Betriebsrat. Sind das nicht die älteren, gesetzten Herren, die eigentlich nur auf die Rente warten? Betriebsrat. Allein das Wort das klingt schon so altertümlich. Wie aus dem vergangenen Jahrhundert – mindestens. Wo doch heute alle hip und dynamisch sind und wahlweise in angesagten Internet Companies arbeiten oder in aufstrebenden Start-Ups. Soweit die Klischees. Kommen wir zur Realität. Denn heute kann jeder Beschäftigte schneller als ihm lieb ist in eine Situation geraten, in der er jemanden braucht, der ihn schützt, der die Rechte der Arbeitnehmer kennt, der auf Augenhöhe mit der Unternehmerseite verhandeln kann. Die Wirtschaftskrise lässt grüßen. Eine Renaissance (noch so ein altes Wort) für Betriebsräte also.
Und wie aktuell ihre Arbeit ist, davon kann Sozialsekretär Norbert Feulner vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) viel erzählen. Als in Nürnberg im vergangenen Jahr bei Quelle die Lichter für immer ausgingen, waren die Betriebsräte wichtige Ansprechpartner – natürlich für die Beschäftigten, aber auch für den Arbeitgeber. Sie haben den ersten Frust der Kollegenschaft ertragen, mussten die Beschäftigten auffangen, obwohl sie selbst nicht wussten, wie es weitergehen sollte. Mit den Niedriglöhnen bei der Drogeriekette Schlecker hat Feulner ein zweites Negativbeispiel vor der Haustür.
Appell der Kirchen
Und deswegen ist es aus seiner Sicht wichtig, dass die Beschäftigten nicht nur wählen, sondern sich auch aufstellen lassen. "In manchen Betrieben gibt es viel zu wenig Kandidaten, weil der Druck einfach zu groß ist", so seine Einschätzung. Das Unwort des Jahres 2009 lässt grüßen: "betriebsratsverseucht". Deshalb hatten jüngst auch die beiden großen Kirchen in einem Appell zu den Betriebsratswahlen aufgerufen. Ihnen geht es um eine Rückbesinnung auf die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft sowie darum, dass der Mensch Maßstab unternehmerischen Handelns sein muss.
Wie sich aus dem Appell ableiten lässt, erwartet Bewerber eine vielfältige, komplexe gleichsam gestalterische Aufgabe – zu der beileibe nicht nur die Aushandlung eines Sozialplans gehört. Mit der Verflechtung der Wirtschaft und der Globalisierung sind auch die Anforderungen an Können und Wissen von Betriebsräten gestiegen. Ein Beispiel: Betriebsrate müssen wirtschaftliche Zusammenhänge verstehen, sie müssen nicht nur die Lage des eigenen Unternehmens gut kennen, sondern einen Überblick über ihre Branche haben, um überhaupt Informationen, die die Unternehmensseite ihnen gibt, einschätzen zu können.
Weites Themenfeld
Sie müssen bereit sein, sich in gesetzliche Vorgaben einzuarbeiten, falls ein Unternehmen – wie im vergangenen Jahr oft geschehen – Kurzabeit anmelden muss. Wie läuft ein solches Verfahren ab, was bedeutet es für die Beschäftigten, was heißt es für die Gehälter? Das sind nur einige Fragen allein bei diesem Thema. Gleiches gilt für das große Feld des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), wie überhaupt der ganze Bereich Personalwesen ein heißes Thema ist. Dabei geht es längst nicht immer um die Vertretung der Arbeitnehmerschaft gegenüber der Unternehmensseite, stärker rückt auch das sogenannte Diversity-Management ins Blickfeld.
"Früher gab es traditionelle Belegschaften beispielsweise mit Facharbeitern", erklärt Winfried Heidemann von der Hans-Böckler-Stiftung. "Heute dagegen kommen viele Beschäftigte aus anderen Ländern, anderen Kulturen, da gilt es, einen Ausgleich zu finden." Oder die Bereiche Work-Life-Balance, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, der demographische Wandel. Spannende Fragen wie die nach altersgemischten Teams, nach einer Belegschaft in 10 oder 15 Jahren gilt es zu beantworten. Natürlich ist bei diesen Strategien in erster Linie die Unternehmensführung gefragt, trotzdem sind das alles Themen auch für Betriebsräte.
Neue Kompetenzen aufbauen
Das klingt jetzt nach vielen und hohen Anforderungen – doch die Arbeit in dem Gremium bringt dadurch auch Vorteile: "Betriebsräte bauen neue Kompetenzen auf, sie erwerben Wissen und Können in Bereichen, die sie vorher vielleicht noch gar nicht für erschlossen hatten", erklärt Heidemann. Zu diesen neuen Kompetenzen zählen Organisationsgeschick, Verhandlungsführung, Vermittlung, Motivation, Kommunikation.
Und je nach dem, wie groß das Unternehmen – und damit auch der Betriebsrat - ist, sind sogar regelrechte Managementqualitäten gefragt. Qualitäten also, von denen die Betriebsräte in ihrem eigentlichen Beruf profitieren können. Denn auch diese Beobachtung hat Winfried Heidemann gemacht: Viele Betriebsräte wollen ihr Amt von vornherein nur für eine gewisse Zeit ausüben, weil sie auch engagiert in ihrem Job sind und sich dort weiterentwickeln möchten.
Wem das als Gründe für Engagement im Betrieb noch nicht reicht, dem sei Folgendes gesagt: 57 Prozent der Beschäftigten arbeiten in Firmen mit mehr als zehn Beschäftigten - allerdings gibt es nur in 22 Prozent dieser Betriebe einen Betriebsrat. Anders sieht es dagegen bei Großunternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten aus: Hier liegt die Quote bei 90 Prozent. Und: Je mehr jüngere Beschäftigte eine Firma hat, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es einen Betriebsrat gibt (die Daten hat die Böckler-Stiftung zusammengetragen).
Weitere Informationen zur Betriebsratsarbeit gibt es bei der Hans-Böckler-Stifung und beim DGB.
Frauke Weber arbeitet bei evangelisch.de als Redakteurin für Wirtschaft und Magazin.