"Es muss darum gehen, dass diejenigen, die arbeiten wollen, sich auch einbringen können", sagte die nordrhein-westfälische SPD-Chefin und Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der bevorstehenden NRW-Landtagswahl am Montag im Bayerischen Rundfunk. Im Gegensatz zu den Plänen von FDP-Chef Guido Westerwelle, der den Druck auf unwillige Langzeitarbeitslose erhöhen wolle, gehe es ihr um Freiwilligkeit. Kraft hatte am Wochenende vorgeschlagen, nicht vermittelbare Erwerbslose etwa in Altenheimen oder Sportvereinen einzusetzen.
"Es geht hier nicht um Pflichteinsätze", sagte Kraft im WDR. Vielmehr sollten Menschen, die keine Chance mehr auf dem ersten Arbeitsmarkt hätten, dauerhafte Perspektiven bekommen. Sie denke an Hartz-IV-Empfänger, die mehrfache Vermittlungshemmnisse hätten. Bei dieser Gruppe müsse man davon ausgehen, "dass sie keinen regulären Arbeitsplatz mehr finden". Ihnen solle "die Chance gegeben werden zu arbeiten, und das öffentlich finanziert und auf Dauer", sagte die Düsseldorfer Oppositionsführerin.
Keine regulären Stellen ersetzen
Zwar wollte sie zur genauen Höhe der Bezahlung nichts sagen, doch solle es für diese Arbeiten mehr geben als bei bisherigen Ein-Euro-Jobs: "Wir sind dabei, das durchzurechnen." Sie betonte, dass durch ihre Pläne keine regulären Stellen ersetzt werden sollten: "Deshalb muss über solche Arbeitsplätze vor Ort in der Kommune entschieden werden", sagte Kraft dem Bayerischen Rundfunk.
In der Bundes-SPD hatte Krafts Vorstoß Zustimmung gefunden. Kritik kam indes von der nordrhein-westfälischen CDU und von der Linkspartei. Auch die DGB-Spitze ging auf Distanz. "Unbezahlte gemeinnützige Arbeit ist kein Weg aus der Langzeitarbeitslosigkeit", sagte Bundesvorstandsmitglied Annelie Buntenbach der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Montag). Nötig sei vielmehr ein staatlich geförderter zweiter Arbeitsmarkt, auf dem sozialversicherungspflichtige Jobs entstehen, deren Bezahlung sich an den jeweiligen Mindestlöhnen orientiere.
Gewerkschaft verlangt Klarstellung
Für anständig bezahlte Jobs im zweiten Arbeitsmarkt spreche zudem, dass von unbezahlten Tätigkeiten und Ein-Euro-Jobs immer die Gefahr ausgehe, reguläre Arbeitsplätze zu verdrängen: "Deshalb muss Hannelore Kraft klarstellen, wohin die Reise gehen soll", verlangte Buntenbach.
Von einer "missverständlichen Idee" sprach die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher. Es gebe bereits eine beachtliche Zahl von gemeinnützigen Jobs in den Kommunen und oder bei den Wohlfahrtsverbänden. "Das ist nicht unbegrenzt auszudehnen", sagte Mascher. Zum einen aus Kostengründen, aber auch, weil reguläre Arbeitsplätze nicht verdrängt werden dürften. Auch sei nicht jeder Bereich sozialer Arbeit geeignet, um Langzeitarbeitslose einzusetzen: "Pflegeheime sind es ganz sicher nicht", so Mascher. Hier werde hohe fachliche und persönliche Qualifikation benötigt.
Der nordrhein-westfälische DGB-Chef Guntram Schneider (SPD) begrüßte dagegen Krafts Ideen. "Wir brauchen die Diskussion über einen dritten kommunalen Arbeitsmarkt für Menschen, die so viele Handicaps haben, dass sie in reguläre Beschäftigung nicht zu vermitteln sind", sagte Schneider den "WAZ"-Zeitungen (Montag).
EKD: Achtung der Menschenwürde
Der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, nannte die Schaffung eines gemeinnützigen Arbeitsmarktes "berechtigt". Ergänzend zur normalen Arbeitsvermittlung könnten solche Angebote funktionieren, da es eine erhebliche Anzahl von Langzeitarbeitslosen gebe, die auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht vermittelt werden könne, sagte Hüther am Montag in Berlin. Das Erwerbslosen Forum Deutschland bezeichnete Krafts Vorschläge hingegen als "Affront gegen Erwerbslose und andere Krisenverlierer".
Der amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, forderte unterdessen eine sozialpolitische Debatte, die von der Achtung der Menschenwürde geprägt ist und nach der notwendigen Weiterentwicklung des Sozialstaates fragt. Politiker gefährdeten den Sozialstaat, "wenn sie Wählerstimmen zu gewinnen versuchen, indem sie arbeitende und steuerzahlende gegen hilfsbedürftige Menschen ausspielen", sagte der rheinische Präses der "Süddeutschen Zeitung" (Montag). Viele Politiker seien sich offensichtlich nicht mehr bewusst, dass Millionen Arbeitsplätze fehlten.