Lob und Tadel: Journalisten über Margot Käßmann

Lob und Tadel: Journalisten über Margot Käßmann
Margot Käßmann wird von Medien stark beachtet. Wie aber bewerten Journalisten, die über Kirche berichten, die Arbeit der Ratsvorsitzenden, die nun 100 Tage im Amt ist? Evangelisch.de hat die Experten einiger Qualitätsmedien gebeten, eine erste Bilanz zu ziehen.

Reinhard Bingener, Frankfurter Allgemeine Zeitung: Margot Käßmann ist ohne Zweifel eine der faszinierendsten Gestalten der religiösen Gegenwartskultur – und das nicht erst durch die Wahl zur Ratsvorsitzenden. Sie verfügt über ein hohes Grundeinkommen an medialer Aufmerksamkeit, das sie durch geschickte Themensetzung weiter aufstockt. Das unterscheidet sie von allen anderen Geistlichen in Deutschland. Die entscheidende Frage wird sein, ob der Rummel um ihre Person auf längere Sicht der evangelischen Kirche zugute kommen wird. Bei Wolfgang Huber war weniger Rummel, aber alle Einzahlungen wurden auf dem Konto der Kirche verbucht. Mit ihren Äußerungen rund um das Thema Afghanistan hatte Frau Käßmann zwar weite Teile der öffentlichen Meinung auf ihrer Seite, aber ihr Ansehen in weiten Teilen der veröffentlichten Meinung – und, auch wenn das kaum einer öffentlich sagt: auch in der Politik – ist dadurch nicht eben gestiegen.

Herbert Gornik, Deutschlandradio Kultur: Bischöfin Dr. Margot Käßmann - was bleibt nach 100 Tagen: Furchtlos und menschenverbunden wie die zeitlose Mutter Courage, berührend und zerbrechlich wie die junge Lady Di, glaubwürdig wie die alte Mutter Teresa - was will der deutsche Protestantismus mehr, wenn er so eine Ratsvorsitzende hat. Was will der deutsche Journalismus mehr, wenn der Protestantismus ein solches Gesicht unn eine solche Stimme hat. Soviel Talkshow-Präsenz im Bischofsrang war noch nie. So viel Zustimmung beim gläubigen Fußvolk auch nicht. Hoffentlich bleibt sie weiter so sympathisch und ungeniert wadenbeißerisch in der Sache: 'Nichts ist gut in Afghanistan' oder 'Auch Kinder aus Hartz IV-Haushalten haben Anspruch auf Geldgeschenke zur Konfirmation' -jetzt fehlt nur noch ein biblischer Florettstich in die Geld-für-geklaute-Steuer-Daten-Diskussion. "Gott erhalte unsern Kaiser - und in ihm das Vaterland!" sangen und reimten die Altvorderen. Als Journalist singe ich ungeniert: "Gott erhalte die Frau Doktor - für die Kirche und das Land."

Matthias Drobinski, Süddeutsche Zeitung: Besondere Wirkung hat Margot Käßmann in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit durch die Afghanistan-Debatte entfaltet. Ich halte diese Debatte inhaltlich und in der Art, in der sie geführt wird, für notwendig. Käßmanns Vorgänger Bischof Wolfgang Huber hätte sie in seiner vorsichtigeren Art wahrscheinlich so nicht in Gang gebracht, aber auch weniger Streit provoziert. Käßmanns Aussage, sie erwarte vom Papst "ökumenisch nichts", war zwar wenig differenziert - aber dann doch auch realistisch.

Matthias Kamann, Welt, Welt am Sonntag, Berliner Morgenpost: Nimmt man die drei Stichwörter Enke, Afghanistan und Ökumene, so hat man der Bischöfin für ihren Umgang mit der Trauer um Robert Enke höchstes Lob zu zollen. Margot Käßmann hat sich der überbordenden Trauer gestellt und dieser in ihrer Predigt bändigende Form und christlichen Halt gegeben. Wenn sie es schafft, diese Kombination aus Menschennähe, Seelsorge und theologischer Formgebung zur allgemeinen Praxis in der evangelischen Kirche zu machen, wird diese neu erblühen. Wurden hier Käßmanns Stärken erkennbar, so beim Thema Afghanistan ihre Schwächen. Zwar war es richtig, dass sie auf die Defizite des Afghanistan-Einsatzes hinwies, doch hat sie ihren Eifer in Interviews nicht durch rationale Argumente gezügelt. Dass sie die alliierte Kriegsführung gegen Hitler infrage gestellt und die friedensethischen EKD-Kriterien allzu pauschal gegen den Bundeswehr-Einsatz gerichtet hat, machte sie angreifbar. Und am Schluss, als eine offizielle EKD-Stellungnahme zurückhaltender ausfallen musste als zuvor Käßmanns Bekundungen, wirkten Ratsvorsitzende und die EKD wie Katzen, die ausgerechnet zur Londoner Afghanistan-Konferenz die zuvor allzu weit ausgefahrenen Krallen einzogen. Auch bei ihren Bemerkungen zur mangelnden Ökumene-Bereitschaft des Papstes hat sie zu schnell geredet. Zwar ist es nicht Käßmanns Schuld, dass der Vatikan nicht einmal Feststellungen zu ökumenischen Blockaden akzeptieren will. Doch wenn offene Worte da nicht erwünscht sind, so wird man die wohl lassen und stattdessen auf das setzen müssen, was Käßmann gut kann: Alltagsnah beschwören, was auch in der Ökumene an Glaubensleben an der Basis möglich ist. Insgesamt dürfte mithin nun viel davon abhängen, ob sie es schafft, ihren emotionalen Aufbruch durch rationale Disziplin abzusichern, statt hier einen Gegensatz aufzumachen. Konzentrieren muss sie sich dabei auf den innerkirchlichen Reformprozess, wozu sie sich hoffentlich bald konkreter äußert.

Arnd Brummer, chrismon: Das protestantische Profil wird durch Margot Kässmann weiter geschärft. Sie macht dies komplett anders als Vorgänger Wolfgang Huber, aber nicht minder erfolgreich. Top: Die Afghanistan-Predigt mit anschliessender Debatte. Top: Das Stern-Interview. Die richtige Frau zum richtigen Zeitpunkt im richtigen Amt. Die Kommunikation nach außen funktioniert hervorragend. Vom inneren Wirken läßt sich nichts Negatives vermelden. Allerdings gehört die Anfangsphase einer Ratsperiode üblicher Weise nicht zu den Zeiten, in denen besonders zahlreiche und richtungsweisende Beschlüsse gefasst werden. Man darf gespannt sein.

hen