Es gibt ein Leben nach dem Einsatz: Interview mit Militärpfarrer

Es gibt ein Leben nach dem Einsatz: Interview mit Militärpfarrer
Die großen Linien der internationalen Strategie in Afghanistan sollen am Donnerstag in London neu festgelegt werden. Darüber diskutieren und entscheiden Politiker - ausführen müssen die Beschlüsse hinterher ganz andere. Etwa die im Rahmen der ISAF-Schutztruppe eingesetzten Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Was heißt der Einsatz für sie? Was macht er mit ihrem Leben - und dem ihrer Angehörigen? Ein Gespräch über Seelsorge und Sinnfragen, Ankommen und Alltag, Tod und Trauer.
28.01.2010
Das Interview führte Maria-Theresia Wagner

Pfarrer Wolfram Schmidt ist Militärseelsorger in der Werratal-Kaserne in Bad Salzungen und betreut seit Jahren Soldaten im Auslandseinsatz und ihre Angehörigen. 2009 hat er zum zweiten Mal die Soldaten aus Bad Salzungen nach Afghanistan begleitet.

evangelisch.de: Herr Schmidt, Sie halten auch jetzt wieder den Kontakt zu den Angehörigen der Soldaten, die in diesem Jahr in Afghanistan ums Leben gekommen sind.

Wolfram Schmidt: Trauerarbeit. Es hatte sich ergeben, dass ich nach dem Einsatz 2005 die Angehörigen von zwei Soldaten, die gestorben sind, betreut habe, in einem Fall über längere Zeit. Eine Ehefrau hat auch öffentlich gemacht, dass sie sich alleine gefühlt hat und so haben wir uns als Kirche Gedanken gemacht. Ich will nicht sagen, dass ich Trauerexperte bin, aber ich habe mir gesagt, aus dem persönlichen Erleben im Einsatz heraus, müssen wir und kann ich den Hinterbliebenen zur Seite stehen. Das hat sich nun, wo wir vier Soldaten verloren haben, fast tragisch fortgesetzt. Zwei Fragen sind wichtig: Wie gehen die anderen Soldaten damit um? Wie geht's mit den Angehörigen weiter? Wir haben vor Kurzem wieder ein Wochenende für die Hinterbliebenen organisiert - und wir merken, dass denen das gut tut. Sie wollen gerne mit anderen Angehörigen zusammenkommen, nicht nur auf eine Tasse Kaffee. Und ich bringe mich gerne ein in diese Wochenenden.

"Die Frage ist: Wie gelingt die Rückkehr ins Leben nach dem Einsatz?"


evangelisch.de: Sie kümmern sich aber auch um diejenigen, die Schwierigkeiten haben, nach dem Einsatz wieder zu Hause anzukommen.

Schmidt: Wenn sie zu mir kommen, ja. Das Ankommen ist nicht das Schwerste, der Alltag ist sofort wieder da. Die spannende Frage ist: Wie können die, die mit in Afghanistan waren, wieder zurückkehren in ihr Leben. Es gibt Einsatznachbereitungs-Seminare der Bundeswehr, damit alle rückblicken können. Und müssen - man soll da hin, muss begründen, wenn man nicht möchte. Bei diesen Seminaren bin ich dabei. Auch, weil es für mich wichtig ist, um zu verstehen. Viele stehen schnell wieder im Leben und können auch wertschätzen, was sie hier im angenehmen Deutschland haben. Aber man muss genau hinhören und hinsehen, ob jemand ein posttraumatisches Syndrom hat. Manche brauchen einen Psychologen, manche einen Arzt, manche einen Seelsorger. Wichtig ist, dass das Angebot vielfältig ist.

evangelisch.de: Was können Sie für die Soldaten tun?

