Bente Richter muss nicht lange überlegen: "Hartz IV reicht definitiv nicht aus", sagt die 51-Jährige und nimmt einen Schluck Kaffee aus dem Becher, der vor ihr steht. Es ist Mittagszeit im "Alten Deichhaus" im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg. Hier kochen Langzeitarbeitslose für ihre Schicksalsgenossen preiswertes Mittagessen, einen Stock tiefer füllen Ein-Euro-Jobber Bedürftigen Plastiktüten mit Obst, Gemüse, Käse und Brötchen. Die meisten von ihnen sind sich einig: Die Regelsätze sind zu niedrig.
Bente Richter arbeitet seit vergangenen Sommer bei der Wilhelmsburger Tafel, zehn Monate dauert die Maßnahme. "Ein Traumjob", sagt die ehemalige Altenpflegerin mit dem kaputten Rücken. "Man tut was für Menschen, die noch ärmer dran sind." Ebenso wichtig jedoch ist das Geld: "Ohne die 132 Euro im Monat, die ich hier dazuverdienen kann, käme ich kaum aus."
Kinder kosten Geld
Vier Kinder hat Bente Richter großgezogen, ihr Jüngster ist 14 und "wächst unheimlich schnell". 359 Euro bekommt sie monatlich vom Amt für sich und 251 Euro für ihr Kind, das Kindergeld ist da schon drin. "Davon muss ich alles kaufen und sogar Strom bezahlen." Weil der so teuer geworden ist und Bente Richter in Raten nachzahlen muss, gehen allein 154 Euro im Monat für die Stromrechnung drauf. "Da bleibt nicht mehr viel!" Nur die Warmmiete wird noch gesondert überwiesen.
Früher habe es zweimal im Jahr Kleidergeld vom Amt gegeben. "Damit konnte man die Kinder vernünftig einkleiden." Heute muss Bente Richter die Kosten für Schuhe, Pullover und Winterjacke mit dem Regelsatz bestreiten - was meist den Gang zur Kleiderkammer bedeutet. Damit hat die Alleinerziehende nicht grundsätzlich ein Problem. Aber: "Manches, was man da bekommt, ist unter aller Würde."
Kleiner Zuverdienst
Hätte sie nicht den Zuverdienst durch den Ein-Euro-Job, sagt Bente Richter, müsste sie ihrem Sohn immer nur "Nein" antworten, wenn er sich etwas wünscht. "Einmal Schlittschuhlaufen in der Eishalle kostet acht bis zehn Euro." Die Regelsätze für Kinder sollten deshalb auf jeden Fall angehoben werden, fordert die Arbeitslosengeld-II-Empfängerin von den Bundesverfassungsrichtern. "Um 100 Euro im Monat." Die Richter entscheiden am Dienstag, ob die Hartz-IV-Regelsätze verfassungsgemäß sind oder nicht.
Dass Hartz IV hinten und vorne nicht reicht, meinen die meisten der Mittagstisch-Besucher an diesem kalten Tag im Februar. "Vor allem, wenn du rauchst!", ruft eine ältere Frau. Volker Schenk raucht nicht. "Ich trinke auch nicht, habe keine Frau und keine Kinder - also nichts von dem, was kostet", sagt der 47-Jährige mit einem Schmunzeln. Er komme mit seinem Geld hin, meint der ehemalige Steuerfachangestellte mit dem abgebrochenen Jurastudium. Jedoch: "Gäbe es die Tafel nicht, würde es eng werden."
Urteil aus Karlsruhe
100 bis 150 Euro im Monat spare er mit Hilfe der Lebensmittel-Tüten, die er einmal die Woche für symbolische zwei Euro erwirbt. Nur so könne er sich die 40 Euro fürs Schwimmen leisten und die 22 Euro für die Monatskarte für Bus und Bahn, sagt Schenk.
"Dass man mit dem Regelsatz nur hinkommt, weil es die Tafel gibt, ist nicht in Ordnung - aber es ist so", betont Schenk. Vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts erwartet sich das SPD-Mitglied nicht viel. "Wir haben ja das Abstandsgebot, und real sinken die Löhne." Zwar werde das Gericht entscheiden, dass die Ermittlung der derzeitigen Regelsätze rechtswidrig sei, sagt Schenk voraus. "Doch das ist keine Garantie, dass es mehr geben wird."
epd