"Gott ist scheiße, und Du auch": Eine Pfarrerin gegen Neonazis

"Gott ist scheiße, und Du auch": Eine Pfarrerin gegen Neonazis
Joachimsthal: eine kleine Stadt in Brandenburg, aus der viele fortgingen. Bea Spreng, die Pfarrerin, ging hin. Um den Rechtsradikalen die Stirn zu bieten. Und um der Gemeinde mit Musik Mut zu machen. Das evangelische Magazin "chrismon" hat Bea Spreng besucht. Das folgende Porträt erscheint in der "chrismon"-Ausgabe 2-2010 und ist hier exklusiv vorab zu lesen.
26.01.2010
Von Hedwig Gafga

"Gott ist scheiße, Du auch!", hat jemand ins Gästebuch geschrieben, das vorn in der Kirche liegt. Die Pfarrerin hat geantwortet: "Wer oder was ist Gott für dich? Welche Wut, welche Traurigkeit oder welche Enttäuschung ist das in dir? Waren Menschen für dich 'Scheiße' oder doch Gott? Was wünschst du dir? Wie sind deine Träume, die vielleicht doch (ein bisschen) wahr werden könnten? Hast du den Mut, dich hier in diesen Raum zu setzen und darüber nachzudenken, ganz für dich allein? Bea Spreng." Typisch für die Pfarrerin von Joachimsthal, der 3.300-Einwohner-Stadt in Brandenburg mit rund 850 evangelischen Kirchenmitgliedern: Sie geht dem hasserfüllten Ausbruch nach, fragt den Schreiber, was in ihm vorgeht. Lädt ihn ein. Wer sonst setzt sich mit einer Beschimpfung so auseinander? Und wer fragt schon nach Wünschen und Träumen in einer Stadt, aus der viele fortgehen, weil sie keinen Ausbildungsplatz finden und keine Arbeit?

Allerdings, die Frau mit den knallroten Lippen, mit knielangem Rock und schwarzer Bluse ist nicht nur die einfühlsame Seelsorgerin. Wenn Rechtsradikale in der Region für ihre Ideen werben oder andere attackieren, reagiert sie energisch. Sie informiert, organisiert Gegenveranstaltungen, ruft die Polizei. Es sei ihr zu verdanken, dass die Plätze in Joachimsthal heute nicht mehr von glatzköpfigen Jugendlichen in Springerstiefeln belagert würden, sagen viele. Sie lässt nicht zu, dass rechtsradikale Aktivisten die Ängste der Leute für ihre politischen Zwecke missbrauchen. Wie im Jahr 2008, als die NPD in der Kleinstadt eine Demonstration gegen die Freilassung eines wegen Vergewaltigung verurteilten Mannes inszenierte und Bea Spreng zu einer Gegenkundgebung vor der Kirche einlud, "anders als früher kamen auch die Vertreter der Stadt", erinnert sie sich.

Der Schwäche und Ausgrenzung mit Musik begegnen

Seit 15 Jahren bekämpft sie den Rechtsradikalismus in der Region, die Geschichten aus der Anfangszeit erzählt sie nicht mehr. Vielleicht weil sie froh ist, dass sich die Situation geändert hat und die Einwohner sie heute nicht mehr als Nestbeschmutzerin betrachten, die mit ihrem Geschrei die Touristen verschreckt. Anfangs war sie "die aus dem Westen", dazu verheiratet mit einem Künstler, der die "Kreuzberger Musikalische Aktion" leitet, musikalische Erziehung besonderer Art, Bands, in denen auch türkische und arabische Jugendliche mitspielen. Als eine der Bands in der Kirche auftrat, überfielen Rechtsradikale die Gäste, griffen deren Bus an, bis sie unter Polizeibegleitung abreisen mussten. Im Gemeindearchiv sind viele weitere Übergriffe verzeichnet. "Es war lebensbedrohlich", so viel sagt die Pfarrerin dann doch.

Das Wort Angst mag sie nicht in den Mund nehmen, als wolle sie dem Gefühl in ihrem Leben keinen Platz einräumen. Musik und Rhythmus, Bands und Demos, offene Kirche und offenes Pfarrhaus, all das gehört zu ihr. Und natürlich die Menschen, die sie umgeben wie eine zweite Familie, die warmherzige ehemalige Handelskauffrau, die im Pfarrhaus Besucher empfängt, der junge Musiker, der den ganzen Tag für Livemusik sorgt, die gelernte Melkerin, die kocht und Andachten hält. Das alte Pfarrhaus mit langen Tischen, ausladenden Sofas, Flügel und Klavier bevölkern Musiker, Ehrenamtliche, Hartz-IV-Empfänger. Die Sprengs haben außerdem eine private Wohnung in einem Nachbarort. Stark sei sie, sagt die Pfarrerin, auch ihre Familie, Ehemann und Tochter. Doch ein Bild fällt ihr ein: Wie sie sich in der Zeit der ständigen Übergriffe einmal, hochschwanger, auf dem Sofa verkroch und einfach nicht mehr weiterkonnte. Bis eine Frau aus einer Stiftung gegen Rechtsradikalismus vorbeikam und sie so lange tröstete, bis die Pfarrerin wieder aufstand.