Schmidt: Ich tue mich schwer damit, zu sagen, "die Soldaten". Denen, die zu mir kommen, kann ich Gespräche anbieten. Die, die mich aufsuchen, gehen vieles aus den vergangenen Monaten nochmal mit mir durch. Wir sprechen über das, was sie denken, darüber, wie es ihren Angehörigen geht. Für diejenigen, die jetzt mit mir wieder zurückgekommen sind, ist die Hemmschwelle geringer, man war ja zusammen da. Aber in Bad Salzungen werden bis Ende März noch viele wieder ankommen.

"Der Einsatz ist nicht nach drei Monaten zuende"


evangelisch.de: Und nachdem, was sie erlebt haben, vielleicht wenig Verständnis für die Banalitäten des Alltags in Deutschland haben?

Schmidt: Das ist nichts grundsätzlich Schlimmes oder Schlechtes. Es heißt, dass sich die Wertvorstellungen verschoben haben. Man müsste die Familien fragen, wie sie in der Anfangsphase mit Männern und Söhnen zurechtkommen. Viele sagen, den als banal empfundenen Alltag in Deutschland hätten sie nicht als Problem gesehen. Es ist eher nicht so, dass sie deswegen den Weg zu mir finden. Von daher bin ich auch ermutigt: Es sind Menschen, die versuchen, mit einer Erfahrung umzugehen - erstaunlicherweise. Allerdings kann auch noch einiges kommen. Fachleute sagen, dass Traumata noch viel später auftreten können. Was heißt, dass man wachsam sein muss. Der Einsatz ist nicht nach drei Monaten zu Ende. Ich will wachsam sein und das wünsche ich mir auch für die Familien. Vieles erfährt man nicht. Aber ich hoffe, dass sie Hilfe suchen, wenn sie sie brauchen.

evangelisch.de: Wie sind Sie selbst wieder angekommen?

Schmidt: Für uns gibt es eine Nachbereitung, Supervision, in der Kirche. Ich merke, dass ich das benötige, habe es aber bisher vor mir hergeschoben. "Vergiss dich selbst nicht", sagt meine Frau immer. Tatsache ist, dass ich eine gewisse Ankommenszeit gebraucht habe. Einige Wochen habe ich jede Nachricht, jeden Bericht aus Kunduz verfolgt. Man sitzt im sicheren Deutschland und möchte was tun, ich habe mich nicht getraut, das Dienst-Handy aus der Hand zu legen. Ich bin Ende Juli zurückgekommen, habe erst mal die Hinterbliebenen besucht und dann wieder ganz normal meinen Dienst getan. Erst als die Soldaten aus meinem Kontingent alle wieder da waren, hab ich Urlaub gemacht. Ohne Telefon, ganz bewusst nicht erreichbar, eine gute Erfahrung. Schön war, dass nicht nur meine Frau das Korrektiv war, sondern auch viele Soldaten mich gefragt haben, wie es mir eigentlich geht und wann ich endlich Urlaub mache. Das hab ich als eine positive Erfahrung mitgenommen.

"Bei Afghanistan konnte ich sagen, ich gehe mit. Über Irak denke ich anders"


evangelisch.de: Würden Sie nochmal nach Afghanistan gehen?

Schmidt: Ich würde nicht sagen, ich muss nächstes Jahr wieder hin. Aber ich habe einmal Ja gesagt - als ich den Sonderdienst als Militärseelsorger angenommen habe, habe ich mich bereit erklärt, die Soldaten auch in den Auslandseinsatz zu begleiten. Allerdings muss man einen Abstand haben. Ich war einmal in Mazedonien und zweimal in Kunduz - ich bin bestimmt nicht der, der als nächster von der Kirche wieder gefragt wird. Man muss sich mit dem Thema auseinandersetzen. Wenn ich einen Einsatz mit meinem Glaubensverständnis und mit meinem Gewissen nicht vereinbaren könnte, müsste ich sagen, dass ich nicht gehe.

evangelisch.de: Was, wie Sie einmal angedeutet haben, bei einem Einsatz im Irak der Fall wäre?

