Melanchthons Geburtsort pflegt Erbe des Reformators

Melanchthons Geburtsort pflegt Erbe des Reformators
Vor 450 Jahren, am 19. April 1560, starb der Reformator Philipp Melanchthon. In seinem Geburtsort Bretten im Kraichgau erinnern eine Gedenkstätte und eine Akademie an den berühmten Altphilologen, Theologen und Freund Martin Luthers.
15.04.2010
Von Alexander Lang

Der Stolz auf seine Arbeitsstätte steht Günter Frank ins Gesicht geschrieben. Im zweiten Obergeschoss des mit Stein, Glas und Stahl modern gestalteten Hauses der Europäischen Melanchthon-Akademie lässt der Reformationsexperte seinen Blick aus dem Fenster schweifen. Hinter mittelalterlichen Fachwerkhäusern im Herzen der badischen Kleinstadt Bretten bei Karlsruhe dehnt sich eine grüne Hügellandschaft aus.

Der Theologe und Philosoph Frank ist dem Geburtsort seines liebsten Forschungsobjektes ganz nah: Ein paar Schritte entfernt wurde der Reformator Philipp Melanchthon (1497-1560) geboren, an dessen 450. Todestag die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) mit dem Melanchthon-Jahr 2010 erinnert. Melanchthon starb am 19. April 1560 in Wittenberg, er liegt neben Martin Luther in der Schlosskirche begraben.

Im Stil des Historismus

Das ehemalige, nach einem Brand im Stil des Historismus wieder aufgebaute Geburtshaus von Melanchthon liegt am Marktplatz der einst kurpfälzischen 28.000-Einwohner-Stadt. Seit mehr als 100 Jahren ist es Reformationsgedenkstätte. Eingezwängt zwischen Bücherwänden hatten Kustos Frank und seine Mitarbeiter im Melanchthonhaus jahrelang über den Reformator und Universalgelehrten geforscht und versucht, das Andenken an ihn wachzuhalten.

Seit 2004 beherbergt ein Nebengebäude die Europäische Melanchthon-Akademie, die ebenfalls von Frank geleitet wird. Der Neubau bietet moderne Seminarräume für Kongresse, Ausstellungen und Vorträge. Zwei Forschungsstellen steuern die badische Landeskirche und die Deutsche Forschungsgemeinschaft bei.

Maßgeblicher Bibelübersetzer

Lange Zeit stand Philipp Melanchthon, Sohn des Rüstmeisters Georg Schwarzerdt, nicht im Rampenlicht des öffentlichen Interesses. Zu Unrecht: Schließlich war der Theologe und Humanist einer der wichtigsten Gelehrten der Neuzeit. An Martin Luthers deutschsprachiger Bibelübersetzung arbeitete er maßgeblich mit. Der stille Denker, der an der Wittenberger Universität lehrte, war ein Schul- und Bildungsreformer und verfasste wichtige religiöse und philosophische Schriften. Die Grundsätze des evangelischen Glaubens formulierte er in der "Confessio Augustana" (1530) und den "Loci Communes" (1521).

Schuld daran, dass die Bedeutung des Reformators von seiner Nachwelt bis heute unterschätzt wird, ist auch sein Freund Martin Luther (1483-1546). Der mächtige Kirchenerneuerer, der sich angriffslustig gegen Rom und seine Widersacher ins rechte Licht zu setzen wusste, stellte seinen langjährigen Weggefährten in den Schatten.

Wurzel der deutschen Nation

Auch dass Melanchthon stets auf Ausgleich und Versöhnung zwischen den Religionen und christlichen Konfessionen bedacht war, wurde ihm von seinen Kritikern entgegengehalten: Bis heute werfen ihm Vertreter eines konservativen Protestantismus vor, die eigene Sache gegenüber der katholischen Seite "verraten" zu haben, sagt Frank. Das wilhelminische Deutschland entdeckte im ausgehenden 19. Jahrhundert seine großen protestantischen Denker wieder. Der Kulturprotestantismus verklärte die Reformation als eine Wurzel der neu entstandenen deutschen Nation.

In Bretten entstand die nach der Lutherhalle in Wittenberg zweitgrößte Reformationsgedenkstätte in Deutschland. Mit dem Bau des Melanchthonhauses als reformationsgeschichtliche Gedenk- und Forschungsstätte wurde 1897 auf Anregung des Berliner Kirchenhistorikers und Archäologen Nikolaus Müller begonnen, 1903 wurde es eingeweiht. Nahezu unverändert ist der Aufbau des Hauses mit seiner neugotischen Sandsteinfassade mit Türmen und geschwungenen Torbögen: Herzstück ist im Erdgeschoss eine Gedächtnishalle mit den Statuen berühmter Reformatoren, wo heute Gottesdienste, Vorträge, Lesungen und Konzerte stattfinden.

Ökumenische Dimension

Einen besonderen Blick richteten Melanchthon-Akademie und Melanchthonhaus im Gedenkjahr mit zahlreichen Veranstaltungen auf die ökumenische Dimension des Reformators Melanchthon, sagt Frank. Der Lehrer Deutschlands ("Praeceptor Germaniae") habe die Bildungsvorstellungen in Europa durch seinen humanistischen Geist der Toleranz geprägt. Für den ins Stocken geratenen ökumenischen Prozess kann nach Franks Meinung Melanchthons Blick auf die verbindenden Traditionen der Kirchen hilfreich sein. "Protestanten und Katholiken könnten sich auf ihr 1.500 Jahre altes gemeinsames Erbe besinnen und die Kirche zukunftsfähig machen."

Das Melanchthonhaus ist dienstags bis freitags von 14 bis 17 Uhr, samstags und sonntags von 11 bis 13 Uhr und 14 bis 17 Uhr sowie an Feiertagen geöffnet.

epd