Es sei "höchste Zeit, dass wir in unserem Land eine breite Debatte über die Perspektiven und Möglichkeiten unserer Friedens- und Sicherheitspolitik führen", schreibt der Freiburger Erzbischof in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Rundschau" (Samstag). Einer grundlegenden Diskussion über Ziele und strategische Perspektiven seien Gesellschaft und Politik bisher ausgewichen. Es habe "lange der Mut gefehlt, sich den entscheidenden Fragen zu stellen".
Ziel des Bundeswehreinsatzes sei die "Unterstützung von innerer Sicherheit, des Wiederaufbaus und der Herstellung legitimer demokratischer Verhältnisse". Daneben würden in Afghanistan islamistisch-terroristische Kräfte und Aufständische bekämpft. Acht Jahre nach Beginn des von der UN legitimierten Einsatzes müsse allerdings eine "bittere Bilanz" gezogen werden: "In weiten Teilen Afghanistans herrschen kriegsähnliche Zustände. Viele Maßnahmen haben nicht zu den gewünschten Erfolgen geführt. Es sind manche gravierende Fehler gemacht worden. Eine stabile Demokratie in Afghanistan liegt in weiter Ferne."
"Nichts ist gut in Afghanistan"
Ganz ähnlich hatte sich Käßmann in ihrer Dresdner Neujahrspredigt geäußert. "Nichts ist gut in Afghanistan", sagte die hannoversche Landesbischöfin und sprach sich für die Stärkung der zivilien Hilfe in Afghanistan aus, anstatt den Militäreinsatz auszuweiten. Einen sofortigen Abzug der 4.500 Bundeswehrsoldaten verlangte Käßmann aber nicht. Dennoch war sie in Teilen der Öffentlichkeit so verstanden worden. Auch Vertreter der katholischen Kirche, etwa Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck oder der Kölner Kardinal Joachim Meisner, übten zum Teil harsche Kritik an der Bischöfin.
Göring-Eckardt bezeichnete es als "absolut richtig, dass sich Margot Käßmann als Christin, erst recht als Bischöfin und EKD-Ratsvorsitzende, zum Thema Krieg und Frieden äußert". Käßmann habe zugespitzt formuliert und "den Finger in die Wunde der deutschen Debatte gelegt", sagte sie der "Welt am Sonntag". Die Ratschefin habe zugleich keinen Zweifel daran gelassen, dass der zivile Aufbau noch militärischen Schutz benötige. Laut Göring-Eckardt war Käßmanns Vorstoß zu dem Thema kein Alleingang. Vielmehr habe man im EKD-Rat zuvor besprochen, das Thema Afghanistan aufzugreifen. "Das haben wir uns im November bei der ersten Sitzung des neuen EKD-Rates vorgenommen."
Echte Perspektive gefordert
Zollitsch schreibt in dem FR-Beitrag weiter, der Afghanistan-Einsatz verlange eine echte Perspektive. "So wie bisher kann er eigentlich nicht fortgesetzt werden. Dafür haben die Bürger ein sensibles Gespür." Er habe viel Verständnis für alle, die nach der Zukunft eines Einsatzes fragten, "der auf wenig Erfolge schauen kann". In der Bevölkerung gibt es seit längerem eine klare Mehrheit gegen das Engagement der Bundeswehr am Hindukusch. Da die im Bundestag vertretenen Parteien - mit Ausnahme der Linkspartei - den Einsatz befürworten, wird die Diskussion entsprechend emotional geführt.
Eine christliche Verantwortungsethik, so der Erzbischof, verlange Sorgfalt bei der Diskussion und der Meinungsbildung. "Dabei gilt es, der Versuchung der allzu einfachen Lösungsvorschläge zu widerstehen." Die katholische Kirche stelle das Konzept des "gerechten Friedens" in den Mittelpunkt der Friedensethik. Dabei stehe nicht die Frage im Zentrum, ob die Anwendung militärischer Mittel legitim sei. Vielmehr versuche sie, "jene Handlungsweisen zu bestimmen, die eine Überwindung von Gewalt ermöglichen und den Frieden unterstützen". In diesem Zusammenhang könne militärisches Handeln notwendig sein.
Militärdekan greift Käßmann an
Der evangelische deutsche Militärdekan in Masar-i-Scharif, Hartwig von Schubert, bekundete unterdessen die Empörung einiger Soldaten über die Worte Käßmanns. Sie fühlten sich über die Aussagen "persönlich sehr verletzt", sagte er der Deutschen Presse-Agentur (dpa). "Und ich muss sagen, mir geht es auch so." Der Geistliche kritisierte insbesondere Käßmanns Äußerungen, wonach sie die Beteiligung der Bundeswehr in Afghanistan noch nie nachvollziehen konnte. Damit habe sie allen Soldaten und den Militärseelsorgern im Einsatz die Solidarität gekündigt.
Erst im Sommer hätten die Militärseelsorger mit der Bischöfin im Konvent ausführlich über die Bundeswehr-Einsätze gesprochen, so von Schubert. "Ich empfinde es als einen Skandal, dass sie uns damals verschwiegen hat, dass sie die Beteiligung in Afghanistan noch nie nachvollziehen konnte." Er betonte, die internationale Schutztruppe ISAF führe keinen Krieg, sie unterstütze Afghanistan bei der Errichtung eines rechtsstaatlich ausgerichteten Gewaltmonopols. Kritik äußerte von Schubert auch an der Politik. Die Soldaten wünschten sich "Ehrlichkeit" und "Wirklichkeitsnähe". Es sei "unerträglich, dass wir über Jahre ein System hatten, wo die Politik faktisch den Auftrag erteilt hat, wir wollen nur Gutes hören aus der Truppe."