Schmidt: Wir ringen auch als Kirche darum, welche Einsätze wir friedensethisch vertreten und mittragen können. Es gibt ja trotz allem verschiedene Arten von Konfliktbewältigung und ich hoffe, dass die Einsätze von Soldaten kein Automatismus werden, dass die parlamentarische Verantwortung im Bewusstsein bleibt. Es ist wichtig, dass man sich mit friedenserhaltenden Aktionen auseinandersetzt. Afghanistan ist nach den Kriterien der Kirche so, dass ich sagen konnte, ich begleite die Soldaten. Irak - darüber denke ich anders. Warum dort mit massiver Militärgewalt zur Lösung eines Konfliktes ein Krieg begonnen wurde, lässt sich mit dem Evangelium nicht vereinbaren. In dieser Meinung fühle ich mich mit vielen in der Kirche eins. Aber es ist auch so, dass ich nicht nur Wolfram Schmidt bin, sondern Pfarrer einer Kirche, die darum ringt, welche Mittel wo angebracht sind.

"Spannend, dass in einem alten Buch Antworten für das Heute stehen"


evangelisch.de: Stellt sich - im Einsatz und danach - die Sinnfrage?

Schmidt: Die Sinnfrage war und ist ein wichtiges Thema. Aber man muss sie auf das Leben runterbrechen. Nicht die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, was in der großen Politik gemacht wird, sondern auf die Frage fokussieren: Ist es sinnvoll, was ich hier tue? Was hat das für mein Leben für einen Sinn? Es waren immer die Kirchen, die die Sinnfrage gestellt haben und es ist immer wieder spannend, dass in einem alten Buch, in der Bibel, Antworten für das Heute stehen. Es wird im Einsatz definitiv mehr über die Sinnfrage diskutiert als sonst. Auch nach dem Gottesdienst am Sonntag in lockerer Runde bei den Getränken und Gesprächen am Stehtisch. Aber viele haben mir auch gesagt, dass ihnen einfach diese Stunde Gottesdienst, diese eine Stunde für sich selbst, wichtig war.

evangelisch.de: Suchen die Menschen in Extremsituationen eher nach Gott?

Schmidt: Die Frage stelle ich mir immer noch. Den Soldaten habe ich sie nicht gestellt. Es ist ja auch nicht so, dass die Massen in den Gottesdienst gekommen sind, aber viele finden ihren Weg, glaube ich. Für mich ist die andere Botschaft wichtig: Wir müssen Flagge zeigen in den Extremsituationen, da sein für die Menschen, in der Nähe sein, wenn jemand sich traut. Auch sich traut, diese existenziellsten Fragen auszusprechen - wenn es um Töten und Getötetwerden geht, um Leben und Tod. Ich wäre eher erschrocken, wenn mir jemand sagt: "Ist mir doch egal, ich mach das jetzt." Es muss jemand da sein, als Seelsorger und als Mensch, wenn sich diese Fragen stellen. Und nicht nur diese. Es wurde auch über schöne Lebensfragen gesprochen - einer überlegt, ob er heiraten soll, einer denkt darüber nach, was aus seinem Kind wird. Die positiven Sinnfragen sind im Einsatz genau so diskutiert worden. Viele haben sich gesagt, wenn die Partnerschaft die lange Trennung übersteht, hält sie für immer.

evangelisch.de: Womit wir wieder beim Ankommen wären.

Schmidt: Ja. Für Partner und Familien ist ein Auslandseinsatz eine große Belastung und Herausforderung. Und auch wir als Gesellschaft müssen die Ankommenden wieder aufnehmen. Mit dem Satz, der Mann habe doch eine Menge Geld verdient, kann man eine Ehefrau tief treffen. Und die Soldaten? Sie müssen nicht als Helden gefeiert werden. Aber sie müssen wahrgenommen werden.


Maria-Theresia Wagner arbeitet als freie Journalistin in Bad Salzungen