Zunächst einmal ein Bekenntnis. Ich habe die siebte Staffel von "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS) nicht verfolgt. Nicht eine Live-Show habe ich mir angesehen. Und doch musste ich feststellen, dass jemand, der regelmäßig Zeitung liest, im Internet unterwegs ist und den Fernseher einschaltet, an DSDS nicht vorbeikommt. Man darf beruhigt von einem medialen Trommelfeuer sprechen. Nichts, was sich zumindest einen Hauch von Boulevard gönnt (also Spiegel Online, Süddeutsche Zeitung usw.), hat DSDS ausgelassen. Und so kennt selbst wer um 20.15 Uhr nicht RTL einschaltet, Details aus dem Leben von Menowin, Mehrzad und Konsorten.
Ehrlich gesagt habe ich mich gefragt, ob RTL dieses Mal nicht einen Superstar, sondern einen Superfreak sucht. Aber vielleicht wollte Dieter Bohlen im Kreise der Kandidaten auch einfach mal als der Normalste erscheinen. Die eine Kandidatin war herzkrank und brach in der Karibik telegen zusammen. Ein anderer Kandidat musste die Show vorzeitig verlassen, weil er sich für seine Auftritte offenbar mit Koks in Fahrt bringen musste. Und bei Drogen jenseits von Bier, Schnaps und Wein hört bei DSDS der Spaß auf und fangen "Explosiv" und "Extra" an. Bei RTL gilt offenbar: Für Musik Bohlen und Schreyl, für Drogen Schrowange - wobei es auch schwer auf die Art der Abhängigkeit ankommt. Erst durch Tiger Woods werden viele Menschen erfahren haben, dass es so etwas wie Sexsucht geben soll. Bei DSDS gab es dann eine Kandidatin, die zwar nicht durch Gesang, dafür aber durch Schmink-Sucht hervorstach. Ob die Betty Ford-Klinik für diese Symptomatik eine eigene Abteilung unterhält (in der den Patientinnen dann hoffentlich rund um die Uhr die Mikrofone weggeschlossen werden!), weiß RTL allein.
Knast und kranke Tante
A propos weggeschlossen: Oberfreak der derzeitigen Staffel ist glasklar Menowin Fröhlich. 2005 schaffte er es schon mal in die Endrunde des Sangeswettbewerbs, seine Karriere dort nahm aber ein abruptes Ende, weil er wegen Körperverletzung für zwei Jahre in den Bau musste. Jetzt hilft RTL also kräftig bei der Resozialisierung, wobei der Zuschauer nicht unbedingt den Eindruck hat, dass Menowin eine wirklich gute Sozialprognose hat. Das stets gut informierte DSDS-Zentralorgan "Bild" jedenfalls berichtete, Menowin habe es auf diversen Partys krachen lassen, während er in Interviews behauptet haben soll, er habe auf dem Küchentisch seiner kranken Tante genächtigt. Da ist "Bild", bekannt für seine hohen Moralstandards, natürlich hoch empört und startet erstmals in seiner heroischen Mission als Blatt der Aufklärung und des kleinen Mannes eine "Kampagne". Und zwar gegen Menowin!
Der wiederum scheint aber durchaus begriffen zu haben, wie man das RTL-Publikum für sich gewinnt: Kranke Tante, Knastvergangenheit, drei Kinder (unehelich!). Das zieht noch besser als das Grand-Prix-der-Volksmusik-Konzept, wo einem kleinen Waisenjungen, der mit einem Hundewelpen im Arm "Mama" schallert, ein Sieg nicht zu nehmen wäre. Schon gar nicht, wenn man dem Welpen vorher noch die Pfote bricht.
Ganz spezielle Romantik
Gegen ein so ausgebufftes Früchtchen wie Menowin wird es Kandidat Mehrzad im Finale heute natürlich schwer haben. Mit nur einem unehelichen Kind und keinen bekannt gewordenen Kontakten mit der Staatsanwaltschaft ist er quasi der Langweiler vom Dienst. Ganz kampflos wollte er Menowin den DSDS-Titel dann aber wohl nicht überlassen und machte seiner Freundin im Halbfinale vor laufender Kamera einen Heiratsantrag, was für Stimmen von RTL-Zuschauerinnen sorgen dürfte, bei denen so etwas als hochromantisch durchgeht.
Dem Vernehmen nach war die diesjährige DSDS-Freakshow rein quotenmäßig die erfolgreichste aller Zeiten. Das verrät natürlich einiges über den Zustand des Publikums. Was Staffel acht angeht kann man sich eigentlich keine Steigerungen vorstellen. Livehochzeit direkt vor dem Finalsong, Herzinfarkt beim Vorsingen, Auftritt in Handschellen und Barbara Salesch neben Bohlen in der Jury? So gesehen ist DSDS sogar hoch unterhaltsam. Man muss die Realsatire nur sehen wollen!
Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für die Ressorts Medien und Kultur