Das Mahl ist karg, die Tafel aber festlich gedeckt. Im niedersächsischen Kloster Medingen bei Uelzen löffeln Frauen dünne Gemüsebrühe. Doch dafür hat Heidrun Klukas eigens das silberne Besteck mit den Klosterinitialen von der Äbtissin geholt. "Es sind oft Genussmenschen, die fasten", sagt die 65-Jährige, die in dem evangelischen Damenstift lebt. Die Fastenbegleiterin leitet dort seit acht Jahren Frauen zum bewussten Verzicht auf Essen an. Während der traditionellen christlichen Fastenzeiten treffen sie sich zur Seminarwoche - das nächste Mal vor Ostern ab dem 25. März.
"Man wird für alles viel sensibler"
Die Frauen fasten dabei nach der Methode von Otto Buchinger (1878-1966). Diese heilmedizinische Philosophie gehört im Spektrum zwischen Wellness und Askese zu den beliebtesten, ist aber unter einigen Medizinern auch umstritten. Sie geht davon aus, dass der Körper während des Fastens entschlackt wird. Vor dem Nahrungsverzicht steht die innere Reinigung, der mit Glaubersalz oder Einläufen nachgeholfen wird. Während der Fastenkur mit dünner Suppe wird reichlich Wasser und Tee zum "Ausschwemmen" getrunken. Ein Löffel Honig im Tee bereite da schon Genuss, sagt Klukas: "Man wird für alles viel sensibler."
Religiöse Motive treten vor dem Wunsch nach Wohlbefinden zwar zunächst in den Hintergrund. Dennoch beginnt die Fastenbegleiterin jeden Morgen mit einer Andacht. Die Seminare gestaltet Klukas gemeinsam mit einer Tanzpädagogin und ihrer Tochter, einer Ärztin. So wie Gymnastik, Spaziergänge, meditativer Tanz und Klangschalen-Massage gehört das gemeinsame Tischgebet zum Tagesrhythmus. "Wir sind ein evangelisches Kloster, das merkt man, und genau das ist für viele der Reiz", sagt Klukas.
"Die Räume verändern auch den Inhalt"
Ob Fastenkur oder Schweigeseminar - auch der Paderborner Tourismusforscher Albrecht Steinecke ist der Ansicht, dass Menschen solche Angebote in Klöstern anders wahrnehmen als etwa in einem Wellnesshotel. "Der Abstand zum Alltag und seiner Routine ist größer." Immer mehr Klöster laden Steinecke zufolge in ihre Mauern ein. Zwar seien die historischen Stätten vor allem Ziel für Tagestouristen, doch nähmen inzwischen rund 300 katholische Klöster und 30 evangelische Gemeinschaften auch Übernachtungsgäste auf.
Für die Klöster bestehe die Herausforderung darin, sich zu öffnen, ohne ihre Besonderheit preiszugeben, erläutert Steinecke. "In den historischen Gebäuden weht der Hauch der Geschichte." Oft lebten bis heute Menschen darin. Für die Gäste sei das eine unbekannte Welt, in die sie wie durch ein Schlüsselloch blickten. Die Pilgerpastorin der hannoverschen Landeskirche, Maike Selmayr vom Kloster Loccum bei Nienburg, unterstreicht ebenfalls: "Die Räume verändern auch den Inhalt. Sie haben viel gesehen, gehört und ausgehalten. Es sind durchbetete Räume."
Modernes Leben in geweihten Räumen
Das Kloster Medingen mit seinen weiß getünchten Bogengängen zeugt von einer Vergangenheit, die weit über den 1788 geweihten frühklassizistischen Bau hinausgeht, der dort nach einem Brand entstand. Das ehemals katholische Zisterzienserinnen-Kloster wurde 1241 gegründet. 30 Jahre lang widersetzten sich die Klosterdamen der Anordnung des Landesherren aus dem Jahr 1524, zum lutherischen Glauben zu wechseln. Heute lebt in Medingen eine evangelische Gemeinschaft von Frauen. Frühere Ordensregeln sind lange abgeschafft, darunter auch die Pflicht, bestimmte Fastenzeiten einzuhalten.
Die Klosterdamen führen in eigenen Wohnungen in dem Komplex ein durchaus modernes Leben. Aber sie fühlen sich der Geschichte des Hauses verbunden und sind deshalb für die Seminarteilnehmerinnen beliebte Gesprächspartnerinnen. Und auch die gesamte Anlage kündet von der Tradition: Für das Festmahl zum Fastenbrechen sammeln die Frauen Kräuter im Klostergarten, der nach historischem Muster angelegt ist. Schon morgens ist für diejenigen, die im Hauptgebäude schlafen, der besondere Charakter des Hauses nicht zu überhören: Um acht schlagen die Glocken der Klosterkirche an, die noch mit einem Seilzug per Hand bedient werden.