikamente in Deutschland unangemessen hoch sind, ist kein Geheimnis. Daher begrüßen wir den Plan des Gesundheitsministers, hier einen Riegel vorzuschieben." Minister Rösler hatte gleich bei der Bekanntgabe der aktuellen Statistik am 10. März angekündigt, die Medikamentenausgaben begrenzen zu wollen. Der Widerstand ließ nicht lange auf sich warten: "Preisdiktat", "Dirigismus" und "planwirtschaftliche Regulierung" wirft die CDU jetzt dem Minister vor.

"baksb" berichtet auf evangelisch.de von "der Pflegefront"

Imme Lanz kämpft dagegen als Diakonie für die Menschen, die Pflege brauchen, und die sie pflegen. "Weil wir es wert sind", unter diesem Motto wurden seit einem Jahr Unterschriften gesammelt und vor der Wahl allen Fraktionen im Bundestag überreicht. Wichtigstes Ziel: die rechtlichen Grundlagen verändern, damit Pflegekräfte leistungsgerecht bezahlt werden können. Imme Lanz hofft auch auf niedrigere Arzneikosten: "Das Geld, was gespart werden kann, sollte dann sinnvoll im System verbleiben und dorthin fließen, wo es am dringendsten gebraucht wird", schlägt sie vor.

Doch so lange gerade die ambulante Pflege wirtschaftlich kleine Zahlen schreibt, wird sie leicht übersehen. Was wenig kostet, gilt wenig. Dies paradoxe Prinzip wirkt sich auch für den einzelnen aus, wie ein Kölner fast täglich erlebt, der sich um seinen alten Vater kümmert. Unter dem Pseudonym "baksb" schreibt er auf evangelisch.de über "Mein Leben zwischen Kindern, eigener Vorsorge und Pflegebedarf".

Oft hat er "Hiobsbotschaften von der Pflegefront" zu vermelden: Der Vater kann sich nicht selbst versorgen, wird dement. Die Mutter ist im Heim gestorben, das will der Sohn dem Vater auf jeden Fall ersparen. Die Schwiegermutter hat Multiple Sklerose, sitzt im Rollstuhl. Platz, um die Alten zu sich zu holen, gibt es nicht, Geld für Extras auch nicht, die drei Kinder studieren. Also kämpft er – neben seinem stressigen Dienst als Polizist - um ein Netz zuverlässiger Hilfen: Pflegedienst, Putzfrau, zwei Tage Tagespflegestätte, Demenzbetreuung… Er schafft es in den letzten Monaten, dafür zusätzlich zu den 934 Euro Rente des Vaters über 1.000 Euro aus der Pflege- und Krankenversicherung zu mobilisieren.

Pflegeheim würde trotz höherer Kosten einfach bezahlt

Was ihn immer wieder wütend macht: Das Pflegeheim mit viel höheren monatlichen Kosten von 3.500 Euro würde direkt von Sozialamt und Pflegekasse bezahlt. Er hingegen muss mit Anträgen um jeden Euro kämpfen und fürchtet die Phase, in der sein Vater an jedem Wochentag die Tagespflegestätte braucht und das Geld nicht reicht. Wie geht es weiter? Daran lässt "baksb" seine Leser teilhaben.

Warum steht die Pflege nicht mehr im Mittelpunkt? Pastor Andreas Conzendorf urteilt nüchtern mit Blick auf alle Themen der "Woche für das Leben": "Das sind nicht die großen Knaller, damit beschäftigt man sich nur in Notfällen." Auch innerkirchlich wünsche er sich mehr Aufmerksamkeit. "Aber es ist anständig, dass nicht komplett ausgewichen wird."

Die Aktionen in der "Woche für das Leben" finden sich auf der Homepage der Aktion. Tipp: Nicht alle Veranstalter haben dort ihre Termine eingetragen. Aber in der Suche unter "Woche für das Leben 2010" findet man auch alles im eigenen Ort.

Über das Thema Pflege schreibt auch unser "Pflegeprofi" in seinem Blog "Pflege einmal anders" aus dem Alltag in einem Altenpflegeheim.


Katharina Weyandt ist freie Journalistin und betreut in der evangelisch.de-Community den Kreis "Wenn die Eltern älter werden".