TV-Tipp: "Tatort: Borowski und das Mädchen im Moor" (ARD)

TV-Tipp: "Tatort: Borowski und das Mädchen im Moor" (ARD)
Der Tatort aus Kiel zeigt, wie ein unauffälliger Familienvater durch unerfüllbare Erwartungen so stark unter Druck gesetzt wird, dass er ein Ventil braucht: Gewalt und Mord.
22.01.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Tatort: Borowski und das Mädchen im Moor", Fretiag, 22. Januar, 21.45 Uhr im Ersten

Warteschleifen so genannter Service-Hotlines können selbst geistig gesunde Zeitgenossen in den Wahn treiben. Steht ein Mann jedoch ohnehin bis zum Anschlag unter Druck, weil er sich mit einem Berg an unerfüllbaren Erwartungen konfrontiert sieht, braucht er ein Ventil, oder er explodiert; so lassen sich Amokläufe unauffälliger Familienväter erklären.

Der schmächtige Andreas Schmidt ist die perfekte Besetzung für den Kaufhausdetektiv Klaus Raven, der eigentlich Kommissar werden wollte. Er ist mit einer Frau (Maria Schrader) geschlagen, die gern auf großem Fuß lebt. Seine Tochter besucht ein teures Internat und braucht viel Geld, um mit den Mitschülerinnen Schritt halten zu können. Bei seiner Bank hat er so wenig Kredit, dass man ihn in der Warteschleife verhungern lässt. Raven will das junge Mädchen, das er beim Klauen erwischt hat, gar nicht töten. Aber als sie ihn provoziert, eine sexuelle Belästigung vortäuscht und er um jeden Preis ihr Geschrei beenden will: Da hat seine Wut endlich ein Ventil gefunden.

"Man denkt nichts Böses und tötet eine Kreatur": Drei Mal fällt dieser Satz. Klaus Borowski spricht ihn aus, als er im Nebel einen Wolf anfährt; aber natürlich passt er genauso zu dem Mord aus Versehen, mit dem dieser brillante "Tatort" aus Kiel beginnt. Für einen Autor ist es stets eine besondere Herausforderung, wenn das Publikum den Täter kennt. Seit "Columbo" weiß man, dass das kein Nachteil sein muss. Wie dort, so entwickelt Sascha Arango, Autor der großartigen "Eva Blond"-Krimis, eine besondere Beziehung zwischen Mörder und Ermittler: Weil das High-Tech-Gefährt seines Chefs dem Kieler Hauptkommissar (Axel Milberg) einen Streich spielt, steht er nun mutterseelenallein irgendwo in einem Moorgebiet; just dort, wo Raven die Leiche zu versenken gedenkt.

Er fährt Borowski zum nahen Internat, das auch das mittlerweile als vermisst gemeldete tote Mädchen besucht hat; die Leiche befindet sich in einem Ski-Dachgepäckträger auf der Ladefläche, zum Greifen nah für Borowski. Nicht nur der gemeinsame Vorname bringt die Männer einander näher. Raven ist ja eigentlich ein netter Kerl, dem allein die Umstände böse mitspielen; und seine Ehefrau. Trotzdem ahnt Borowski bald, dass der Mann in den Fall verwickelt ist. Es beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem der Verdächtige ein ebenbürtiger Gegner ist.

Regisseurin Claudia Garde hat Arangos mitunter mutwillig skurrile Ideen konsequent umgesetzt. Allein die Szene, in der Milberg, der ja auch ein großer todernster Komödiant sein kann, verspielt die verschiedenen Knöpfe im Auto ausprobiert, ist ein Kleinod für sich. "Ich habe eine Situation", muss er einräumen, als ihn der Wagen einfach nicht mehr fahren lässt; in solchen Momenten erinnert der "Tatort" an die große ZDF-Serie "Doktor Martin". Den gern auch mal makabren Humor kontrastiert Arango immer wieder mit den Szenen einer völlig kaputten Ehe. Ravens Gattin prostituiert sich im eigenen Ehebett, um die teuren Ansprüche der verzogenen Tochter zu finanzieren. Auf Ravens Frage, ob es denn so schlimm wäre, wenn das Ehepaar sein Leben so nicht mehr führen könne, erwidert sie mit sachlicher Verbitterung: "Was könnte schlimmer sein als unser Leben?". Am Ende müssen beide nicht länger leiden.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).