"Zu den Predigten kommen die nicht"

Die Kreuzberg-Connection blieb bestehen. Sie hat nur kurz daran gedacht wegzuziehen aus Joachimsthal, stattdessen legte sie richtig los, zutiefst überzeugt, dass sich das Blatt wenden lässt. "Wie kriege ich die Jugendlichen in die Kirche?", hat sie sich gefragt. "Zu meinen Predigten kommen die nicht." Dann brachte sie die Bandkultur in die Kleinstadt. Kinder lernen Instrumente spielen und Jugendliche, von denen manche noch nie zuvor in Berlin waren, treffen sich auf Musikfesten mit Kreuzberger Kindern. Übernachten schon mal in türkischen Familien. E-Piano, Schlagzeug, Gitarre, Streetdance, sechs Bands und zwei Tanzgruppen proben in abgetrennten Räumen der Kirche, angeleitet von stundenweise bezahlten Musikern. "Ich bin was, ich kann was. Wer das spürt, braucht andere nicht auszugrenzen", sagt die Pfarrerin. Die zwei Musiktage im Advent und im Sommer werden in der Joachimsthaler Kirche so groß gefeiert wie Weihnachten und Ostern.

Die Absätze ihrer eleganten Schuhe klopfen einen schnellen Takt auf die Dielen im alten Pfarrhaus. In der rechten Hand hält sie das Handy, links hantiert sie mit dem Schlüsselbund, wie unter Strom. Meist wartet gerade jemand auf sie, ein Handyanrufer übermittelt, dass seine schwerkranke Mutter das Abendmahl empfangen möchte, im Büro sitzt eine Flüchtlingsfrau, die ratlos einen Behördenbrief in der Hand hält. Die Pfarrerin ist erreichbar. Ihre Handynummer setzt sie in den Gemeindebrief, ihre Sprechzeiten: "nach Vereinbarung oder einfach versuchen".

Gegenprogramm zur Naziideologie

Neben dem normalen Gemeindeprogramm absolviert sie ein größeres, das man als Kampf gegen Faschismus im Alltag bezeichnen könnte. Menschen sollen nicht schlecht behandelt, verfolgt, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Nicht in ihrem Umfeld. Ihr Gegenprogramm zur Naziideologie, von der sie glaubt, dass sie in Deutschland noch nicht überwunden sei. So fuhr sie mit Jugendlichen zu einer Demonstration, die sich gegen die Sonnwendfeier auf dem Grundstück eines DVU-Politikers im nahen Finowfurt richtete. So etwas lässt sie nicht ruhen, und sie wundert sich, dass es andere ruhen lässt, Kollegen sogar.

Was hat sie so sensibel gemacht für die Verbrechen der NS-Zeit? Genervt wehrt sie ab: Es sei doch wohl normal, dafür sensibel zu sein als Deutsche. Als ehemalige Geschäftsführerin der Aktion Sühnezeichen weiß sie, dass es nicht die Norm ist. Aber die Pfarrerin setzt ihre Maßstäbe. An die Pforte der viertürigen Kreuzkirche hat sie ein Plakat der Landeskirche gehängt. Darauf sind Buntstifte zu sehen und der Schriftzug "Rechtsextremismus entgegentreten – Demokratie stärken". Wenn es nach ihr ginge, hinge es an jeder Kirchentür. Dass Menschen gleich viel wert sind, soll selbstverständlich sein. Der schwarze Lehrer zum Beispiel, der früher im nahen Flüchtlingslager lebte, unterrichtet jetzt im evangelischen Kindergarten Englisch. Auch wenn einige Eltern gefragt hätten: "Muss das sein?"

Fast widerwillig erzählt sie aus ihrer Vita: "Mit meinen Fragen nach der NS-Zeit bin ich in meiner Familie gegen Mauern gerannt." Hingegen hätten die Lehrerinnen in der Klosterschule, die sie besuchte, offen über die Vergangenheit gesprochen. Gegen die strenge Erziehung dort habe sie aber rebelliert. Aus politischem Protest beschloss das Mädchen aus katholischem Haus, evangelische Theologie zu studieren, und fand in Theologen der Bekennenden Kirche wie Martin Niemöller und Helmut Gollwitzer ihre Vorbilder.

"Beim Proben in der Kirche bleibt doch was hängen"

Wie diese ist sie eine Person, die für ihre Haltung einsteht. Viele kennen sie auch als eine Frau, die anderen Schutz gewährt, ihnen neben sich Raum schafft und sie ermutigt. "Als wir Probleme hatten, haben meine Mutter und ich eine Zeitlang im Pfarrhaus gewohnt", erzählt ein Jugendlicher. "Sie unterstützt uns in allem", sagt die 19-jährige Maria, Mitglied bei den "Bands auf festen Füßen". Einige der jüngeren Bandmitglieder hingegen rollen die Augen. "Sie ist chaotisch. Manche Geschichten aus ihrem Leben habe ich schon zigmal gehört."

Ob sie Christen sind oder nicht, wissen die meisten Jugendlichen aus den Bands nicht so genau. Darauf kommt es der Pfarrerin nicht an. Ihre Mission zielt auf Menschlichkeit. "Die proben in der Kirche, da bleibt doch was hängen. Das macht dann doch der liebe Gott." Bei ihr selber sei die Frömmigkeit mit dem Amt gewachsen. Ob sie im Altenheim "Großer Gott, wir loben dich" anstimmt, mit der zweiten Grundschulklasse "Joshua fought the battle of Jericho" übt oder mit Taufeltern den Gospel "My life is in your hands" singt, in diesen Momenten wirkt sie ruhig und so vertieft, als käme sie endlich bei sich selber an.

Nach einem Tag voller Termine fährt sie aufs Straßenfest nach Berlin. Am nächsten Tag ruft sie noch einmal an, weil gerade alles gut ist: "In der Kirche tanzen die Streetdancerinnen, im Pfarrhaus spielt die Gospelband, und im Pfarrgarten legt eine Frau, die von Hartz IV lebt, ein neues Beet an."


Der Text ist ein Vorabdruck aus dem Februar-Heft des evangelischen Magazins "chrismon".