Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat ihren Stellvertreter Guido Westerwelle (FDP) nach seinen umstrittenen Äußerungen über Hartz-IV-Leistungen in die Schranken gewiesen. Damit machte sie den Politischen Aschermittwoch überraschend doch noch zu einem Schlagabtausch der schwarz-gelben Koalition. Westerwelle und CSU-Chef Horst Seehofer lieferten sich zwar keinen heftigen Wortwechsel, schossen aber verbale Spitzen ab.
Merkel bezog erstmals selbst Stellung zu Westerwelles Worten: "Ich sage das ausdrücklich. Das sind nicht meine Worte. Das ist nicht mein Duktus", sagte die CDU-Chefin in Demmin (Mecklenburg-Vorpommern). Es gebe Unterschiede zwischen kleinen Parteien und einer Volkspartei wie der CDU. "Wir interessieren uns nicht nur für Gruppen, sondern für alle."
Der Vizekanzler und FDP-Chef wich nicht einen Millimeter von seinen Äußerungen ab. Westerwelle hatte in der Debatte über angemessene Hartz-IV-Bezüge Empörung ausgelöst mit dem Satz: "Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein." CSU-Chef Horst Seehofer spottete über "Freund Guido".
Merkel: "Kritisieren, schreien, schimpfen hilft uns nicht weiter"
Westerwelle ließ nicht locker. "Ausgesprochen werden musste, was auszusprechen war", sagte er im bayerischen Straubing. "Wer hätte denn überhaupt in Deutschland diese Diskussion geführt, wenn man das Ganze in Form eines diplomatischen Bulletins verkleidet hätte?" Er sei als Außenminister im Ausland zur Diplomatie verpflichtet. "Im Inland gehöre ich weiterhin dem Verein der klaren Aussprache an."
Seehofer machte sich in Passau über Westerwelles aggressiveren Kurs gegenüber der CSU lustig. "Das ist kein Tsunami, das ist nur eine Westerwelle", sagte er. "Ich würde mir manchmal wünschen, dass die Freien Demokraten - und auch mein Freund Guido - in einigen Bereichen ein wenig mehr Gelassenheit mitbrächten." Er pflichtete Westerwelle inhaltlich bei, dass sich Leistung lohnen müsse. Ferner bekräftigte Seehofer sein Nein zur FDP-Forderung einer Kopfpauschale als Krankenkassenbeitrag.
Die Kanzlerin betonte auch mit Blick auf die schwarz-gelbe Koalition: "Kritisieren, schreien, schimpfen hilft uns nicht weiter." Sie lobte die Regierungszeit mit der SPD bis 2009. "Die große Koalition hat Wichtiges geleistet." Union und SPD hätten Deutschland durch die Zeit der Wirtschaftskrise sehr gut hindurchgeführt. "Das sollten wir auch nicht vergessen, weil es in Stunden von existenziellen Bedrohungen immer wieder darauf ankommt, dass Parteien auch zusammenarbeiten können." Merkel sprach sich gegen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn aus. Sie rief die Gewerkschaften zu maßvollen Lohnforderungen auf.
Die drei Parteichefs Merkel, Westerwelle und Seehofer wollen sich nach einem Bericht der "Financial Times Deutschland" (Donnerstag) am kommenden Mittwoch treffen. Nach dpa-Informationen ist ein solcher Termin Teil der geplanten regelmäßigen Treffen.
Grünen: "Aus dieser Ehe wird nichts mehr"
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hielt der Koalition vor, mit der Sozialdebatte Versäumnisse zu verschleiern. Merkel sehe tatenlos zu. "Das ist keine Präsidialkanzlerin, das ist eine Trivialkanzlerin." Die sozial Schwachen würden von Westerwelle zu Sündenböcken gemacht. Dabei nutzten diejenigen den Staat aus, die ihr Geld am Fiskus vorbei ins Ausland schaffen. "Das sind die wahren Sozialbetrüger und Asozialen in Deutschland", sagte Gabriel in Vilshofen.
Grünen-Bundestagsfraktionschefin Renate Künast warf Westerwelle in Biberach vor, er könne nur "zuspitzen, spalten und hetzen". Mit Blick auf die schwarz-gelbe Regierung sagte sie, nach elf Jahren Verlobungszeit und 100 Tagen an der Macht stehe fest: "Aus dieser Ehe wird nichts mehr." Grünen-Chef Cem Özdemir erteilte in Landshut der Linken eine Absage, solange bei ihnen Stasi-Vergangenheit zu DDR- Zeiten verharmlost werde.
Der designierte Linkspartei-Chef Klaus Ernst kritisierte die Sozialdemokraten. "Die SPD war der Türöffner für die unsoziale Politik." Die designierte Linkspartei-Vize Sahra Wagenknecht sagte, Westerwelle sei wegen seiner Hartz-IV-Äußerungen der "größte anzunehmende Unfall" für die Bundesregierung.
Die FDP fiel knapp drei Monate vor der Landtagswahl in Nordrhein- Westfalen im "Stern-RTL-Wahltrend" um einen weiteren Punkt auf 7 Prozent im Vergleich zur Vorwoche. Damit büßte sie gegenüber dem Bundestagswahlergebnis von 14,6 Prozent die Hälfte an Zustimmung ein.